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Die Politiker

Und was sagen die Politiker selbst? Wir haben mit zwei Bundestagsabgeordneten gesprochen. Beide haben, nach eigenen Angaben, selbst noch nie professionelle, strategische PR-Beratung in Anspruch genommen – um die Notwendigkeit, sich zu inszenieren, wissen sie trotzdem.

Marco Bülow
(fraktionslos)

… ist fraktionsloser Bundestagsabgeordneter aus Dortmund. Bis 2018 war er Mitglied der SPD. Er beschäftigt sich vor allem mit den Themen Lobbyismus, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz.

Heute Morgen Übermorgen: Wo verläuft die Grenze zwischen Politik machen und Politik beraten?

Marco Bülow: Politik wird immer mehr zu einem Geschäft, in dem man versucht, sich, die eigene Partei und die eigene Politik zu verkaufen. Man folgt längst nicht mehr hauptsächlich seinem Gewissen. Das hat damit zu tun, dass Politik immer weniger in den Landtagen und Bundestagen stattfindet. Die Politik machen andere, Lobbyisten etwa. Das Parlament ist nicht mehr der Ort, wo Politik geprägt wird.

Spüren Sie als Politiker einen „Inszenierungsdruck“? Und würden Sie sagen, dass Sie sich selbst auch inszenieren?

Ich glaube schon, dass aus dem Einflussverlust von Politik ein Inszenierungsdruck erwächst. Eine weitere Ursache sind die sozialen Medien. Dort wird heute einfach stärker inszeniert als früher.

„Als ich gemerkt habe, dass ich über den klassischen demokratischen Weg ohnehin keinen Einfluss habe, habe ich schon versucht, die Debatte um Lobbyismus und Demokratie immer mehr öffentlich zu führen. Das war aber eher ein schleichender Prozess.“

Marco Bülow

Ich glaube aber auch, dass es einen Unterschied macht, was und warum man inszeniert: Ob es eine wichtige und authentische Position ist – oder, ob man aus irgendeiner Parteitaktik heraus inszeniert. Und ich als Fraktionsloser müsste Inszenierung natürlich noch viel stärker betreiben als andere. Ich habe am Anfang, als ich noch in der Partei war, stark versucht, über den Wahlkreis und die Fraktion Themen zu setzen. Als ich gemerkt habe, dass ich über den klassischen demokratischen Weg ohnehin keinen Einfluss habe, habe ich schon versucht, die Debatte um Lobbyismus und Demokratie immer mehr öffentlich zu führen. Das war aber eher ein schleichender Prozess.

Gehört Inszenierung zur Politik dazu – oder geht’s auch anders?

Es gibt schon unterschiedliche Wege. Es gibt Abgeordnete, die brauchen sich nicht zu inszenieren, die reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Und es gibt die stillen und leisen. Die machen ihre Facharbeit und versuchen über Argumente und Sacharbeit voran zu kommen. Man kann also auch einen anderen Weg gehen, aber es ist schwierig, damit durchzudringen. Wie gesagt: Auch ich inszeniere, etwas anderes zu behaupten, wäre gelogen. Das war auch schon so, als ich noch in der Partei und in der Fraktion war. Aber der Grad ist entscheidend – und, was hinter der Inszenierung steckt.

Glauben Sie, es ist gefährlich für Demokratie, wenn sich die Politik inszeniert?

Als ich noch in der Fraktion war, habe ich mich immer darüber aufgeregt, dass die Hauptkonzentration darauf lag, auf die AfD zu reagieren. Die besten Redner haben bei Debatten geredet, die die AfD beantragt hat. Anstatt die eigenen Themen zu setzen, wurde auf die AfD reagiert. Da wurde genau abgesprochen, wer sich aus der Fraktion wie äußert. Das war natürlich eine Inszenierung. Und natürlich haben die Medien dann auch – und das war vorher abzusehen – genau die Debatte gebracht, die die AfD vom Zaun gerissen hat, in denen sich die Hauptredner Schlachten geschlagen haben. Die Debatten, die von der Regierung oder anderen Parteien angestoßen wurden, sind untergegangen. Sowas ist wirklich ein Problem für Demokratie: Wenn sich solche Inszenierungen hochschaukeln, ist das fatal. Der AfD ging es ja gar nicht um Inhalte, es ging darum, Unfrieden zu stiften, Empörung zu inszenieren.

Ralf Kapschack (SPD)

… ist SPD-Bundestagsabgeordneter. Sein Wahlkreis umfasst die Städte Hattingen, Herdecke, Sprockhövel, Wetter und Witten. Er beschäftigt sich politisch vor allem mit sozialer Gerechtigkeit und Rentenpolitik.

Heute Morgen Übermorgen: Wo verläuft die Grenze zwischen Politik machen und Politik beraten?

Ralf Kapschack: Da sehe ich schon einen Unterschied. Politikberatung bedeutet, Instrumente an die Hand zu geben, Wege zu zeigen, Entwicklungen zu interpretieren. Politik zu machen bedeutet aber, Einfluss zu nehmen auf komplette Entscheidungen. Ich weiß zwar, dass es eine Reihe von Politikberatern gibt, die gerne Politik machen würden. Aber ich glaube schon, dass es da eine deutliche Grenze gibt.

Spüren Sie als Politiker einen „Inszenierungsdruck“? Und würden Sie sagen, dass Sie sich selbst auch inszenieren?

„Inszenieren“ hört sich so dramatisch und ein bisschen abwertend an. Politiker wollen schon Botschaften transportieren. Und um diese Botschaften deutlich zu machen, suchen sie nach Wegen und, ja, auch nach Inszenierung. Die beste Idee nützt ja nichts, wenn keiner darauf aufmerksam wird. Man muss sich schon was einfallen lassen, um die Leute zu erreichen. Nur ein Infostand in der Fußgängerzone – das turnt ja nicht mal mehr die eigenen Leute an. Deshalb besteht in Zeiten, in denen großer Wert auf Medienpräsenz gelegt wird, die Versuchung, besonders außergewöhnlich und schrill zu sein. Aber das ist nicht mein Ansatz. Ich habe mich immer bemüht, bei mir selbst zu bleiben, weil ich mich dann auch am wohlsten fühle und glaubwürdig und authentisch bin. Mich zu verstellen, würde ich auch nicht lange durchhalten und die Leute würden es schnell merken. Dass ich so sein kann, hat aber auch mit meiner konkreten Situation zu tun. Ich bin direktgewählter Abgeordneter. Das gibt mir Freiräume. Ich will im Bundestag einen guten Job machen, aber ich will da nichts werden.

Gehört Inszenierung zur Politik dazu – oder geht’s auch anders?

Ja, das ist wohl so. Inszenierung gehört zur Politik dazu. Und natürlich überlege ich mir auch, wie ich als Abgeordneter mit Menschen ins Gespräch komme. Ich sitze ja nicht zuhause und warte darauf, dass jemand an der Tür klingelt und sagt: „Ich möchte mal mit Ihnen sprechen.“ Ich gehe auf die Leute zu. Jetzt in der warmen Jahreszeit mache ich zum Beispiel Marktbesuche. Ich nehme mir einen Weidenkorb voller Äpfel, gehe über den Markt und spreche Leute an. Und ich mache regelmäßig Hausbesuche, das ganze Jahr über, um zu zeigen „Der ist da“.

Glauben Sie, es ist gefährlich für Demokratie, wenn sich die Politik inszeniert?

Ich erlebe, dass viele Debatten, die in Talkshows stattfinden, eigentlich im Parlament ablaufen müssten. Es gibt eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen von mir, die lieber in Talkshows sitzen anstatt im Parlament und in Ausschüssen.

„Die beste Idee nützt ja nichts, wenn keiner darauf aufmerksam wird. Man muss sich schon was einfallen lassen, um die Leute zu erreichen. Nur ein Infostand in der Fußgängerzone – das turnt ja nicht mal mehr die eigenen Leute an.“

Ralf Kapschack

Wenn die Inszenierung in Talkshows also zum Politikersatz wird, glaube ich, ist das eine Gefahr. Auf der anderen Seite sind solche Talkshows natürlich auch eine Möglichkeit, um Leute für Politik zu interessieren. Wenn man es positiv formuliert, könnte man sagen: Talkshows sind eine Möglichkeit, um Menschen für Politik zu interessieren, sie für Themen sensibel zu machen und in Kürze mit den Argumenten der einzelnen Parteien und Protagonisten vertraut zu machen. Wer hört sich schon den ganzen Tag Bundestagsdebatten an? Das mache auch ich nicht, denn auch mich interessiert nicht alles. Wenn Talkshows allerdings suggerieren, hier würde Politik auf Wirklichkeit treffen, erweckt das ja den Eindruck, ansonsten habe Politik keine Berührung mit dem realen Leben. Das halte ich aus meiner eigenen Erfahrung nicht nur für falsch sondern auch für gefährlich, weil das Politikern eine wesentliche notwendige Kompetenz abspricht.

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Bilder: Willi Weber, Ralf Kapschack