Interviews Umdenken

Die Romantik des Erzählens

Elia Rediger

Interview mit Elia Rediger, Schweizer Künstler

Herr Rediger, kann ein Künstler überhaupt unpolitisch sein?


Elia Rediger: Nicht wenn du ein Künstler bist, der sich der Gesellschaft nicht entzieht. Ich glaube wenn grundsätzlich Kunst als eine Gesellschaftskomponente, als etwas Zusammengehörigkeit stiftendes gesehen wird, kann man sich dem Politischen nicht entziehen. Es sollte allerdings klar zwischen dem Politisieren und dem Politischen unterschieden werden: Kann ein Künstler ebenso politisieren, wie ein Politiker? Entwächst man der demokratischen Grundaufgabe eines Bürgers als Künstler, wenn man aktiv auf Machtverhältnisse und die Gesellschaft einwirkt?

Heißt aktiv auf Machtverhältnisse einwirken, dass politische Kunst gleichzusetzen ist mit Aktivismus?


Nein. Aktivismus heißt für mich, aktiv auf die Gesellschaft zuzugehen. Zeitgenössische Kunst oder kryptische politische Aussagen zu machen, ist noch kein Aktivismus.

Schaffen Sie die Trennung zwischen Künstler- und Bürgertum?


Das ist Teil des großen Dilemmas, in welchem ich mich bewege. Künstler- und Bürgertum geht existenziell Hand in Hand. Das Gute ist, dass dadurch die Arbeit eine zentrale Frage des Lebens ist. Andererseits bist du als ganzer Mensch blockiert, wenn es an einem Ende hapert. Dann zweifelt man an der Nachhaltigkeit dieses Lebensstils.

Wie sieht so eine Blockade aus?


Die Arbeit als Künstler kannst du zu Hause nicht ablegen. Beispiel Corona-Krise: Organisatorische Faktoren und Außeneinwirkungen machen es unmöglich, ganzheitlich an der Kunst herum zu denken. Das Rücksicht nehmen auf diese Gegebenheiten lässt uns zweifeln: Inwiefern ist das Werk noch eigenständig, wenn so radikal auf äußere Umstände reagiert werden muss?

Wir sollten uns nicht als Opfer des Systems sehen, sondern daraus ein Mittel machen. Obwohl ich mich nicht als ein solches Opfer sehe, ist es fordernd nicht zu resignieren. Um diesen Mechanismus zu überlisten, braucht es eine gewisse Selbstlüge. Jeder Künstler, der das nicht zugibt, lügt. Es gilt mit diesen Tricks im Kopf als Gruppe in Bewegung zu bleiben. Die Selbstständigkeit der Kunst, der Überlebensanspruch der Werke muss erhalten bleiben.

In welchen Situationen als Künstler haben Sie denn das Gefühl, dass Ihre politische Haltung wichtig ist?


Ganz eindeutig beim Zusammenbringen von Leuten. Man mobilisiert! Zum Beispiel in der „Liedermacher-“ oder „Popmusik-Kultur“ gründest du immer aufs Neue kleine, humanistische Vereine, die zusammen etwas Zeit verbringen – das ist ein sehr politischer Akt. Ebenso die Verantwortung als Künstler zu spüren, Sinnhaftigkeit in das Werk zu bekommen. Nach einem Konzert das Gefühl von Gleichgültigkeit zu haben, obwohl ich den Leuten „aufs Maul“ gegeben habe, macht mich elendig einsam und traurig.

Sie beschreiben Ihre Perspektive als Pop-Artist. Vergleicht man andere Genre, zum Beispiel das Theater mit der (klassischen) Musik, assoziiert man mit dem Theater viel eher politische Inhalte. Sind diese durch die Ebene der virtuosen Sprache dort einfacher zu vermitteln?


Ja, das ist eine Schwierigkeit, die nicht zu unterschätzen ist. Allerdings merke ich oft, dass sich Musiker sehr schnell geschlagen geben. Ich bin ohnehin ein Verfechter neuer Formen. Es gibt zum Beispiel zu wenige neue Poesie oder Libretti. Wir müssen zurück zur Tradition, das Erzählen von Geschichten in der Musik stattfinden zu lassen. Es wird sich zu sehr auf die Musik und deren Form konzentriert. Zum Beispiel funktioniert politischer Gesang heutzutage im Gewand eines Liedermachers überhaupt nicht mehr. Die Themen sind in die Comedy und Poetry-Slam Szene abgewandert.

Ihr Projekt „Hercúles de Lubumbashi“ ist ein sogenanntes Minenoratorium, das sich mit den Geschäften des Schweizer Rohstoffkonzerns Glencore im Kongo beschäftigt. Hätte dieses Projekt auch ein Rockalbum oder Liederzyklus sein können, um die gleiche Botschaft zu transportieren?


Auf keinen Fall. Das Projekt lebt sehr von der Musik Händels und der Arbeit mit einem Chor. Die größere Gruppe hat eine ganz andere repräsentative Wirkung, weswegen es niemals ein Soloabend mit zwei Darstellern hätte sein können. Zusammen ein Instrument zu werden ist in diesem Fall extrem wichtig, um das Pathos und die verhandelte Geschichte auszuhalten zu können.

Politische Kunst hat das Problem, oft mit einem Narrativ verknüpft zu sein, um dieses Pathos überhaupt vermitteln zu können. Um nicht in die Kitsch-Falle zu geraten, braucht es Brüche: das Einreißen des Schönen. Mit dieser gebrochenen Dialektik haben Musiker oft Schwierigkeiten, weil sie die hohe Kunst hinterfragt. Ich bin davon überzeugt, dass ein Künstler gerade in der heutigen Zeit mit dem Kitsch und der Romantik des Erzählens umgehen können muss. Dieses Spannungsfeld ist wichtig.

Schönheit im Sinne von niederschwelliger Zugänglichkeit?

Genau, die Suche nach der Harmoniebedürftigkeit der Menschen. In welchen diatonischen Parametern bewegt man sich beim Zusammensetzen von Klängen, deren Zerstörung oder beim Aushalten eines harmonischen Moments und ab wann wird dieser pathetisch? Ich glaube gerade für Männer ist dieses Aushalten eine schwierige Frage, weil in ihnen der Anteil von Kampf und Wut größer ist. Dieses Thema beschäftigt mich gerade sehr, auch in Bezug auf die Gender-Frage und wie wir in der heutigen Zeit Klänge wahrnehmen.

Wenn man Ihrem Herkules-Projekt im ersten Moment Gefälligkeit unterstellt, ergibt sich bei näherer Betrachtung doch eine Ebene voller Zorn und Ohnmacht, die sich nicht durchs Hören, sondern durch die individuelle Konfrontation im Nachhinein ergibt…

Das stimmt. Wahrscheinlich steckt mehr Wut darin, als ich mir zugestehe. Und die Musik tröstet, diese politische Wut der Ungerechtigkeit auszuhalten. Das ist aber keine Wut auf die Kunst.

Das Stück wurde in Deutschland und dem Kongo aufgeführt. Gab es Unterschiede in der Rezeption?

Nein, überhaupt nicht und das ist wirklich schön! Es wurde klar, eine Art universelle Sprache gefunden zu haben, egal ob beispielsweise Händel und dessen Referenzen gezogen werden konnten. Wenn eine Geschichte transportiert wird, funktioniert es.

In einem Interview beschreiben Sie, dass Ihnen am Kongo gefällt, dass dort das Hier und Jetzt stärker gelebt und gefeiert wird. Dieses Feiern findet beispielsweise in Deutschland oder im Speziellen in der Klassischen Musik überhaupt nicht statt.

Ja, das ist ein bisschen untergegangen. Es lohnt sich da dran zu bleiben, denn ich finde es gerade nicht sonderlich inspirierend, was ich da sehe. Das ist das gängige Problem der Klassik, dass sie so nostalgisch auf dem Alten und Traditionellen beruht.

Was müsste der Herkules unserer Zeit mitbringen?

Ich glaube, dass Herkules gerade vor allem viel Geduld haben muss. Er darf auch nicht zu zornig auf sich selbst sein, müsste eigentlich fast messianische Züge haben. Versöhnlich und trotzdem mutig zu bleiben, das ist sowieso eine Schwierigkeit. Zu versöhnlich zu sein, bedeutet vom System aufgefressen zu werden und zu mutig zu sein, schließt die Meisten aus. Diese Doppelbegabung ist sehr selten und schwer nachzuvollziehen.

Eine große Aufgabe…

Ja, absolut! Ich glaube aber, das ist die Aufgabe der Kunst: Aufmerksamkeit schaffen. Mut machen und in der Tradition der Ethik vorwärts zu gehen. Daran weiter zu arbeiten, ist ganz wichtig.

Woran genau weiterarbeiten?

Daran, dass wir eine Soße, eine Gesellschaft sind, die zusammenhalten muss. Kunst ist auch eine Form, die Zusammenspinnungen des Homo erectus zu feiern. Diese Reflexion ist inspirierend, um sagen zu können: Die Kunst folgt nicht der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft der Kunst. Diese Erzählung müssen wir weiterführen und daran glauben, dass die „Mächtigen“ auch nur Würste sind, die gerne in einer lebenswerten Gesellschaft leben möchten. Dieser Glaube an die Kunst ist eine große Aufgabe in der Tradition.

Eine Frage, die in der Corona-Krise größer denn je ist…

Auf jeden Fall! Leider ist die Hyperindividualisierung zur Norm geworden. Es gilt die Leute wieder an einen Tisch zu bekommen und zu sagen: „Hey, es lohnt sich hier zusammenzuspannen. Ohne Kompromiss, ohne Ausverkauf. Wir müssen hier jetzt irgendetwas Wuchtiges machen.“ – das ist die Arbeit an der Front, die gleichzeitig daran erinnert, in welchem sozialen Gefüge man innerhalb der Gesellschaft unterwegs ist.

Wir Künstler sind dafür da, große Worte wie Macht in den Mund zu nehmen. Wenn es stattdessen die Wirtschaft oder Politik tut, wird es richtig gefährlich. Wenn Künstler darüber sprechen und probieren Bilder zu kreieren, die Menschen inspirieren, dann ist es am Ende des Tages auch an der Gesellschaft zu akzeptieren, wie groß und bunt diese Bilder sein dürfen.

Man darf Kunst auch nicht immer als revolutionäres Mittel sehen, sondern auch einfach als Generator von Bildern, die einfach da sind, da sein müssen, um die Menschen immer wieder an den Rand der Möglichkeiten zu führen. Deshalb interessiert mich auch immer der utopische und psychologische Blick in die Unmöglichkeit: Was können wir kreieren und behaupten, was niemand anderes behaupten darf, weil es nicht bewiesen ist? Die Kunst darf behaupten, sogar mit schönem Schmackes, mit Liedern, mit Stücken und Symphonien – das ist toll.

Wie wird die Kunst denn jetzt aus der Corona-Krise hervorgehen?

Keine Ahnung. Ich wünsch mir, dass die Künstler sich auf die großen Themen werfen. Kein Schwein will jetzt noch irgendwie Corona als Thema haben, es sind ja alle müde.

Was hilft gegen diese Müdigkeit, auch im größeren Bezug auf unsere Demokratie?

Die Aktivierung der Gesellschaft weiterzuführen. Dass Demokratie weiterhin als Gefäß gesehen wird, das in Bewegung bleibt. Der Glaube aus einer evolutionären, humanistischen Sicht, dass Demokratie den Menschen etwas bringt, ohne dabei Autoritäten aufbauen zu müssen. Den Menschen klarzumachen, dass wir in Ambivalenzen leben und dass es auf gewisse Fragen nie eine Antwort geben wird, ist eine große Aufgabe, die ich auch als Aufgabe der Kunst sehe.

2 Kommentare

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