Interviews Umdenken

„Jugendliche waren immer politisch“

Christian Brüninghoff - Foto: Landesjugendring NRW

Interview mit Christian Brünighoff, Referent für kommunale Jugendpolitik

Jugendlichen eine Stimme geben – das ist das Ziel von Christian Brüninghoff. Als Referent für kommunale Jugendpolitik führt er regelmäßig Kinderwahlen durch, die zeigen: Man muss nicht erst 18 werden, um sich eine politische Meinung bilden zu können. Im Interview verrät er, was junge Menschen aktuell bewegt und wie sie politisch besser beteiligt werden könnten.

Herr Brüninghoff, was beschäftigt die jungen Menschen da draußen?


Christian Brünighoff: Was politisch wirklich sehr aktuell ist – auch wenn wir es gerade nicht so merken – ist das Thema Nachhaltigkeit. Und auch der Aspekt der Generationengerechtigkeit. Unter welchen Bedingungen wachsen junge Menschen heute auf? Wie war das für Eltern oder Großeltern? Und wie wird das vielleicht für die Kinder der heutigen Generation sein? Da steckt natürlich die Klimafrage dahinter, aber auch noch einige andere Aspekte wie die Infrastruktur und die Chance auf Bildung. Also: Wer trifft eigentlich welche Entscheidung und wie ist die eigentlich unter dem Aspekt Generationengerechtigkeit zu bewerten?

Wie hat sich denn das politische Interesse der Jugendlichen in den letzten Jahren entwickelt? Schaut man sich die Fridays for Future Demos an, kann man eine sehr politikinteressierte Jugend beobachten.


Jugendliche waren immer politisch. Es ist ihnen sehr häufig abgesprochen worden. Das ist ein Narrativ, das nicht totzukriegen ist. Wir haben zum Beispiel in den Aktionen, die wir machen, um junge Menschen auch politisch eine Stimme zu geben – zum Beispiel bei den Wahlsimulationen zur Landtags-, Bundestags- und, Europawahl – immer die Beobachtung gemacht: Junge Menschen sind deutlich mehr in Natur- und Umweltthemen bewandert. Die haben da einen Schwerpunkt, der bei älteren Wählern dann nicht mehr so stark präsent ist. Und: Junge Menschen sind deutlich weniger extremistisch orientiert. Wenn ich mir die letzten Wahlsimulationen anschaue, wäre die AfD für junge Menschen zum Beispiel nicht in den Landtag in Düsseldorf gekommen.

Mit der Fridays for Future Bewegung ist eine Generation zum Vorschein gekommen, die augenscheinlich mitreden möchte. Sind diese Demos ein Zeichen von politischer Machtlosigkeit sind, weil sie woanders nicht gehört werden?


Diese Ohnmacht macht sich ja schon daran deutlich, dass es nur deswegen eine Aufmerksamkeit für Fridays for Future gegeben hat, weil es sich um einen Schulstreik handelt. Weil man sich bewusst gegen die auferlegten Pflichten wendet, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Ein anderes Beispiel für diese Haltung kann man mit Blick auf die Corona-Regelungen beobachten: An Kinder und Jugendliche ist in allen Verordnungen als allerletztes gedacht worden.

Sie sind immer nur als Objekte behandelt worden, die betreut, beschult oder sonst was werden müssen. Dass sie aber Träger eigener Rechte sind, spielt überhaupt keine Rolle. Wenn wir auf die Sommerferien gucken, wurde diskutiert, die zu verkürzen. Dass sie auch das Recht auf Erholung, Spiel und Freizeit haben, das steht in der UN-Kinderrechtskonvention. Das sind in Deutschland zwar ratifizierte UN-Konventionen, aber noch lange nicht gelebte Praxis.

Juristen argumentieren oft mit der Verstandesreife. Das könne bei über 18-Jährigen vorausgesetzt werden, bei 16 oder 17-Jährigen nicht. Was würden Sie diesen Kritikern gerne sagen?


Wenn ich über 18 bin und von meinem Wahlrecht keinen Gebrauch mache, ist das jetzt ein Zeichen von Verstand? Wenn ich über 18 bin und mein Wahlrecht extremistisch ausnutze und staatszersetzende Parteien unterstütze – ist das dann ein Ausdruck von Vernunft, Begabung oder Ähnlichem? Wir führen im Prinzip heute die Debatte darüber, ob junge Menschen in der Lage sind, sich ein Urteil zu bilden, wie wir vor hundert Jahren darüber diskutieren mussten, ob Frauen in der Lage sind, sich ein Urteil zu bilden.

Vielleicht sollte man das Wahlrecht nicht unbedingt am Alter festmachen.


Es wird eine Altersgrenze brauchen. Das ist allgemeingültig, vergleichbar und vor allen Dingen leicht messbar. Es gab ja schon mal die Meinung aus unterschiedlichsten Ecken, dass das Wahlrecht nach Alter doch Quatsch sei. Und dass das Wahlrecht nach IQ doch mal ein neuer Ansatz wäre. Das ist aber wohl mehr in den Bereich der Satire zu verorten, als dass das ein sachdienlicher Vorschlag ist.

Was wäre denn das geeignete Alter, um auf Kommunal-, Landes- oder Bundesebene wählen zu können?


Wir treten für das Wahlalter ab 14 ein, weil wir merken, dass Kinder und Jugendliche durchaus in der Lage sind, sich mit ihrer eigenen Perspektive in Diskurse und Debatten einzubringen. Es kommt aber häufig darauf an, wie man ihnen begegnet, und ob man der Meinung von jungen Menschen mit einer Offenheit begegnet oder eben mit einem Paternalismus, der deutlich macht: Das ist ja ganz nett, was du das möchtest, aber werd’ du erst mal groß und erfahren, und dann können wir noch mal ernsthaft reden.

Also Jugendliche sollten ab 14 Jahren wählen dürfen, egal um welche Wahl es sich handelt?


Richtig. Es ist natürlich schwieriger, Zusammenhänge der europäischen Ebene jugendgerecht herunterzubrechen. Allerdings ist das ein Auftrag, den unsere gesellschaftlichen und politischen Instanzen haben. Ich kann ja nicht immer nur alles so kommunizieren, dass es Senioren verstehen. Denn es wacht keiner an seinem 18. Geburtstag auf und sagt: Ja, geil, jetzt bin Demokrat, jetzt bin ich Wähler. Das fällt nicht vom Himmel, sondern wir müssen politische Sozialisation wieder aktiv gestalten.

Angenommen Jugendliche dürfen schon ab 14 Jahren ihr Kreuzchen setzen. Reicht ihnen das überhaupt? Will eine Generation, die in sozialen Netzwerken zuhause ist, wo täglich neue Diskurse entstehen, bloß alle vier Jahre ein Kreuzchen setzen?


Ich würde das auch so teilen, dass es mit dem Kreuz nicht getan ist. Das ist das, was ich mit politischer Sozialisation meinte – junge Menschen wollen sich auch darüber hinaus einbringen, wir bieten ihnen aber kaum Kontaktfläche. Eine klassische Parteilaufbahn, wie wir sie kennen – zehn Jahre Plakate aufhängen, bevor man irgendwo im Ortsverein mal was mitreden darf – ist nicht deren Gestaltungshorizont. Junge Menschen möchten sich gezielt einbringen. Das kann man im Freiwilligensurvey und ähnlichen Studien nachlesen. Sie engagieren sich deswegen nicht zwangsläufig kontinuierlich, aber sehr punktuell für ein Thema und möchten dort aber auch eine Wirksamkeit erfahren. Das erleben wir in vielen Debatten nicht unbedingt. Deswegen haben Parteien auch so große Nachwuchsschwierigkeiten, selbst wenn sie gut aufgestellte Jugendorganisationen haben.

Welche Instrumente gibt es – abgesehen vom Wahlalter – noch, um der jungen Generation eine Stimme zu geben?


Zum Beispiel den Jugendcheck. Warum überprüfen wir Gesetzesvorhaben und Beschlussvorlagen nicht darauf, was das eigentlich für junge Menschen bedeutet – die müssen die neue Straße vielleicht viel länger nutzen als diejenigen, die gerade darüber die Hand heben. Vielleicht können wir so noch mal eine andere Sichtweise auf manche Entscheidung einnehmen. Ist das wirklich eine langfristige, nachhaltige Entscheidung, die wir da gerade treffen? Da gibt es jetzt erste Versuche, wo Gesetzesfolgen in Berlin beispielhaft auf ihre Jugendgerechtigkeit überprüft werden. Das braucht es für alle Bundesländer. Und auch für die Kommunen. Denken Sie mal an Schulgesetzgebung in Nordrhein-Westfalen – das ist sicherlich ein spannendes Feld, was die Meinungen von jungen Menschen gebrauchen könnte. Denn sie sind schließlich die Adressaten des Gesetzes.

Sehen Sie auch die Medien in der Pflicht, Jugendlichen eine Stimme zu geben?


Ich glaube, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die natürlich auch die Medien betrifft. Aber das bedarf eines Kulturwandels – dass wir junge Menschen nicht nur als gesellschaftliche Objekte betrachten, die wir organisieren müssen und möglichst schnell dem Wirtschaftskreislauf zur Verfügung stellen müssen.

Sondern, dass junge Menschen einen Wert an sich haben. Und da brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, damit unsere Gesellschaft jugendgerechter wird und wir unsere Entscheidungen jugendgerechter gestalten oder zumindest auf Generationengerechtigkeit überprüfen, damit für alle Generationen ein gutes Leben in unserem Land möglich bleibt. Durch die Fragmentierung der Medienlandschaft fehlt es umso mehr an Medienpädagogik für junge Menschen, damit sie sich in dem „Dschungel“ zurechtfinden und erkennen, was eine seriöse Quelle ist und was nicht. Auch das wäre ein Beitrag, den wir ältere Menschen leisten können, um junge Menschen zu unterstützen, einen guten Weg in die Demokratie zu finden.

Die Jugend ist die Zukunft unserer Demokratie, heißt es auf der Website des Bundesjugendringes. Sehen Sie die Demokratie in Gefahr, wenn Jugendliche nicht mehr in Entscheidungsprozesse eingebunden werden?


Ich würde es nicht so dramatisch sehen. Unsere Demokratie ist nicht radikal gefährdet. Aber ich glaube, es passiert gerade viel Fahrlässiges, das unsere Demokratie gefährdet. Ich sehe das Risiko, dass Teile der jungen Menschen von diesem System abgehängt werden. Weil wir nicht in sie investieren, weil wir sie nicht ernst nehmen, weil wir sie nicht als Akteure und Entscheider begreifen. Ich sehe das Risiko, dass Radikale und Verschwörungstheoretiker diese Lücke füllen. In dem Moment, wo wir die jungen Menschen verlieren, verlieren wir irgendwann die Zukunft. Dann haben wir in zehn, zwanzig, dreißig Jahren ein viel größeres Problem. Wer soll denn unsere gesamte Zivilgesellschaft am Laufen halten, wenn wir eine Demokratie sind ohne Demokraten?