Interviews Umdenken

„Corona war nur on top!”

Intensivpfleger Alexander Jorde spricht über seine Arbeit und Corona

Interview mit Alexander Jorde, Intensivpfleger

Alexander Jorde ist Intensivpfleger und wurde 2017 durch die Wahlarena im ZDF bekannt. Damals stellte er noch als Auszubildener Bundeskanzlerin Angela Merkel unangenehme Fragen, die die Situation in der Pflege verdeutlichten. Seitdem hat sich wenig geändert. Deswegen kämpft Jorde in der Öffentlichkeit immer noch um mehr Anerkennung und bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte.

Herr Jorde, Sie arbeiten als Krankenpfleger. Wie viel härter ist die Belastung durch Corona geworden?


Alexander Jorde: Ich arbeite auf einer Intensivstation, wo wir – auch ohne Corona – schon Patienten mit Tuberkulose und anderen Erkrankungen der Atemwege, die auch zum Teil höchst infektiös sind, behandeln. Auch da hatten wir schon die Situation, dass wir Patienten dann isolieren, dass wir Masken und Schutzkleidung tragen. Also, wir kennen uns mit solchen Sachen gut aus und wir haben eine Station mit einer begrenzten Anzahl an Betten. Und wenn die Betten belegt sind, dann haben wir keine Möglichkeiten, noch mehr Patienten zu betreuen.

Bei uns ist es auf der Intensivstation in der Regel so, dass ich maximal zwei Patienten betreue. Alles darüber hinaus gefährdet die Patienten und am Ende auch mich, weil ich mich eben an viele Sachen nicht mehr halten kann. Es gibt aber auch viele Kliniken, wo die Pflegekräfte tagsüber drei oder mehr Patienten betreuen. Und das bedeutet dann natürlich eine enorme Steigerung der Belastung, aber auch eine enorme Gefährdung der Patienten. Eine Sache darf man nie vergessen: Auch der Schutz für uns ist sehr wichtig. Wir wollen erstens langfristig die Möglichkeit haben, dass wir Menschen versorgen können. Und zweitens sind wir genauso wie alle anderen auch Menschen mit Rechten.

Zu Beginn der Krise hat Gesundheitsminister Jens Spahn die Personalgrenze auf den Stationen für die Zeit der Pandemie aufgehoben. Was bedeutet das konkret für Sie als Pflegepersonal auf den Stationen?


Das ist individuell sehr unterschiedlich. Bei uns hat es jetzt erst mal gar nicht so einen Unterschied gemacht. Bei anderen Kliniken wird es wahrscheinlich schlimmer gewesen sein, weil die auf einmal vielleicht doppelt so viele Patienten betreuen mussten und weil auch zum Teil kaum ausreichend Schutzmaterial da war. Da kam es vor, dass die Pflegekräfte für eine Schicht nur eine Maske benutzen durften. Dazu sind auch Mitarbeiter erkrankt. Das ist eine enorme Mehrbelastung.

Also Corona hat nochmal alles verschärft?


Es ist jetzt nicht so, dass wir durch Corona in eine Situation gekommen sind, die für uns mit einer hohen Belastung einhergeht. Wir hatten bereits vorher eine Situation, wo viele über der Belastungsgrenze gearbeitet haben. Corona war nur on top. Wenn man die Personalschlüssel von anderen Ländern und Deutschland vergleicht: In den Niederlanden sind es im Durchschnitt um die sieben Patienten, die eine Pflegefachkraft betreut. In Norwegen und in den USA sind es um die fünf Patienten. Bei uns sind es 13. Das heißt, wir sind im Vergleich mit OECD- oder EU-Ländern mindestens bei doppelt so vielen Patienten.

Aber alles in allem sind wir in Deutschland doch gut aufgestellt, wie man das mutmachende Echo in der Politik, den journalistischen Medien und auch Sozialen Medien wahrnehmen kann. Deutschland hat genug Beatmungsgeräte und Intensivbetten – so wie kein anderes Land in Europa. Warum also keine Entspannung auf Ihrer Seite?


Weil sich an der Grundsituation wenig geändert hat. Das Absurde war, dass zum Beispiel Mitarbeiter in Kliniken in Kurzarbeit geschickt wurden, weil der operative Bereich auf das Mindeste zurückgefahren wurde, um Kapazitäten freizuhalten. Das war auch richtig, weil man ja eben nicht wusste: Wie hart trifft uns die erste Welle? Aber was ich sehr unschön finde, ist, dass viele Leute in Kurzarbeit geschickt wurden, obwohl vielleicht auf einigen Stationen jetzt erst der Personalschlüssel erreicht wurde, der dem Niveau anderer Länder entspricht. Was in Deutschland aber schon eine Überbesetzung bedeutet, weil es zu teuer für die Kliniken wird.

Sie kritisieren es gerade: Das fehlende Personal ist ein großes Problem im Gesundheitssystem. Wir haben in Deutschland zu wenig und diskutieren schon seit Jahren darüber. Wenn man der Krise etwas Positives abringen kann, ist es, dass Themen sichtbar werden, die vorher kein großes Gehör bekommen haben. Dazu gehört auch die Pflege. Jetzt werden Sie gerade überall beklatscht, als Alltagshelden gefeiert und gelten als absolut systemrelevant. Wie krank finden Sie das System, das eine Krise braucht, damit öffentlich auf Missstände wie den Personalmangel aufmerksam gemacht wird?


Das ist nichts Neues, und ich glaube, dass das eine Scheindebatte ist, weil sie keine Tiefe hat. Es geht immer nur darum: Das sind jetzt die Helden. Aber eine tiefergehende Analyse, warum wir überhaupt dastehen, wo wir stehen, darum geht es nicht.

Was fehlt?


Wenn man sich das in anderen Ländern anguckt, ist das einer der angesehensten Berufe. In fast allen OECD- und EU-Ländern kommt man nur über ein Studium in diesen Beruf. Und das spiegelt sich dann eben auch im Gehalt wider. Beispielsweise in Amerika gibt es viele Bundesstaaten, wo man als ausgebildete Pflegefachkräfte mit Studium über 100.000 Dollar im Jahr verdient. Das ist da keine Ausnahme, das ist eher die Regel. Davon sind wir in Deutschland weit entfernt.

Wenn wir jetzt nur mal den Kranken- und Pflegesektor hier in Deutschland betrachten, gibt es private Träger, kirchliche und staatliche. Wie gut finden Sie diese Aufteilung?


Das ist historisch gewachsen. Die Finanzierung des Gesundheitswesens hat nicht so richtig funktioniert, wenn alle Miese bei halbwegs guten Bedingungen machen. Und auf einmal kommen dann private Investoren und machen Gewinne, obwohl sich nicht so viel geändert hat. Das ist zu hinterfragen. Wie haben sie das denn geschafft? Und an dem Punkt hätte man eigentlich sagen müssen: Wir müssen nicht die Krankenhäuser loswerden, sondern wir müssen einfach die Finanzierung so gestalten, dass die Leute, die dort arbeiten, einen guten Lohn bekommen. Und das hat man nicht gemacht. Sondern man hat gesagt, wir stoßen die Krankenhäuser ab, und dann sind wir das Problem los. Aber wir haben das Problem einfach nur verlagert.

Aber würde ein rein privates System überhaupt funktionieren?


Ich glaube, ein Gesundheitssystem könnte auch funktionieren, wenn es privat ist, wenn alle versichert sind. Ich glaube aber nicht, dass ein privates System effizienter ist. Es ist nicht so, weil wir keinen Markt haben, wie zum Beispiel in der Automobilbranche. Wenn ich ein Auto kaufen möchte, habe ich fünf Hersteller und kann mir das aussuchen, was am besten zu mir passt. Viele, die in ein Krankenhaus oder Pflegeheim kommen, haben nicht die Auswahl.

Darf mit Gesundheit der Menschen in einer Gesellschaft überhaupt Gewinn gemacht werden?


In einer Gesellschaft ist es eine schwierige Frage. Wir zahlen alle Sozial-, Kranken- und Pflegeversicherung. Und ich möchte, dass die Menschen optimal versorgt sind und dass sie die beste Gesundheitsdienstleistung zum besten Preis bekommen. Das ist das Ziel. Und ich habe auch nichts gegen ein wirtschaftlich orientiertes Gesundheitssystem, weil wir auch eine begrenzte Anzahl an Ressourcen – also an Mitarbeitern, an Material – haben. Die sollte man möglichst sinnvoll einsetzen. Wir treiben es aber auf die Spitze. Bei uns wird der Pflegebereich deutlich reduziert, vieles wird outgesourct. Also alles, was möglich ist, wird ausgenutzt, und das ist eben nicht mehr sinnvoll. Vor allem dann, wenn Mitarbeiter in einer Klinik, vor allem in den Privaten, nicht mehr nach medizinischen Gesichtspunkten entscheiden, sondern zu einem Großteil auch nach wirtschaftlichen.

Das heißt?

Es ist kein Zufall, dass wir eines der Länder sind, das die meisten Hüftprothesen einsetzt. Ich glaube nicht, dass die Deutschen schlechtere Hüften haben als die meisten anderen Industriestaaten, sondern es wird in unserem System einfach nur sehr gut entlohnt. Heißt: Da werden Fehlanreize gesetzt, und das halte ich dann schon für problematisch.

Aber das ist auch eine Folge des privaten Marktes, oder?

Ich glaube, dass der Versuch durch ein privates System, Leistungen effizienter und kostengünstiger zu gestalten, gescheitert ist. Es wird nicht kostengünstiger. Wir haben nur eine Anlagemöglichkeit geboten. Es gibt teilweise Kliniken, die wirklich wie Heuschrecken sind. Die schmeißen Leute raus, wenn die für bessere Arbeitsbedingungen streiken. Die schicken Leute in Kurzarbeit, die haben befristete Verträge.

Würden Sie sagen, dass die Privatisierung der Krankenhäuser nun das Gesundheitssystem gerade in einer Pandemie fragil macht?

Ja, definitiv. Wir sind personalmäßig an der Grenze. Jede Pflegekraft, die einen Patienten weniger versorgte, ist ein Kostenfaktor. Das heißt, es wird immer alles so gering wie nur möglich gehalten: Beispielsweise Lagerkapazitäten, das sind Kostenfaktoren. Das war auch der Punkt, dass viele Kliniken keine großen Lager für Material hatten, weil alles immer just-in-time eingekauft wird. Das ist deutlich günstiger und effizienter.

Das ist der Preis, wenn man ein privates oder marktwirtschaftlich organisiertes Gesundheitssystem hat. Das Problem ist auch, dass nicht nur die Privaten so handeln, sondern auch die Gemeinnützigen, Staatlichen oder Kommunalen. Die haben auch Druck. Das führt dazu, dass Betten und Personal abgebaut werden. Ich glaube, wenn da eine richtige Welle gekommen wäre oder vielleicht noch kommt, dann kann uns das schon überrennen.

Im Grunde haben wir es doch hier mit einem Marktversagen zu tun. Wir haben eine hohe Nachfrage und auf der anderen Seite ein geringes Angebot an Pflegekräften – nicht nur in den Krankenhäusern. Trotz doch herrschender Marktwirtschaft im Gesundheitssystem wird wenig dafür getan das Angebot zu pushen – mit zum Beispiel besseren Arbeitsbedingungen, guter Bezahlung und einer attraktiven Ausbildung. Warum?

Das Problem ist, wir sind schlecht gewerkschaftlich organisiert. Das heißt, bei den Tarifverhandlungen kommen Ergebnisse raus, die deutlich unter dem liegen, was möglich wäre. Darf sich eigentlich die Politik darauf ausruhen? Theoretisch. Oder müsste die Politik eingreifen und sagen: ‚Normalerweise sind dafür die Tarifpartner zuständig. Wir sind jetzt aber in einer Situation, wo wir in zehn Jahren so einen krassen Mangel an Pflegefachkräfte haben werden, dass wir jetzt eingreifen müssen.‘ Und ich glaube tatsächlich, dass wir über bessere Löhne – nicht über vier, fünf Prozent – sondern deutlich mehr sprechen müssen. Dass wir darüber die Attraktivität des Berufes steigern könnten. Erstmal für diejenigen, die diesen noch nicht ergriffen haben, aber auch für diejenigen, die vielleicht die Arbeitszeit reduziert haben. Da könnte man definitiv etwas bewegen.

Das reicht, damit der Beruf attraktiver wird?

Ein anderer Anreiz ist, die Ausbildungsmöglichkeiten zu erweitern. Es gibt mittlerweile Einstiege in den Pflegebereich über ein Studium oder über duale Studiengänge. Der Beruf hat sich enorm weiterentwickelt, ist sehr komplex geworden. Deutschland und Österreich sind die einzigen Länder, in denen der Pflegeberuf kein Studium ist. Und ich glaube, da ist viel Potenzial, das man verschenkt. Es gibt eben auch mehr junge Menschen, die Abitur machen, als vor 30, 40 Jahren.

Inwiefern ist der Beruf komplexer geworden?

Das Schwierige ist, dass viele Serien oder Berichte im Fernsehen schauen, bei denen die Menschen das Gefühl bekommen, dass dort der Arzt steht, der alles entscheidet. Und wir Pflegekräfte machen das, was der Arzt uns sagt. Aber dabei sind die Aufgaben aufgesplittet. Die Ärzte haben viel administrative Tätigkeiten. Die meiste Zeit am Patienten, gerade auf einer Intensivstation, verbringen wir. Wir sind die, die alles zusammenführen. Und wir entscheiden auch kurzfristig, zum Beispiel Einstellungen an der Beatmung zu verändern.

Wir haben häufig Patienten, die sind Mitte 20 und haben schwere Erkrankungen. Und wenn du jetzt einen Fehler machst, beendest du das Leben dieses Menschen. Es ist nicht so, dass ich den ganzen Tag schweißgebadet rumlaufen. Aber es ist trotzdem immer im Hinterkopf, dass man weiß, du trägst eine hohe Verantwortung. Und das ist natürlich nicht nur im Intensivbereich so, sondern auch in anderen Bereichen.

Aber jetzt mal ehrlich: Warum nutzen Sie – gerade in dieser Zeit, in der Sie so ein großes Echo genießen nicht Ihre demokratischen Rechte, organisieren sich und demonstrieren vereint gegen die Zustände? Auf Twitter schreiben Sie: „Wir müssen uns organisieren so schnell und stark wie nur möglich und einen Arbeitskampf führen, dass es die Minister vom Stuhl haut.“ Wäre es nicht möglich zu sagen, wir streiken heute gemeinsam?

Ich denke schon, dass das möglich wäre. Nur muss man sich vernünftig organisieren. Und natürlich geht es nicht um jeden Bereich. Sie können jetzt nicht sagen, wir bestreiken heute die Intensivstationen. Seht mal zu, wie ihr die Leute versorgt. Aber man könnte beispielsweise die operativen Bereiche wie Orthopädie oder Urologie bestreiken. Das bringt – jetzt ganz platt gesagt – niemanden um, sorgt aber für eine enorm hohen finanziellen Druck für die Kliniken. Nur muss man eben erst mal die Leute organisieren, und das ist das Problem.

Wenn Sie jetzt auf die vergangene Zeit zurückblicken, würden Sie dann sagen, dass der Paragraf im Grundgesetz, die Würde des Menschen ist unantastbar, auf allen Ebenen – im Pflegebereich, auf ärztlicher Seite oder auf Seiten der Patient*innen – verletzt wurde?

Ja, weitestgehend. Das bezieht sich ja nicht nur auf die Patienten, sondern natürlich auch auf uns. Unter welchen Bedingungen wir arbeiten, wie mit uns umgegangen wird, welche Verantwortung uns übertragen wird, die wir eigentlich nicht zu tragen haben. Es gibt Pflegeheime, da gibt’s nachts einen Patientenschlüssel, bei dem eine Pflegekraft weit über 50 Bewohner betreut.

Und dann wird automatisch die Würde der Patient*innen verletzt?

Wenn jetzt beispielsweise fünf Leute gleichzeitig zur Toilette müssen, ist klar, dass, wenn die Pflegekraft beim Letzten ankommt, der Gang zur Toilette nicht mehr notwendig ist. Das sind eben Situationen, wo man natürlich sagen muss, diese Menschen werden in ihrer Würde verletzt und eingeschränkt. Und wenn man sich anschaut, was es kostet, in einem Pflegeheim gepflegt zu werden, das können sich die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach einem ganzen Leben mit Arbeit überhaupt nicht leisten.

Die Pflegeversicherung und Rente deckt das in den meisten Fällen nicht ab. Und fast alle oder viele werden dann zu Empfängern von Sozialhilfe-Leistungen. Das führt auch dazu, dass sie nur die Basis-Programme und pflegerische Versorgung bekommen. Und diese Menschen haben ein normales Leben geführt. Die waren nicht arbeitslos, die haben in einem normalen Job gearbeitet. Und dann leben sie in einem Doppelzimmer mit einem Menschen, den sie nicht kennen, mit dem sie vielleicht gar nicht zusammenleben wollen. Und dann wird natürlich auch an allen anderen Dingen des Lebens gespart.

Am Beispiel des herrschenden Gesundheits- und Pflegewesens, welches durch ökonomische Faktoren geprägt ist: Wie sehr sehen Sie unsere demokratische Gesellschaft dadurch bedroht? Wenn wir davon sprechen, dass bestimmte Gruppen der Gesellschaft sich eine andere bessere Altersvorsorge leisten können und ein anderes Pflegeheim als jemand, der im Supermarkt an der Kasse in einem systemrelevanten Beruf ein Leben lang gearbeitet hat?

Es ist so, dass wir im Prinzip ein Grundgesetz mit einer Ausrichtung auf die Einzelnen haben. Die Würde des Einzelnen ist unantastbar. Dass niemand mehr Rechte hat als der einzelne Mensch, und dass alle vor dem Gesetz gleich sind. Da haben wir natürlich ein Problem. Wenn wir eine Gesellschaft haben, in der es beispielsweise Familien gibt, die breit in Automobilunternehmen investieren und es Leute gibt, die bei VW beispielsweise am Band arbeiten.

Dass diese Menschen sich aber selbst davon vielleicht am Ende nicht mehr die gute Altersvorsorge leisten können und eben schlecht versorgt in einem Pflegeheim sind. Und diejenigen, die sozusagen nur ihr Geld für sich arbeiten lassen – ein bisschen populistisch auszudrücken – die ihr Geld mit Investieren verdienen, dass die so viel Geld herausziehen, dass sie sich eine Top-Altersvorsorge leisten können. Ich glaube schon, dass das auf Dauer Sprengstoff für eine Gesellschaft liefert, weil diejenigen, die dieses Geld haben, das ja auch nicht hätten, wenn keiner bei VW am Band stehen würde.

Mit diesem Paragrafen haben Sie bereits 2017 in der Wahlarena Angela Merkel konfrontiert. Dadurch sind Sie auch bekannt geworden. Wenn jetzt eine Arena anstehen würde und Sie das Wort hätten, was würden Sie Angela Merkel oder vielleicht auch Jens Spahn sagen wollen?

Es braucht deutlich bessere Löhne. Wir haben jetzt einen Mindestlohn bekommen, der in der Altenpflege hauptsächlich wirkt und so bei 15 Euro liegt. Das ist ein schlechter Witz. Zudem brauchen wir in allen Bereichen der pflegerischen Versorgung Untergrenzen, die nicht unterschritten werden dürfen. Wie viele Patienten maximal, wie viele Bewohner maximal von einer Pflegekraft versorgt werden. Dann brauchen wir zusätzlich zu dieser Untergrenze aber auch eine Bemessungssystem, das die optimale Anzahl an Patienten, die eine Pflegekraft betreuen darf, ermittelt. Und dass die Krankenhäuser, die sich daranhalten, besser vergütet werden als Krankenhäuser, die das nicht tun.

Wir brauchen ein System, was mit finanziellen Anreizen arbeitet. Und dann, was auch noch ein ganz entscheidender Faktor ist, dass Pflege in Entscheidungen mit eingebunden wird. Aktuell entscheiden Leute, die nichts mit Pflege zu tun haben. Die wollen auch Geld sparen oder möglichst viel einnehmen. Deswegen brauchen wir Institutionen für die Vertretung der Pflege – wie die Ärztekammer oder die kassenärztliche Vereinigung.

Zum Abschluss: Sie sind jung und haben noch viele Berufsjahre vor sich. Warum setzen Sie sich öffentlich so stark für Ihr Berufsfeld ein, wenn Sie doch auch sicherlich weniger harte Jobs ausüben könnten?

Weil es definitiv ein interessanter Job ist. Man trägt sehr früh sehr viel Verantwortung, was natürlich auch belastend sein kann. Aber es ist eben auch was Sinnvolles. Ich bin jetzt aber noch nie nach Hause gegangen und habe gesagt, ich habe ein Menschenleben gerettet. Manchmal ist unser Ziel eben nicht nur das Retten von Leben. Manchmal ist es auch das Ziel, das Sterben zu begleiten. Und manchmal ist es auch für den Patienten nicht immer sinnvoll, um jeden Preis zu überleben. Man arbeitet einfach in einem hochkomplexen Umfeld. Es ist ein Berufsfeld, wo man wirklich viel sieht und viel erlebt.