Beim Sport bewegt man sich, bis man schwitzt – also kann Computerspielen kein Sport sein. Und auch die Regeln des Deutschen Olympischen Sportbundes sprechen gegen E-Sport, meint Henning Barth.
„E-Sport ist für mich kein Sport“. Das hat gesessen. Diesen Satz hat der inzwischen zurückgetretene Präsident des Deutschen Fußballbundes (DFB), Reinhard Grindel, im vergangenen Jahr in einem Interview mit dem Weser-Kurier gesagt. Scheinbar ist Grindel nicht wirklich begeistert davon, wenn an Konsolen sitzende, nur die Daumen bewegende, junge Menschen beim Zocken von Sport reden. „Fußball gehört auf den grünen Rasen und hat mit anderen Dingen, die computermäßig sind, nichts zu tun.“ Sport findet also im realen Leben statt, meint Reinhard Grindel.
Grindel ist nicht der einzige, der diese Auffassung vertritt. Meine Mutter gehörte auch schon immer zum „Team Bewegung“. „Bevor ihr euch an die Konsole setzt, geht ihr aber erst raus zum Spielen.“ Immer wenn ich früher Freunde zu Besuch hatte, kam dieser Spruch von meiner Mutter – beinahe schon leierkastenartig. Wir sollten uns bewegen, unserer Fantasie freien Lauf lassen, selbst auf dem Spielplatz oder im Garten Spiele erfinden. Haben wir auf einer Wiese Fußball gespielt, tat jeder so, als sei er sein aktueller Lieblingskicker. Auch wenn nur Bäume und das ein oder andere Insekt uns zusah, wir fühlten uns jedes Mal, als würden wir in einem vollen Stadion um große Titel spielen. Erst danach durften wir auch an der Konsole spielen. Ja, das waren noch andere Zeiten.
Zurück zum E-Sport. Ja ich gebe zu, mit meinem Nintendo64 und den Super-Mario-Spielen hat das nichts mehr zu tun. Allerdings ist das komplexer gewordene Computerspiel-Universum im Grunde genommen auch nur ein Spiel. Ich glaube, wenn ich meiner Mutter mit dem Argument: „Super Mario ist aber ja auch irgendwie Sport, Bewegung draußen brauchen wir gar nicht“, gekommen wäre, hätte sie mir nur einen Vogel gezeigt.
Man muss sich irgendwie bewegen
Das mit dem Vogel zeigen macht der Deutsche Olympische Sportbund, kurz DOSB, ähnlich. Er hat in Richtlinien genauestens erklärt, wann ein Sport denn nun wirklich Sport ist. Und da kommt E-Sport nicht gut bei weg. Der DOSB hat inhaltliche Kriterien, wann er einen Sport als Sport anerkennt und bei sich aufnimmt.
Erstes Kriterium: Einer Sportart muss eine sportliche Aktivität zugrundeliegen. Heißt: man muss sich irgendwie bewegen. Der DOSB erklärt in seinen Regeln selbst, dass dazu beispielsweise nicht gehört: Denkspiele, Bastel- und Modellbautätigkeit, Zucht oder Dressur von Tieren. Außerdem heißt es hier kryptisch: nicht dazu zählt die Bewältigung technischen Gerätes ohne Einbeziehung der Bewegung des Menschen. E-Sportler bewältigen technisches Gerät, bewegen sich hingegen eher weniger. Vielmehr sitzen sie auf ihren drehbaren Stühlen oder auf der Couch und lassen virtuelle Figuren für sich bewegen. Einzig die Finger am Controller sind keineswegs still.
Einzelspieler statt Vereine
Zweites Kriterium ist die Ethik. Ethische und moralische Grundsätze werden sehr gerne gesehen. Beim Thema E-Sport geht es aber nicht nur um den Fußball auf der Konsole. Die größten Turniere und Nutzerzahlen erzielen Shooter-Spiele. Also die Spiele, bei denen die Gamer auf Andere schießen. Das kommt beim DOSB nicht so gut an und ist auch der Grund, warum Kampfsportarten wie Mixed Martial Arts auch nicht als Sportart anerkannt werden.
Drittes entscheidendes Kriterium für eine Aufnahme als richtige Sportart: Eine Sportart braucht eine Vereinsstruktur. Ein Verband, der beim DOSB aufgenommen werden will, muss mindestens 10.000 Mitglieder vorweisen können. Außerdem muss es eine Mitgliedschaft in mindestens acht der 16 bestehenden Landesverbände geben. Die E-Sport-Szene ist allerdings eher gespickt von Einzelspielern, die im Internet unterwegs sind und für sich ihre Leistungen in Spielen bringen. Nur die Besten schaffen es in die Teams, die dann an Meisterschaften teilnehmen.
Die Regeln des DOSB spielen den Verfechtern des E-Sports also nicht in die Karten, um als Sportart offiziell anerkannt zu werden. Bei seiner Mitgliederversammlung Ende 2018 sprach sich der DOSB erneut und mit großer Mehrheit skeptisch gegenüber E-Sport aus.
Was, wenn der Arzt zu mehr Sport rät?
Für mich haben diese Kriterien des DOSB viel Wahres. Dass man sich beim Sport bewegen muss ist meiner Ansicht nach das größte Argument gegen eine Aufnahme vom E-Sport. Wenn mein Arzt mir mehr Sport in Auftrag geben würde, weil ich Probleme mit dem Herzen hätte, dann würde ich mit E-Sport ganz sicher keine Fortschritte machen.
Trotzdem – die aktuelle Bundesregierung ist etwas anderer Ansicht. Im Koalitionsvertrag steht zum Thema E-Sport folgendes: „Wir erkennen die wachsende Bedeutung der E-Sport-Landschaft in Deutschland an. Da E-Sport wichtige Fähigkeiten schult, die nicht nur in der digitalen Welt von Bedeutung sind, Training und Sportstrukturen erfordert, werden wir E-Sport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung einer olympischen Perspektive unterstützen.“
Hier liegen die Meinungen von Bundesregierung und Deutschem Olympischen Sportbund also weit auseinander. Ich wundere mich tatsächlich ein bisschen darüber. Bislang war die deutsche Bundesregierung eher nicht dafür bekannt, neue, digitale Trends als wichtig zu erachten und schnell im Koalitionsvertrag zu verankern. Vielleicht möchten die Politiker so auch ein bisschen attraktiver für jüngere Wählerschichten erscheinen.
Auch nicht alle Profivereine in der Bundesliga sehen ein eigenes Engagement sich in diesem Metier. Obwohl einige Vereine eine eigene E-Sport-Abteilung bei sich in der Vereinsstruktur integriert haben. Dazu gehören zum Beispiel Werder Bremen, der VfL Bochum oder der FC Schalke 04. Doch es gibt in der Fußball-Bundesliga auch Gegner dieser Entwicklung.
Schweißperlen ja – aber bitte nicht nur vom Nervenkitzel
„E-Sport ist für mich kein Sport“ – sagt also nicht nur Ex-DFB-Präsident Reinhard Grindel. Es gibt tatsächlich zwei Lager in Deutschland: die Zweifler, aber auch die Befürworter der Absicht, E-Sport als Sportart anzukennen – ganz anders in Südkorea, wo E-Sport viel beliebter ist.
Diejenigen Spieler, die nach der Schule gleich hoch ins Zimmer gegangen sind, um in einer Online-Welt zu verschwinden, sind vielleicht enttäuscht über die ablehnende Haltung der Sportfunktionäre. Die nicht – wie zum Beispiel ich – erstmal noch draußen spielen mussten, bevor es überhaupt an den Computer oder die Spielekonsole ging.
Auch deshalb bin ich weiter auf der Seite von Reinhard Grindel und dem DOSB. Ich finde es schwierig, E-Sport als anerkannte Sportart zu verkaufen. So viel, was Sport ausmacht, kann der E-Sport einfach nicht bieten. Ja, ich habe auch einen PC und auch mehrere Konsolen. Ich würde auch sagen, dass ich ein guter FIFA-Spieler bin. Als guter Sportler würde ich mich allein deshalb allerdings nie bezeichnen. Dafür gehe ich immer noch lieber raus, kicke einen richtigen Ball auf dem Fußballplatz oder laufe durch den Park. Sodass ich am Ende eine Schweißperle auf der Stirn habe – und die nicht nur vom Nervenkitzel.