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„Journalismus wird man immer brauchen“

Marc Bädorf ist 23 Jahre alt und gehört zu den vielversprechendsten Nachwuchsjournalisten in Deutschland. 2017 wurde er vom medium magazin zu den „Top 30 bis 30“ gewählt. Seine Stärken: Reportagen und Portraits, die er unter anderem für den Stern, Geo, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Reportagen schreibt. Was denkt ein junger freier Journalist, der den Großteils seines Berufslebens noch vor sich hat, über den deutschen Journalismus?

Herr Bädorf, mit 15 Jahren haben Sie als Sportreporter beim Kölner Stadtanzeiger angefangen und sind 2016 mit Ihrer FAS-Reportage über einen 87-Jährigen, der täglich in den Vergnügungspark geht, bekannt geworden. Sie sind also schon einige Jahre im Journalismus unterwegs, haben einiges erlebt. Was läuft aus Ihrer Sicht gut?

Bädorf: Gut läuft meiner Meinung nach, dass es immer noch eine große Bandbreite an Medien gibt und dass es immer noch sehr intensive Recherchen gibt – unabhängig davon, ob das Online, Print oder Fernsehen ist. Grundsätzlich finde ich, dass die deutschen Medien immer noch eine hohe Qualität haben. Wir haben zum Beispiel zwei gute Tageszeitungen mit Süddeutscher Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung. Das hat man eigentlich kaum in einem anderen europäischen Land.

Klingt nach einem Aber…

Natürlich gibt es auch Dinge, die weniger gut laufen. Bevor ich angefangen habe als Journalist zu arbeiten, dachte ich, dass der Journalismus auch das Unerzählte erzählt. Im Laufe der Jahre habe ich aber gemerkt, dass es eigentlich eine Art großer Kannibalismus ist: Einer schreibt etwas, dann schreibt der nächste etwas darüber, der Dritte macht eine Fernsehdokumentation und der Vierte noch ein Radiointerview daraus. Ich denke, dass viel Unerzähltes liegen bleibt. Auch weil die Journalisten oft weit weg sind von dem, was passiert. Und das ist auch das nächste Problem: der Schreibtischjournalismus.

Was meinen Sie damit konkret?

Foto: privat

Marc Bädorf. Foto: privat

Dass der Journalismus zu viel aus dem Büro heraus produziert wird und zu wenig vor Ort stattfindet. Wenn du als Reporter nicht miterlebst, nicht hörst, nicht riechst, dann ist es schwer einen guten Text zu schreiben. Denn wenn du Leute persönlich triffst, bist du viel intensiver in der Beobachtung.

Du lernst einen Menschen besser kennen als wenn du ihn eine halbe Stunde abtelefonierst. Die Kontakte, die für mich zum Kern des Journalismus gehören, bleiben viel eher länger bestehen. Du kannst dich immer wieder an deinen Ansprechpartner wenden. Deshalb würde ich unter anderem diese Schreibtischperspektive vieler Journalisten zumindest als schwierig bewerten.

Sie sagen „unter anderem“. Gibt es da noch mehr Kritikpunkte am Journalismus?

Ich halte es auch für ein großes Problem, dass die Berichterstattung im regionalen Journalismus so stadtkonzentriert ist. Vielleicht liegt es auch an meiner persönlichen Perspektive – ich komme aus einer kleinen Stadt in NRW – aber prinzipiell lebt ja ein Großteil der Bevölkerung auf dem Dorf oder in Kleinstädten. Der Diskurs in den Medien ist aber hauptsächlich aus städtischer Sicht geprägt.

Momentan wird zum Beispiel viel über Mobilität diskutiert: Wie machen wir es in der Stadt? Wer soll dort Fahrrad fahren, wer Auto und was für eins? In dem Diskurs, der sich vielleicht auf zehn bis 15 deutsche Städte mit einer bestimmten Größe beschränkt, merkt man, dass es nur ganz selten mal um die Provinz-, Land- oder Kleinstadtperspektive geht. Es interessiert scheinbar niemanden, wie man sich dort ohne Auto bewegt, was im Vergleich zur Stadt eine viel anspruchsvollere Aufgabe ist, dafür eine Lösung zu finden.

Dass die Journalisten an der Lebensrealität ihres Publikums vorbei berichten, gehört zu den größten Argumenten der Kritiker – Rezipienten fühlen sich unverstanden, können sich mit „ihrem“ Medium nicht mehr identifizieren, verlieren das Vertrauen. Wie stehen Sie zur „Vertrauenskrise“ im Journalismus?

Ich denke, dass sie auf einer veränderten Wahrnehmung beruht, weil der Kontakt zwischen Redaktion und Publikum intensiver geworden ist. Früher hat man drei oder vier Leserbriefe bekommen. Jetzt hat jeder die Möglichkeit, dich zu kontaktieren, und die Leute wenden sich natürlich immer erst mit Kritik an dich. Ich habe das Gefühl, dass der Journalismus das als Vertrauenskrise empfindet. Er muss zum ersten Mal lernen, auf Publikumskritik zu reagieren, und viele Journalisten können damit nicht so richtig umgehen oder es fällt ihnen schwer, es zu ertragen.

Außerdem glaube ich, dass das mit der „Vertrauenskrise“ von einer überrepräsentierten Gruppe kommt – also zum Beispiel von den Pegida-Anhängern, die ja eigentlich nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung sind, aber laut und öffentlichkeitswirksam „Lügenpresse“ schreien. Insgesamt sehe ich die „Vertrauenskrise“ im Journalismus aber eigentlich als eine Vertrauenskrise in einen großen Teil der Eliten – egal, ob das jetzt Politiker, Wissenschaftler oder Journalisten sind.

„Spezielle Dialogformate sind sinnvoll“

Ich höre raus, dass Sie den Dialog mit dem Publikum also für grundsätzlich und wichtig halten?

Absolut! Es geht im Journalismus ja auch immer darum, den Lesern andere Sichtweisen zu präsentieren. Solche, die sie bisher vielleicht noch nicht kannten. Und dann finde ich es immer ehrenhaft, wenn sich Leute wirklich damit auseinandersetzen. Sich hinsetzen und dir als Autor einen Brief schreiben, sich ernsthaft mit dir austauschen wollen. Und damit es auch zu einem Dialog zwischen Medien und Publikum wird, halte ich auch die speziellen Formate einiger Medien für sinnvoll. Zum Beispiel macht Die Zeit Veranstaltungen, bei denen die Journalisten mit den Lesern in Kontakt treten. Ich halte solche Formate auch für Lokalzeitungen für notwendig – weil man dadurch Präsenz zeigt, das Publikum einen kennenlernt und man mit ihm sprechen kann. Denn auch wenn Journalisten es nicht immer denken: Die Leute haben oft gar nicht so doofe Ideen, haben oft konkrete Wünsche, die dir ja auch helfen, wenn du in der Redaktion sitzt.

Damit sprechen Sie die Erwartungen des Publikums an den Journalismus an. Was denken Sie, welche das sind?

Ich denke, dass es sowohl den Wunsch nach Meinung als auch den nach Analyse gibt und dass dies klar voneinander getrennt werden soll. Ein Beispiel: Neulich war Tina Hassel von der ARD auf dem Parteitag der Grünen und hat davon sehr begeistert getwittert. Es hat sich ein bisschen angehört wie eine Pressesprecherin, was einigen aufgestoßen ist. Hätte sie ihre Meinung dazu in einem Kommentar gesagt, hätte das wahrscheinlich niemanden gestört, weil sie dann erkennbar die Rolle der Kommentatorin angenommen und diese nicht mit der der Beobachterin vermischt hätte. Deshalb denke ich, erwartet das Publikum eine klare und transparente Rollenteilung.

Jetzt haben Sie den digitalen Journalismus erwähnt, der zum Beispiel in sozialen Netzwerken wie Twitter stattfindet. Seit Jahren ist die zunehmende Digitalisierung eins der meist diskutierten Themen im Journalismus. Was denken Sie darüber?

Grundsätzlich glaube ich, dass die Digitalisierung viele Möglichkeiten bietet: Die Recherche wird erleichtert, das Publikum hat eine größere Auswahl, journalistische Beiträge können mehr Menschen erreichen, der Dialog mit ihnen wird einfacher. Daneben beobachte ich aber auch eine gewisse Aufgeregtheit der Journalisten. Alle haben von neuen Formaten gesprochen, von neuen Kanälen. Erst war Facebook der große Held, dann Snapchat, dann WhatsApp, jetzt ist es Instagram.

Dann fanden es eine Zeit lang viele Medien toll, riesige Multimedia-Storys zu produzieren, die letztlich aber nur von einem kleinen Teil des Publikums gelesen wurden und werden. Solche Trends verschwinden meiner Meinung nach genauso schnell wie sie kommen. Deswegen würde den Journalisten eine gewisse Unaufgeregtheit ganz guttun. Und gleichzeitig wäre es natürlich super, wenn langsam mal jemand eine Idee hätte, wie man mit digitalem Journalismus Geld verdienen kann.

Haben Sie eine Idee?

Nein, kein umfassendes Konzept. Aber ich denke, dass im Online-Markt eine größere Unterscheidbarkeit zwischen den einzelnen Magazinen wichtig wäre – so wie im Printbereich. Guckt man sich dort die einzelnen Magazine an, sind die sehr gut voneinander zu unterscheiden, auch von der Qualität. Wenn man das auch online schaffen würde, dass z.B. Spiegel Online weiter weg wäre von bild.de oder sz.de weiter weg wäre von faz.net, glaube ich, würde es sich auch eher lohnen. Allerdings gibt es natürlich das große Problem, dass man das Publikum jahrelang kostenlos erzogen hat.

„Information kann nur durch Recherche und Kontrolle stattfinden“

Dadurch gibt es im Netz eine Fülle freier Informationen, die das Publikum jederzeit abrufen kann. Da stellt sich die Frage: Braucht man den Journalismus in Zeiten von Digitalisierung überhaupt noch?

Die Qualität einer Demokratie ist in großen Teilen davon abhängig, wie sich die Öffentlichkeit informiert. Und diese Information kann nur durch Recherche und Kontrolle stattfinden, durch qualifizierten Journalismus. Wenn offensichtliche Falschmeldungen, Interpretationen oder zum Beispiel falsche Übersetzungen verbreitet werden – von denen es viele gibt, weil Leute irgendetwas vom Spanischen mit Google Translator übersetzen –, kann weder die Information der Öffentlichkeit noch eine richtige Entscheidungsfindung stattfinden. Dementsprechend ist Journalismus essentiell für eine Demokratie. Journalismus wird man immer brauchen.