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Politisches Microtargeting: zu gefährlich oder legitim?

Umdenken Microtargeting

Es gilt als mitverantwortlich für Donald Trumps Wahlsieg 2016: das Microtargeting. Diese Werbestrategie zeichnet sich dadurch aus, äußerst individuell auf ihre Zielgruppe zugeschnitten zu sein. Spätestens seit dem Cambridge-Analytica-Skandal häuft sich aber die Kritik an dem Vorgehen und den möglichen Auswirkungen auf die Demokratie. Eine Abwägung von Für und Wider.

CDU hier, SPD da, und auf der anderen Straßenseite steht ein riesiges Plakat der FDP: Wer im Wahlkampf auf den Straßen unterwegs ist, kennt das Bild der nicht enden wollenden Wahlwerbung der Parteien nur zu gut. Kaum vorstellbar wäre ein Wahlkampf, der auf dieses so prominente Werkzeug verzichten würde. Oder?

Eigentlich wäre das gar nicht mal so abwegig. Schließlich braucht es solche Plakatwerbung mittlerweile nicht mehr. Wie auch beim kommerziellen Marketing für Produkte oder Dienstleistungen ist es heutzutage normal, Wahlwerbung ins Netz, zum Beispiel auf Facebook, zu verlegen. Schließlich ist ein Großteil der potenziellen Wähler doch über Smartphone und Co. bestens erreichbar – auch für Werbung. Ein immenser Vorteil für Werbende gegenüber der Plakatwerbung besteht darin, dass Werbung im Netz viel individueller auf die einzelnen Nutzer zugeschnitten sein kann. Das sogenannte Microtargeting gilt als Erfolgsmodell und soll Donald Trump und Barack Obama bei ihren Wahlkämpfen unterstützt haben. Spätestens seit dem Cambridge-Analytica-Skandal dürfte es vielen Bürgern ein Begriff sein, wenn auch negativ behaftet.

Daten als wichtigste Grundlage

Vereinfacht lässt sich Microtargeting folgend beschreiben: Auf Grundlage von Daten werden Nutzerprofile und Zielgruppen erstellt, die dazu beitragen, die heterogene Gesellschaft in homogenere Zielobjekte zu unterteilen. Diese kann man im nächsten Schritt zielgerichtet und personalisiert ansprechen, um eine bestimmte Wirkung zu erzeugen. Das kann die Kaufabsicht für ein Produkt sein oder eine veränderte Meinung über eine politische Partei. Die Werbeanzeigen müssen sich dafür nicht fundamental von Zielgruppe zu Zielgruppe unterscheiden. Anpassungen können minimal sein und beispielsweise lediglich aus einer anderen Farbgebung bestehen.

Dieses Vorgehen ist im Digitalen einfach denkbar, also beispielsweise durch personalisierte Wahlkampfanzeigen in den sozialen Netzwerken. Außerdem kann Microtargeting in der analogen Welt stattfinden, etwa in Form von datengestütztem Haustürwahlkampf.

Grundlegend für das Microtargeting sind nämlich die Daten. Ohne sie ist es kaum möglich, die Zielgruppe gut genug zu verstehen, um zielgerichtet zu werben. Interessant sind soziodemografische Daten wie Geschlecht oder Bildung, aber auch politische Präferenzen oder das vergangene Wahlverhalten.

Der einfachste Weg für Werbende, die nicht selbst Datensammlung betreiben, um an umfangreiche Informationen zu gelangen, sind vermutlich die sozialen Medien. Plattformen wie Facebook und Google bieten entsprechende Werkzeuge an, die Werbenden das gezielte Zuschneiden von Werbebotschaften ermöglichen. So erscheinen bei den Nutzern beispielsweise Anzeigen im Newsfeed, die sich nur durch den kleinen Hinweis „gesponsort“ von gewöhnlichen, organischen Beiträgen unterscheiden. Dementsprechend kann man sie leicht verwechseln.

Daten bieten Einblick in die Psyche

Eine wenig komplexe Variante dieser Kommunikationsstrategie ist die Unterteilung der Nutzer hinsichtlich des Wohnorts: Wer in Dortmund wohnt, bekommt zum Beispiel Werbung für die Politiker aus Dortmund angezeigt. Wer in Berlin lebt, sieht entsprechend andere Politiker in den Anzeigen. Bei dieser recht etablierten Form des Targetings gibt es wenig Anlass für Befürchtungen von Manipulation. Anders sieht das aber aus, wenn Nutzer aufgrund von psychografischen Daten zielgenau angesprochen werden. Diese Daten sollen den Werbenden Einblick in die Psyche der Personen geben. Daher liegt bei einem solchen Microtargeting das Manipulationspotenzial deutlich höher.

Entsprechend umstritten ist der Einsatz dieser Persuasionsmethode, besonders für politische Werbung. Ist politisches Microtargeting manipulative Demokratiegefährdung oder doch die moderne und zeitgemäße Form der Wähleransprache? Um sich einer Antwort anzunähern, gilt es die Argumente aller Seiten zu betrachten.

Zielgerichtet und kostensparend

Die Vorteile des Microtargetings sind für Werbe-Experten offensichtlich: Es ist kostensparend, den Nutzern ausschließlich die Werbung zu zeigen, auf die sie am positivsten reagieren. Bestes Beispiel sind dafür Werbeanzeigen der FDP aus dem Jahr 2017. Facebook-Fans des Streamingdienstes Netflix wurde eine Anzeige zum Breitbandausbau mit einer Anspielung auf einen Charakter der Serie Breaking Bad ausgespielt. Eine Anzeige für eine verbesserte Verkehrsinfrastruktur bekamen hingegen die Fans der Automarke Tesla.

Das Beispiel zeigt, dass die Werbung hinsichtlich der Facebook-Likes angepasst wurde. Das ermöglicht es, bestimmte Aspekte des Wahlprogramms hervorzuheben, die der breiten Öffentlichkeit möglicherweise weniger bekannt, für die anvisierten Nutzer aber von Relevanz sind.

Durch die umfangreiche Datengrundlage der Plattformen über ihre Nutzer wird es außerdem möglich, potenzielle Wähler aufzuspüren, die die Parteien normalerweise gar nicht unbedingt erreichen und in Betracht ziehen würden. Dies geht mit einer potenziellen Effizienzsteigerung und Kosteneinsparung einher: Die Daten ermöglichen es, nur die Nutzergruppen anzusprechen, bei denen auch eine erhöhte Erfolgserwartung besteht. Für überzeugte oder kaum überzeugbare Nutzer müssen Parteien so keine Werbeaufwendungen leisten. Entsprechend ist dieser Punkt eher aus wirtschaftlicher als aus demokratiefördernder Perspektive interessant.

Diese Möglichkeit bedeutet aber auch die Chance, in Filterblasen einzudringen, die nicht aus der Kernwählerschaft bestehen. Als Beispiel können hier die Anzeigen der Linkspartei im Nachgang der Landtagswahl in Sachsen dienen. Statt selbst um die Wählergunst zu buhlen, hat die Partei potenzielle Wähler der AfD mit Facebook-Anzeigen angesprochen. Diese thematisierten das Wahlverhalten der AfD und inwiefern dieses nicht mit den Wahlversprechen übereinstimme. Ein organischer Post der Linkspartei hätte es wohl kaum in den Newsfeed dieser Nutzern geschafft.

Die Gefahr verstärkter Filterblasen

Aber Vorteile lassen sich auch ins Negative kehren. Filterblasen können verstärkt werden, da Nutzer durch das Microtargeting in der Regel nur noch zu sehen bekommen, was sie ohnehin glauben. Schließlich verspricht das den Parteien den größten Nutzen. Dieses Phänomen wird als Fragmentierung der Öffentlichkeit bezeichnet. Unterschiedliche Teilöffentlichkeiten nehmen dabei verschiedene Informationen wahr. Das birgt die Gefahr, dass Politiker widersprüchliche Positionen vertreten, je nach Zielgruppe.

Lange gab es an dieser Stelle das Problem der sogenannten Dark Ads. Das bedeutet, dass es für Forscher, Journalisten und die allgemeine Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar war, welche Anzeigen Parteien oder Politiker geschaltet haben. Denn diese waren nur für bestimmte Personen sichtbar. Ein Diskurs war so kaum möglich. Dieses Problem hat sich mittlerweile reduziert, da Plattformen wie Facebook Archive eingeführt haben, in denen die Anzeigen einsehbar sind. Ob das in der Breite von Privatpersonen genutzt wird, nachdem sie politisch getargetet wurden, ist fraglich.

Was fehlt ist Transparenz

Zwar sind die eingeführten Werbearchive ein guter Anfang, um solche Gefahren zu erkennen, für genug Transparenz sorgen sie aber nicht. Was fehlt, ist eine Offenlegung der genauen Targeting-Kriterien seitens der Plattformen und eine Offenheit der Parteien, wie sie mit Daten umgehen. Doch hier offenbart sich eines der Kernprobleme: Die Plattformen wollen nicht zu viel verraten, schließlich sind die Algorithmen ihr Geschäftsmodell. Parteien hingegen wollen ihre Wahlkampfstrategien nicht vor der Konkurrenz offenlegen müssen. Und dann ist da noch die Seite der Nutzer, die ihre persönlichen Daten geschützt sehen wollen. Sie wollen nicht, dass beliebige Personen erfahren, welche politische Werbung ihnen angezeigt wird.

Kritisch zu betrachten ist auch der Aspekt der Mobilisierung von Wählern. Zwar konnte Facebook im Rahmen einer eigenen Studie feststellen, dass Menschen eher zur Wahl gehen, wenn sie sehen, dass ihre Facebook-Freunde auch wählen. So könnte sich die Wahlbeteiligung sogar durch Facebook erhöhen. Experten gehen allerdings davon aus, dass sich dieser Effekt auch umdrehen lässt, Wähler also durch Microtargeting potenziell demobilisiert werden können.

Häufig zitiert wird in diesem Zusammenhang der Trump-Wahlkampf. Statt direkt für Trump zu werben, wurde vielfach schlicht gegen seine Gegnerin Hillary Clinton geworben. Dafür wurden Wählergruppen, die eigentlich eher dazu neigten, für Clinton zu stimmen, mit Negativinformationen über sie bespielt. Ziel war es also nicht, diese Nutzer zu Trump-Wählern zu machen, sondern sie so zu verunsichern, dass sie gar nicht mehr zur Wahl gehen.

Deutsche Parteien nutzen weniger Microtargeting

Beruhigend an dieser Stelle: In Deutschland hat das Microtargeting längst nicht das Ausmaß angenommen, wie es in den USA der Fall ist. Prof. Dr. Simon Hegelich und Juan Carlos Medina Serrano von der Technischen Universität München veröffentlichten 2019 eine Studie, in der sie den Einsatz von Microtargeting durch deutsche Parteien bei der Europawahl 2019 untersucht haben. Sie konnten feststellen, dass der Einfluss bei der Wahl relativ gering gewesen ist. Dabei muss es aber nicht bleiben. Die Frage bleibt daher bestehen: Ist politisches Microtargeting nun legitime Werbung oder manipulative Information?

Fest steht, dass Microtargeting das Verhältnis von Politikern und Bürgern verändert. Ein Austausch auf Augenhöhe erscheint unrealistisch, wenn der datenbasierte Wahlkampf den einzelnen Menschen nur noch als Datenpunkt betrachtet, den es zu bearbeiten gilt. Erschwerend kommt hinzu, dass es kaum Transparenz gibt. Und das, obwohl mit manipulativen Techniken selbst die Demobilisierung von Wählern möglich ist.

Fragmentierung der Öffentlichtkeit

Kaum bestreitbar ist, dass Microtargeting die Fragmentierung der Öffentlichkeit vorantreibt. Um das zu rechtfertigen, bedarf es schwerer wiegender Vorteile für die Demokratie. Die Vorteile sind beim Microtargeting allerdings hauptsächlich wirtschaftlicher Natur. Die Effizienz spart Kosten für die Werbetreibenden und bringt den Plattformen ihre Einnahmen. Grundlage für all das sind die Nutzerdaten, die es seitens der Politik doch eigentlich zu schützen gilt. Parteien und Politiker finanzieren die Internet-Giganten, die ohnehin schon lange für ihren Umgang mit Daten in der Kritik stehen, und stärken somit ihre Monopolstellung und ihre Macht über die digitale Öffentlichkeit.

Die Effizienz allein genügt nicht, um die potenziellen Gefahren für die Demokratie zu rechtfertigen. Microtargeting müsste der Demokratie dienen, nicht der Wahlkampfwirtschaft. Daher sollte es stärker reglementiert werden und zumindest Microtargeting auf Grundlage von psychografischen Daten gänzlich verboten werden. Außerdem sollten Plattformen und Parteien ihr Vorgehen transparenter machen. Nur so kann ein Diskurs entstehen – das macht eine Demokratie schließlich aus.

Vielleicht ist die gute, alte Plakatwerbung weniger effektiv als das Microtargeting – dafür muss man bei ihr weniger Angst vor Manipulation haben.

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