Interviews Umdenken

Warum Microtargeting in Deutschland längst nicht so üblich ist wie in den USA

Juan Carlos Medina Serrano

Interview mit Juan Carlos Medina Serrano, Experte für Microtargeting

Juan Carlos Medina Serrano ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Politik an der Technischen Universität München. Dort forscht der Doktorand mit Prof. Dr. Simon Hegelich zu politischer Kommunikation, sozialen Netzwerken und Desinformation. Gemeinsam haben die beiden im Jahr 2019 eine Untersuchung zu Microtargeting der deutschen Parteien bei der Europawahl veröffentlicht.

Herr Medina Serrano, Sie haben bezahlte politische Werbung bei der vergangenen Europawahl untersucht. Wie kommt man an die ganzen Anzeigen?


Juan Carlos Medina Serrano: Seit letztem Jahr gibt es Archive von Facebook und Google, bei denen man auf politische Werbung und die entsprechenden Daten zugreifen kann. Jede Plattform definiert politische Werbung aber anders, das heißt, die Art der Werbung unterscheidet sich bei Facebook und Google.

Wie definieren Facebook und Google das denn?


Google definiert Werbung als politisch, wenn die Anzeige von politischen Akteuren geschaltet wurde. Entsprechend finden sich auch nur solche Anzeigen in den Archiven. Bei Facebook ist das anders, die definieren politische Werbung eher anhand des Inhalts. Die dort archivierten Anzeigen kommen natürlich von vielen politischen Akteuren, aber auch von anderen, nicht-politischen Akteuren.

Im Zusammenhang von bezahlter politischer Werbung ist oft von Microtargeting die Rede. Was ist das genau?


Microtargeting ist zielgerichtete Werbung an die Wähler. Die ist sehr spezifisch, so dass man eine gezielte Gruppe von Nutzern findet, der eine bestimmte Werbung gezeigt werden kann, damit die politische Meinung verändert wird. Früher war das Targeting kompliziert, da die Daten für die Kampagnen nicht vorhanden waren. Aber heutzutage mit den sozialen Netzwerken ist es möglich, dass Privatdaten benutzt werden, um Wähler zu finden und zu beeinflussen.

Dadurch kann man auch Wähler finden, bei denen man vorher vielleicht nicht geahnt hätte, dass sie für eine Partei interessant sein könnten. Anhand der Interaktionen auf Facebook, Google und YouTube kann man auch feststellen, ob die Nutzer beeinflusst werden können oder nicht.

Wie gehen Werbende da vor?


Auf Facebook und Google ist es für Werbende möglich zu entscheiden, wen sie ansprechen wollen. Die können sagen: „Ich will alle Nutzer, die eine bestimmte Seite liken.“ Das muss nicht politisch sein, zum Beispiel die Seite von Lady Gaga. Anhand der daraus gebastelten Profile kann man Wähler dann beeinflussen, zum Beispiel Polizisten, die Seiten über Polizisten gelikt haben.

Ist so ein Vorgehen nicht verwerflich?


Ist es, darum haben sich die großen Plattformen mit der EU-Kommission auf einen „Code of Conduct“ verständigt, der Maßnahmen für mehr Transparenz enthält. Die beinhalten zum Beispiel die Archive, aber auch, dass man Nutzer anhand religiöser und sexueller Präferenzen nicht targeten kann. Es gab trotzdem schon ein paar Skandale auf Facebook, weil das doch ging.

Wird Microtargeting denn von den deutschen Parteien eingesetzt?


Wir haben den Einsatz bei der Europawahl 2019 untersucht. Da haben wir festgestellt, dass Microtargeting eigentlich nicht groß stattgefunden hat. Die Parteien haben noch keine entsprechenden Strategien genutzt, was man eigentlich nach Trump oder dem Brexit erwartet hätte.

Besonders die CDU hat aber doch viel Geld ausgegeben für den digitalen Wahlkampf?


Die CDU hat viel investiert und viele Anzeigen geschaltet. Die geschalteten Anzeigen waren aber meist identisch. Auf Facebook hatte sie 17.000 Anzeigen. Wenn man diese Zahl hört, dann ist das ganz schön viel und man denkt, die CDU hätte Microtargeting betrieben. Schaut man sich die einzelnen Werbeanzeigen aber an, waren es nur um die 60 verschiedenen. Das heißt, dass es eigentlich kein Microtargeting gab. Für Microtargeting braucht man viele ähnliche Anzeichen, die die gleiche Position vertreten, aber anders aufbereitet, so dass verschiedene Gruppen von Wählern angesprochen werden. Microtargeting heißt nicht, die gleiche Werbung allen Leuten zu zeigen.

Wie sehr unterscheiden sich solche Anzeigen voneinander? Reicht da schon eine andere Farbe?

Das kann allein die Farbe sein. Für eine gute Microtargeting-Strategie braucht man A/B-Tests. Die sind dafür geeignet, zwei sehr ähnliche Werbungen dahingehend zu unterscheiden, wie gut die Wähler mit ihnen interagieren. Das hat Trump zum Beispiel gemacht bei seiner Kampagne. Die haben tausende Anzeigen getestet, um zu schauen, welche am effektivsten war.

Die Trump-Kampagne gilt ja als besonders erfolgreich, in Deutschland wird Microtargeting dennoch wenig genutzt. Kann es sein, dass Microtargeting in Deutschland schlechter funktioniert als in den USA?

Wir forschen auch über die USA und da finden wir eine ganz andere politische Szene vor. Die ist polarisiert, was sich auch im Medienkonsum widerspiegelt. In Deutschland ist es so, dass die meisten Nutzer Nachrichten der Mainstream-Medien konsumieren. Die sind nicht in einem „Echo Chamber“ (Anm. d. Red.: „Echokammer“), was in den USA ganz anders ist. Darum ist politisches Microtargeting vielleicht nicht so effektiv in Deutschland. Das muss aber noch erforscht werden.

Merkt man, wenn man getargetet wird?

Die Werbung unterscheidet sich optisch nicht deutlich von organischen Posts. Wenn ein Nutzer auf Facebook unterwegs ist und eine politische Werbung auftaucht, steht darunter ganz klein „gesponsert“. Ansonsten ist schwer feststellbar, dass der Nutzer politisch getargetet wurde. Das ist schon ein Problem. Wenn man eine Anzeige für eine Waschmaschine sieht, weiß man direkt, dass es Werbung ist. Bei der politischen Werbung ist das schwer zu unterscheiden. Die Nutzer könnten denken, dass das zum organischen Teil gehört, der ihnen angezeigt wird.

Wird mit organischen Posts anders interagiert?

Organische Posts sind schon sehr effektiv. Wir haben eine Studie zu der AfD gemacht und herausgefunden, dass organische Posts auf Twitter, Facebook und YouTube die meisten Shares, Likes und Co. bekommen – viel mehr als bei den anderen Parteien. Die sind sehr effektiv und die Partei weiß das.

Die AfD hat zum Beispiel bei der Europawahl nur um die 50 Werbungen geschaltet und so 20.000 Euro ausgegeben. Das steht in keinem Vergleich zu den anderen Parteien. Die wussten, dass organische Posts sehr gut funktionieren und die sind kostenlos. Vielleicht ist das bei den anderen Parteien auch so und deshalb wird weniger Geld in politische Werbung investiert als in anderen Ländern.

Sind soziale Netzwerke dann nicht super für Parteien?

Ich glaube, das Kernproblem ist, dass Facebook und Twitter nicht geeignet sind für politische Kommunikation. Die Plattformen und die Algorithmen sind eher für die Verbreitung von Katzen- und Hundevideos geeignet. Wenn die gleichen Algorithmen bei politischen Inhalten eingesetzt werden, kann das zu großen Problemen führen. Ich finde gut, dass es politische Kommunikation gibt. Aber bei den Algorithmen sehe ich das Kernproblem. Meldungen mit Hass werden beispielsweise meist schneller verbreitet als normale Informationen. Da wurde schon viel geforscht, aber das ist ein Problem.

Kann man den Erfolg von Microtargeting überhaupt messen?

Wenn der Nutzer Produktwerbung sieht, beispielsweise für Schuhe, kann man genau messen, ob der Nutzer geklickt und gekauft hat. Aber natürlich ist das auf der politischen Ebene nicht so einfach. Wenn es um die politische Meinung oder Demobilisierung geht, dann kann man das nicht so richtig messen. Bei Spenden ist das vielleicht anders.

Sie haben die Gefahr der Demobilisierung angesprochen, also dass Leute nicht zur Wahl gehen, weil sie durch Microtargeting beeinflusst wurden. Ist nicht auch ein umgekehrter Effekt denkbar, also eine höhere Wahlbeteiligung?

Das kann passieren, ja. Facebook hat schon vor Jahren eine Studie gemacht. Sie haben es geschafft, die Leute durch Facebook zu mobilisieren. Eine Gruppe von Nutzern hat Werbung mit Wahlaufforderungen bekommen und die andere Gruppe nicht. Sie konnten messen, dass die, die die Werbung gesehen haben, häufiger zur Wahl gegangen sind. Das war ein bisschen unethisch, aber es ist möglich.

Wenn man das jetzt alles zusammen betrachtet: Ist Microtargeting dann eher eine Chance oder eine Gefahr für die Demokratie?

Die sozialen Medien können eine Gefahr sein, aber gleichzeitig auch Gutes bringen. Es liegt immer daran, wie die Tools benutzt werden. Deswegen glaube ich, dass Transparenz, was Google und Facebook gemacht haben, ein guter erster Schritt ist, damit man bewerten kann, was für politische Werbung geschaltet wird.

Microtargeting ist eine große Chance für Parteien, Wähler zu finden. Ich würde sagen, dass Microtargeting nicht schlecht ist. Es ist gut, dass Parteien eine Stimme haben. Aber wenn die Algorithmen falsche Informationen verbreiten oder zur Demobilisierung genutzt werden, dann ist das eine Gefahr.

Wird Microtargeting zukünftig einen größeren Stellenwert in Deutschland einnehmen?

Ich glaube schon. Es wird vielleicht nie so sein wie in den USA, aber es wird spannend, was nächstes Jahr passiert und wie die Parteien bei der Bundestagswahl agieren.

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