Die Wissenschaftler
Hinter Politikern stehen mitunter ganze Beraterteams – PR-Experten, die versuchen, sie in der Öffentlichkeit ins beste Licht zu rücken. Was bedeutet das für eine Demokratie, in der Wähler auf Grundlage dessen entscheiden, was sie zu hören, sehen, lesen bekommen? Wir haben zwei Wissenschaftler gefragt.
Prof. Dr. Otfried Jarren
… ist emeritierter Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich und setzt sich in seiner Forschung unter anderem mit politischer Kommunikation auseinander.
Heute Morgen Übermorgen: Wer macht in Deutschland eigentlich die Politik: Sind es die Politiker? Oder inzwischen doch eher ihre PR-Berater?
Otfried Jarren: Die Entscheidungen trifft schon die Politik. Trotzdem hat die PR einen Einfluss darauf, wie diese Politik vermittelt wird. Das sieht man zum Beispiel daran, dass Gesetze neuerdings eigentümlich benannt werden, so als seien sie Geschenke für die Bevölkerung. Beispiel: das ‚Gute-Kita-Gesetz‘.
Was sind die Chancen und Risiken von politischer PR-Beratung und Inszenierung in einer Demokratie?
Wir stehen in Deutschland vor einem Problem. Es gibt keine klaren, gesetzliche Regelungen, was Bundes- und Landesregierungen mit Steuermitteln im Bereich der Kommunikation beziehungsweise PR machen dürfen. Dass sie ihre Politik vermitteln wollen und müssen, muss man akzeptieren. Doch bei bestimmten persuasiven Kommunikationsformen besteht das Risiko, dass eine Regierungs-PR manipulierend wirken und letztlich sogar das Staatsvertrauen insgesamt schwächen kann. Wir benötigen Regeln wie Normen: Gesetze, die festlegen, ob und wie Regierungen Öffentlichkeitsarbeit machen dürfen. Dem Staat obliegt eine Zurückhaltungspflicht. Und auch die Regierungen dürfen nicht alles, denn es muss der politische Wettbewerb erhalten bleiben. Anders ist das natürlich bei den Parteien: Sie vor allem können und müssen die politische Vermittlung übernehmen. Das ist ja die Grundidee von Parteien: Sie stehen im demokratischen Wettbewerb. Sie sollen Ideen aufgreifen, Themen bündeln, Beschlüsse vermitteln und erklären. Und die deutschen Parteien können das auch, denn sie verfügen – wie auch die Fraktionen in den Parlamenten – über sehr viel Geld. Sie haben also die Möglichkeit, für ihre Inhalte zu argumentieren. In Deutschland sind die Parteien außerordentlich gut finanziert mit Steuermitteln. Es kommen die erheblichen Steuermittel für die Stiftungen der politischen Parteien hinzu.
Politische PR-Beratung ist ein Problem, weil sie Politiker für Medien und Bürger weniger überprüfbar macht – und sie der demokratischen Kontrolle zu entziehen versucht. Stimmt das?
Ja, die Kontrolle geht insgesamt verloren, zumal dann, wenn pure PR betrieben wird. Einschränkend muss man sagen: Im politischen System Deutschlands besteht Koalitionsnotwendigkeit. Die Entscheidungsfindung geschieht unter föderalistischen Bedingungen – das wirkt ab und an sogar als Schneckentempo.
„Und auch die Regierungen dürfen nicht alles, denn es muss der politische Wettbewerb erhalten bleiben.“
Otfried Jarren
Das föderale System in Deutschland basiert zudem auf vielfältigen Koalitionen. Das begrenzt die Macht. In Deutschland gilt also nicht der Grundsatz „The winner takes it all“ wie in den USA, wo Koalitionen praktisch nicht vorkommen. Es handelt sich bei den USA um ein Präsidialsystem. Inszenierungen sind also unter Koalitionsbedingungen eher schwer möglich. Der Einfluss von PR findet damit auch Grenzen in politischen Systemen, in denen Koalitionen bestehen. Dort müssen nüchterne Kompromisse gemacht werden.
Was ist Ihr Ausblick: Wie wird sich das Phänomen von politischer Inszenierung entwickeln?
Wir befinden uns global in einer, die Demokratie betreffend, offenen Situation. Viele Bücher, die im Moment in den USA erscheinen, sprechen vom Ende der liberalen Demokratie. Für Europa sehe ich das nicht so: Die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen war hoch. Die demokratischen Parteien haben Mehrheiten erzielt. Dennoch gilt es, aufzupassen. In vielen europäischen Ländern werden Medien und Journalismus in Frage gestellt, vielfach werden sogar Journalistinnen und Journalisten bedroht. Die ökonomischen Probleme der Massenmedien kommen hinzu. Ein unabhängiger, robuster Journalismus ist für die demokratische Stabilität wie Entwicklung aber wesentlich.
Prof. Dr. Thomas Meyer
… ist emeritierter Professor am Institut für Philosophie und Politikwissenschaft der Technischen Universität Dortmund. Er forschte unter anderem zum Verhältnis von Medien und Politik – und prägte die Theorie der „Mediokratie“.
Heute Morgen Übermorgen: Wer macht in Deutschland eigentlich die Politik: Sind es die Politiker? Oder inzwischen doch eher ihre PR-Berater?
Thomas Meyer: Es ist sicherlich ein kompliziertes Zusammenwirken. Berater erarbeiten zwar vieles und formulieren vieles vor. In der Regel wird aber von den Politikern entschieden, denn sie müssen für die Entscheidungen geradestehen. Der Einfluss von Politikberatern auf diese Entscheidungen ist aber groß.
Was sind die Chancen und Risiken von politischer PR-Beratung und Inszenierung in einer Demokratie?
Politik braucht Vermittlung, sie braucht immer auch Unterhaltungs- und Aufmerksamkeitselemente, damit sich Menschen überhaupt für ihre Inhalte interessieren. Es gibt eine PR, die dazu dient, tatsächliche politische Inhalte mit größerer Aufmerksamkeit zu kommunizieren. Das ist nicht fragwürdig, denn das war zu allen Zeiten der Geschichte Aufgabe von Rhetorik. Eine Rhetorik, die mit größerer Aufmerksamkeit Argumente vermittelt, ist gut.
„Doch dann gibt es auch die andere, die verschleiernde und manipulative PR, die als Fakten verkauft, was nicht der Realität entspricht.“
Thomas Meyer
Doch dann gibt es auch die andere, die verschleiernde und manipulative PR, die als Fakten verkauft, was nicht der Realität entspricht. Es hat sie immer gegeben und ist schon immer problematisch gewesen. Die beiden Formen von PR auseinanderzuhalten, ist schwierig. Hier setzt guter Journalismus an: Seine Aufgabe ist es, die Unterscheidung möglich zu machen.
Politische PR-Beratung ist ein Problem, weil sie Politiker für Medien und Bürger weniger überprüfbar macht – und sie der demokratischen Kontrolle zu entziehen versucht. Stimmt das?
Nein, das würde ich nicht bestätigen. In der Rolle des politischen Beraters liegen Risiken und Chancen. Der Berater schafft das Potenzial, kommunikationsschwache Politiker vermittelbar zu machen. Seine Rolle schafft aber auch die Gefahr, dass die politische Botschaft am Ende nur noch von den Sachverhalten ablenkt. Es ist eine ambivalente Position. Sie birgt die Chance, produktiv für Demokratie zu sein. Oder sie wird zur Manipulation für Publikum und Medien.
Was ist Ihr Ausblick: Wie wird sich das Phänomen von politischer Inszenierung entwickeln?
Eine Prognose habe ich nicht. Im Moment sieht es aber so aus, als würden eher soziale Medien durch kommunikative Segmentierung, vollkommene Überspitzung der Polemik und schrille Emotionalisierung die Demokratie gefährden. Es zeigt sich in diesem Umfeld, wie nützlich doch journalistisch gestaltete Medien sein können. Sie können einen hohen Grad an Objektivität erreichen– das ist immer die große Herausforderung für den Journalismus.
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Bilder: Brüderli, Thomas Meyer