Interview mit Dr. Nico Piatkowski, KI-Experte
Ob in selbstfahrenden Autos, in der Medizintechnik oder in der Linguistik: Künstliche Intelligenz kann unser aller Leben in vielen Bereichen entscheidend erleichtern. Trotzdem sind intelligente Systeme noch weit davon entfernt, es mit dem Menschen aufnehmen zu können. Davon ist auch Dr. Nico Piatkowski überzeugt. Der Wissenschaftler arbeitet als PostDoc am Lehrstuhl für KI an der TU Dortmund und unterstützt in dieser Position zugleich das Forschungszentrum Maschinelles Lernen Rhein-Ruhr. Im Interview erklärt Piatkowski, mit welchen Herausforderungen die KI-Forschung derzeit noch zu kämpfen hat, was die USA Deutschland bei der Entwicklung intelligenter Systeme voraushaben und was es braucht, damit die Bundesrepublik international wettbewerbsfähig bleibt.
Herr Piatkowski, was treibt Sie als KI-Forscher an?
Dr. Nico Piatkowski: Im Grunde genommen habe ich mich schon immer für mathematische Zusammenhänge interessiert. Also vor allem für solche, mit denen man Probleme lösen kann. Als ich dann während meines Studiums festgestellt habe, dass auch anscheinend intelligentes Verhalten auf mathematische Optimierungsprobleme zurückzuführen ist, von da an wollte ich eigentlich nichts anderes mehr machen.
Mathematische Prinzipien lassen sich auf jeden beliebigen Aspekt in der Natur anwenden. Sowohl auf physikalische und chemische Fragestellungen als auch in der Astrophysik oder in der Linguistik, um Texte automatisiert zu verstehen oder neue zu erzeugen. Hinter all diesen unterschiedlichen Themen stecken die gleichen Zusammenhänge. Und eben diese Universalität ist auch der Grund dafür, warum ich in diesem Bereich so gerne forsche.
Zum Thema Spracherkennung: Noch vor 20 Jahren wäre es fast undenkbar gewesen, dass Sprachassistenten Fragen erkennen und beantworten können. Was kann KI heute leisten?
Die meisten der Techniken, die heutzutage kommerziell eingesetzt werden, gibt es tatsächlich schon seit 20 Jahren; wenn nicht gar noch länger. Schon damals haben sich Wissenschaftler überlegt, wie sich Sprache automatisiert verarbeiten lässt. Das Hauptproblem war dabei jedoch noch, dass es keinen Rechner gab, der große Mengen an Sprachdaten verarbeiten konnte. Wir hatten schlichtweg nicht die dafür notwendige Rechenleistung. Heutzutage hingegen hat beinahe jede Spielekonsole eine höhere Rechenleistung als alle Rechner damals zusammen.
Mit Verbreitung der sogenannten Grafikprozessoren kam dann bereits Mitte der 2000er die Frage auf: Wenn wir nun dank dieser über die entsprechende Rechenleistung in den Computern verfügen, können wir sie dann nicht noch anderweitig einsetzen? Dabei kamen schnell die künstliche Intelligenz und numerische Optimierung ins Spiel. Letztlich konnten mit Hilfe der Grafikprozessoren mathematische Lernprobleme, für deren Lösung man mit normalen Computern zuvor noch Jahre gebraucht hätte, nun innerhalb von Stunden entschlüsselt werden.
Künstliche Intelligenz – der Begriff klingt so, als wären die Systeme dem Menschen ähnlich…
Tatsächlich hört sich der Begriff künstliche Intelligenz danach an, als könnte man damit verschiedene Aufgaben lösen, ebenso vielseitig wie die menschliche Intelligenz. Das ist mit heutigen Techniken jedoch nicht möglich. Alle Systeme, die heutzutage entwickelt werden, sind für spezielle Aufgaben gedacht. Es handelt sich dabei um Spezialanfertigungen, die nur jeweils eine Aufgabe lösen können. Das System, das den Weltmeister im Go-Spielen besiegt hat, kann etwa kein Schach spielen. Das ist eine entscheidende Einschränkung im Vergleich zur menschlichen Intelligenz.
Und wo stößt KI noch an ihre Grenzen?
Mitunter sind unsere Computer noch immer zu langsam. In der KI gibt es einige mathematische Probleme, die so schwierig sind, dass wir mit unserer aktuellen Hardware nicht weiterkommen. Vielleicht kennen wir für diese Probleme sogar einen besseren Lösungsansatz. Trotzdem können wir sie mit der momentanen Leistungsfähigkeit unserer Rechner nicht in erträglicher Zeit bewältigen. Das würde immer noch Jahre dauern. Hier liegt die Hoffnung aktuell auf sogenannten Quantencomputern. Es wird versucht, die Probleme aus der KI auf die Berechnung von Quantencomputern abzubilden.
Eine weitere Einschränkung der Systeme besteht darin, dass wir zwar mit der Hardware die Probleme auf Großrechnern lösen können. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir die Systeme auch im Alltag einsetzen können. Obwohl es theoretisch möglich ist, Spracherkennungs-Systeme mit menschenähnlicher Erkennungsrate zu konstruieren, ist nicht zu erwarten, dass in naher Zukunft unsere Geräte komplexe Sprachanweisungen verstehen. Dafür benötigen wir aktuell noch Berechnungsressourcen, die den flächendeckenden Einsatz der Systeme für den Markt unwirtschaftlich machen.
Selbst, wenn wir mit unseren heutigen Algorithmen und Techniken also in der Lage sind, in einem Spiel wie Go den Menschen zu schlagen, dann benötigen wir dafür immer noch mehr als das Tausendfache der Ressourcen. Wenn wir eine allgegenwärtige KI wollen, die uns in unserem Alltag unterstützt, müssen wir den Ressourcenverbrauch in den Griff bekommen.
In puncto autonomes Fahren werden KI-Systeme aber bereits im Alltag eingesetzt.
Ja. Trotzdem sehen wir auch hier, wie KI derzeit noch an ihre Grenzen stößt – nämlich hinsichtlich der Schätzung von Unsicherheiten und von Gütegarantien. Nehmen wir beispielsweise an, Sie haben mit 17 Jahren Ihren Führerschein gemacht. Dann hat Ihr Gehirn bereits 17 Jahre lang Daten über die Welt gesammelt und verarbeitet. Das sind Daten, auf die Ihr Gehirn zurückgreifen kann, wenn Sie lernen wie man ein Auto fährt. Wenn hingegen ein KI-System für autonomes Fahren antrainiert wird, dann fängt es quasi bei null an.
Alles, was die KI weiß, muss sie aus den Daten lernen, die ihr zur Verfügung gestellt werden. Doch: Das sind in der Regel zu wenige Daten. Selbst, wenn dem System Millionen von Videos von Autofahrern für das Lernen zur Verfügung gestellt werden, ist dies nur ein Bruchteil der Daten, die ein menschliches Gehirn verarbeitet. Es ist wichtig zu verstehen, dass wire als Menschen auf Erfahrungen aus völlig unterschiedlichen Bereichen zurückgreifen können, wenn wir etwas Neues lernen. Ein KI-System kann dies noch nicht.
Diese Problematik betrifft sehr viele Anwendungsbereiche. Nämlich alle, die in irgendeiner Weise sicherheitskritisch sind – also bei selbstfahrenden Autos, Flugzeugen, Atomkraftwerken oder in der Medizin. Bei allem, was im Endeffekt kein Spielzeug ist, muss man eine gewisse Art von Verhalten von der KI garantieren können. Daran wird momentan intensiv geforscht. Auch, wenn es noch keine finale Lösung gibt. Darum ist die Forschung an KI heute auch so aktuell und spannend wie nie.
Nun befürchten viele Menschen, an ihrem Arbeitsplatz durch eine Maschine ersetzt zu werden. Wie begegnen Sie dieser Sorge?
Ich bin kein Freund davon, maschinellen Lernverfahren übermenschliche Fähigkeiten zuzusprechen. Trotzdem ist klar: Wenn eine KI eine Aufgabe ähnlich gut wie ein Mensch bewältigen kann, dann könnte man den Menschen durch die KI ersetzen. Man sollte sich aber vielmehr fragen, welche Tätigkeiten von KI profitieren können. Dabei sehe ich die KI als eine Art Unterstützungssystem. Auch beim Schreiben von Texten können KI-Systeme etwa helfen und dem Autor zum Beispiel eine grobe Struktur oder ganze Sätze vorschlagen. Sie können sich jedoch nicht selbst überlegen, worüber sie schreiben möchten. Insofern wird KI unsere Arbeitswelt verändern. Die Systeme werden den Menschen jedoch vielmehr unterstützen als ihn zu ersetzen.
Angesichts der großen Tech-Konzerne in den USA und China drängt sich die Frage auf: Ist Deutschland bei der KI-Forschung nicht schon längst abgehängt?
Nein. Gerade die großen Tech-Konzerne wie Google, Facebook oder Baidu machen so gut wie keine Grundlagenforschung. Dabei ist genau diese Form der Forschung das, was hilft, die zuvor besprochenen Probleme zu lösen. Die Konzerne stellen sich zwar auch entsprechende Fragen und schauen, wie sie etwa den Ressourcenverbrauch verringern können. Die Fragen beziehen sich aber meist auf ganz konkrete Anwendungen. Also auf diese eine Suchmaschine oder diesen einen Sprachgenerator. Es geht den Konzernen um die Verbesserung ihrer Produkte – und darin sind sie ziemlich gut. Aber das löst das Problem trotzdem nicht grundsätzlich.
Umgekehrt ist Deutschland was genau diese Grundlagenforschung angeht im internationalen Vergleich vorne mit dabei. Wir haben hierzulande einige große Forschungsinstitute, die im Grunde genommen nichts anderes machen, als an den Fragestellungen der KI zu forschen.
Und was braucht es, damit die KI-Forschung in Deutschland noch weiter voranschreitet?
Das sind vor allem mehr Professuren. Das ist etwas, was uns die Amerikaner wirklich voraushaben. Natürlich haben wir hierzulande ein anderes System. In den USA gibt es etwa Privat-Unis. Diese können wie ein Unternehmen relativ frei entscheiden, ob sie beispielsweise fünf neue Professoren für KI einstellen oder nicht.
In Deutschland ist das natürlich ein bürokratischer Akt. Es müssen Beamtenstellen geschaffen und besetzt werden. Das kann mitunter Jahre dauern. Jahre, in denen an jeder amerikanischen Universität schon fünf Professoren mehr an der Fragestellung forschen. Will Deutschland hierbei gleichziehen, müssten solche Prozesse deutlich beschleunigt werden.
Anfang Februar dieses Jahres hat die EU-Kommission ein neues KI-Weißbuch herausgegeben. Wir sehen also: Der europäische Markt soll hinsichtlich KI in Zukunft deutlich stärker reguliert werden. Ein richtiger Schritt?
Das kommt darauf an, um welche Vorschriften es sich hierbei handelt. Wenn ich beispielsweise in den Medien lese, dass Politiker im EU-Parlament sagen, wir müssen die Algorithmen kontrollieren – dann schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen! Es gibt anscheinend Leute mit Ängsten, die nicht wissen, worüber sie sprechen. Ein Algorithmus ist im Grunde eine mathematische Formel. Eine Kategorisierung von Formeln in gut oder schlecht ist weder sinnvoll noch möglich. Dieser Art von Regulierung stehe ich sehr skeptisch gegenüber.
Wenn es hingegen darum geht, dass KI, die in sicherheitskritischen Systemen läuft, zertifiziert wird, das ist wiederum vollkommen in Ordnung. Hier spielt außerdem Bildung eine große Rolle. Um zu verstehen, welche Art von Garantien oder Regularien überhaupt möglich sind, muss man sich vorher mit dem Thema auseinandergesetzt haben.
Pingback: Demokratie im digitalen Zeitalter - Digitale Zukunft