Interview mit Fridays for Future Aktivistin Ronja Hofmann
Ronja Hofmann ist 17 Jahre alt, macht im nächsten Jahr Abitur und engagiert sich seit etwa einem Jahr in der Fridays for Future Ortsgruppe in Lörrach (Baden-Württemberg). Dort ist sie mittlerweile für die Pressearbeit zuständig. Genauso wie Zehntausende andere junge Menschen aus Deutschland und Millionen auf der ganzen Welt fordert sie von der Politik mehr Klimaschutz und die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens. Ihre Mitstreiter und sie sind der lebende Beweis dafür, dass die junge Generation keineswegs demokratiemüde ist und sicherlich nicht nur an die nächste Abi-Party denkt. In den letzten Monaten standen die jungen Aktivisten aber vor einer großen Herausforderung: Wie baut man Druck auf Politik und Unternehmen auf, wenn öffentliche Großdemonstrationen nur stark eingeschränkt möglich sind?
Ronja Hofmann, Zeit für eine Bestandsaufnahme: Wo steht die Fridays for Future Bewegung deiner Meinung nach im Juni 2020?
Ronja Hofmann: Gerade wirkt es so ein bisschen, als ob die Bewegung stagnieren würde. Durch Corona wurde sie aus den Medien verdrängt, was schade ist. Ich finde, mittlerweile steht sie an einem Punkt, an dem sie ernst genommen wird und durch Inhalte punkten muss. Es reicht also nicht mehr, nur auf die Straße zu gehen, sondern man wird auch öfter mal gefragt, was man von bestimmten Themen hält. Wir müssen also inhaltlich konkreter werden.
Die Corona-Krise hat für völlig neue Voraussetzungen gesorgt: Große Demonstrationen waren nicht möglich, der öffentliche Fokus liegt auf der Bekämpfung des Virus, viele Menschen machen sich eher Sorgen um ihren Arbeitsplatz als ums Klima. Was bedeutet das für das Engagement einer jungen Klimaaktivistin?
Für mich hat das erst einmal bedeutet, dass ich mich mehr für Fridays for Future engagieren konnte. Ich glaube, das ging zuletzt vielen von uns so. Ich bin jetzt zum Beispiel Teil des Presseteams auf Bundesebene und bringe mich dort ein. Wir haben in der Corona-Krise natürlich versucht, den Fokus aufs Internet zu legen und dort Präsenz zu zeigen. Jetzt sind wir an dem Punkt, an dem Demonstrationen langsam wieder möglich sind, und wir wollen versuchen, wieder Demonstrationen hinzubekommen, ohne dass das Infektionsrisiko zu hoch ist.
Der Online-Klimastreik im April 2020, die Public Climate School im Mai 2020 oder die Proteste am Kraftwerk Datteln 4 haben längst nicht so hohe Wellen geschlagen wie eure globalen Klimastreiks im vergangenen Jahr. Hat Fridays for Future an Mobilisierungsfähigkeit und Strahlkraft verloren?
So kann man das nicht sagen. Das Problem ist einfach, dass die Straße, die eigentlich unsere Plattform war, durch Corona weggebrochen ist. Am besten funktionieren immer noch analoge Aktionen gepaart mit Aktionen im Netz. Hier in Lörrach haben wir zuletzt auch geschaut, dass wir nicht zu stark zu öffentlichen Protesten aufrufen, einfach damit es nicht zu voll wird. Es wirkt natürlich so, als ob viel weniger Leute Interesse haben. Ich denke aber schon, dass wir wieder mehr Leute auf die Straße holen können, wenn die Pandemie vorbei oder zumindest weiter eingedämmt ist. Dann werden sich die Leute auch wieder fürs Klima interessieren.
Schon bevor die Corona-Krise kam, habt ihr einen Kurswechsel eingeschlagen: Weg von freitäglichen Demonstrationen, hin zu projektbezogenem Arbeiten und Protesten. Wie stehst du zu diesem Kurs? Müsst ihr ihn noch einmal überdenken?
Als Bewegung probieren wir gerade verschiedene Dinge – zum Beispiel neue Bündnisse – aus und schauen, was welche Wirkung zeigt. Ich bin persönlich offen für mehr Projektarbeit. Ich denke aber, dass wir trotzdem große Demonstrationen machen sollten, sobald es wieder möglich ist, weil sie einfach immer noch die größte Wirkung entfalten. Wir sollten aber gleichzeitig nicht nur diejenigen sein, die Maßnahmen fordern, sondern auf lokaler Ebene auch aktiv gestalten, zum Beispiel mit Müllsammelaktionen. Wir sollten zeigen, dass wir beides tun: Fordern, aber auch aktiv handeln.
Die Corona-Krise hat den Eindruck, dass sich Fridays for Future an einem Wendepunkt befindet, noch verstärkt. Wieviel schwieriger ist es denn durch Corona geworden, überhaupt noch neue Leute für Fridays for Future zu gewinnen?
Gerade bei Online-Streiks erreichen wir natürlich eher unsere eigene Blase, die einem sowieso schon auf Instagram folgt. In unser Organisationsteam kommen alle ein bis zwei Monate neue Leute. Weil wir kaum analoge Aktionen gemacht haben, finde ich es schwer zu beurteilen, wie es für unsere gesamte Bewegung in Lörrach aussieht. Bei öffentlichen Protesten sieht man ja direkt, wenn jemand Neues dabei ist. Aber natürlich war es gerade in der Corona-Hochzeit sehr schwer, neue Leute zu gewinnen.
Um eine breite Masse zu erreichen, seid ihr auch auf die Berichterstattung der Medien angewiesen. Die haben sich in den letzten Monaten aber sehr auf die Corona-Krise und ihre Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft fokussiert. Warum ist die Klimakrise aus der öffentlichen Diskussion fast komplett verschwunden?
Die Folgen der Klimakrise sieht man derzeit noch nicht, die Folgen der Corona-Krise hat man aber direkt vor Augen. Bei der Corona-Krise ist das Handeln außerdem direkt mit dem Erfolg bzw. dem ausbleibenden Erfolg verknüpft. Man sieht es innerhalb von zwei Wochen, was gewisse Maßnahmen zur Folge haben. Bei der Klimakrise sehen wir jetzt noch nicht direkt, was unser Handeln bzw. Nichthandeln in Zukunft auslösen wird. Wir wissen es zwar, aber viele verdrängen es. Es ist einfacher, etwas zu verdrängen, das in der Zukunft stattfindet, als etwas, was man direkt sieht, was man direkt vor Augen hat. Bei Corona kann man sich nicht mehr einreden, dass es einen nicht betrifft. Sicherlich überfordert es auch viele, zwei Krisen ernst zu nehmen. Da entscheiden sich wahrscheinlich die meisten Leute für die Corona-Krise, weil sie viel aktueller erscheint. Dabei sind beide Krisen sehr aktuell. Ich finde, die Corona-Krise hat gezeigt, dass es zum Erfolg führt, wenn wir Krisen ernst nehmen und sowohl die Politik als auch jeder Einzelne aktiv handeln. Das ist etwas Wichtiges, was wir für die Klimakrise lernen können: Wir brauchen sowohl die Politik mit gewissen Maßnahmen und Vorgaben als auch jeden Einzelnen.
Was fühlt sich für dich bedrohlicher an: das Coronavirus und seine Folgen oder die Klimakrise?
Ganz klar: die Klimakrise. Einfach weil sie so unglaublich groß wirkt und wir die Folgen nicht so wirklich einschätzen können. Wenn man sich die Forschung anschaut, weiß man, dass sie höchstwahrscheinlich viel mehr Todesopfer fordern wird als Corona jetzt gerade. Ich habe das Gefühl, dass Deutschland die Corona-Krise bisher gut gemeistert hat. Ich persönlich habe auch nicht so große Angst davor, mich anzustecken, vielleicht weil ich noch sehr jung bin. Trotzdem halte ich mich natürlich an die Abstands- und Hygieneregeln. Die Klimakrise wird mich noch viel länger betreffen und mir noch viel länger Angst einjagen als die Corona-Krise, die hoffentlich in einem Jahr vorbei ist, wenn ein Impfstoff gefunden wurde.
In der Corona-Krise haben Bundesregierung und Länder Maßnahmen beschlossen, die ihr seit mehr als einem Jahr gefordert habt und die Politik immer als illusorisch abgetan hat. Wie sehr ärgert dich das als Klimaaktivistin?
Das ärgert mich nicht wirklich. Es ist ja langfristig nicht wünschenswert, dass die Wirtschaft auf so eine Art und Weise heruntergefahren wird. Langfristig gesehen ist das nicht klimafreundlicher. Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass die Regierung damit unsere Forderungen umgesetzt hat, sondern einfach aus Wirtschaftsinteresse gehandelt hat, so wie zuvor auch. Ich glaube, die breite Masse steht sicher nicht dahinter, dass der Flugverkehr in Zukunft weiter so laufen soll wie zurzeit. Emissionen reduzieren ist natürlich sehr wichtig, aber auf diese Art und Weise ist das nicht nachhaltig. Vor allem wenn die Regierung gewisse Branchen jetzt wieder mit Fördergeldern unterstützt.
Kurzfristig scheint sich die Corona-Krise positiv aufs Klima auszuwirken: Weniger Flüge, weniger Autoverkehr, Fabriken standen still. Welche Chancen birgt diese Krise fürs Klima?
Die Krise an sich würde ich nicht als Chance bezeichnen, das ist mir zu euphemistisch. Die Tatsache, dass die Emissionen kurzfristig sinken, heißt nicht, dass es langfristig so bleibt, sondern eher im Gegenteil: Durch die Subventionen klimaschädlicher Industrien wird versucht, das sozusagen nachzuholen. Das ist nicht klimafreundlich. Die einzige Chance, die ich darin sehe, ist, dass wir aus der Corona-Krise etwas über Krisen gelernt haben: Dass es wichtig ist, Krisen ernst zu nehmen, und dass sowohl die Politik als auch jeder Einzelne gefragt ist, damit eine Gesellschaft durch so eine Krise kommt.
Ob die Corona-Krise auch langfristig positive Folgen fürs Klima hat, entscheidet sich nicht zuletzt durch die Konjunkturpakete zum Wiederaufbau der Wirtschaft. Die Bundesregierung hat ihres bereits beschlossen, die Europäische Union arbeitet noch an einem zustimmungsfähigen Konzept. Wie groß ist deine Angst, dass diese Fördergelder wieder in alte Strukturen fließen?
Die Angst ist schon ziemlich groß. Natürlich wird oft gesagt, dass die Konjunkturpakete nachhaltig sein sollen. Es wird jetzt vielleicht mehr darauf geachtet als vor zwei Jahren, aber das reicht noch lange nicht. Es ist fast ein bisschen wie Greenwashing. Klar, die Abwrackprämie 2.0 wurde verhindert, aber das heißt noch lange nicht, dass das Konjunkturpaket klimafreundlich ist. Da hätte die Regierung noch viel mehr Investitionen in zukunftsgerichtete Technologien beschließen müssen.
Nicht zuletzt durch die Forderung nach einer Kaufprämie ist deutlich geworden, dass zum Beispiel Autohersteller viel Lobby-Arbeit betreiben. Zur Überraschung vieler hat sich die Branche damit nicht durchsetzen können. Wie könnt ihr als Bewegung der Straße, die momentan nicht mal auf die Straße gehen darf, gegen solche mächtigen Lobby-Verbände ankommen?
Das ist sehr schwer, weil wir finanziell natürlich viel schwächer aufgestellt sind. Ich glaube, dass wir zum einen mit Argumenten und zum anderen mit Menschen, die uns aktiv unterstützen, dagegen angehen können. Je mehr Unterstützung wir haben, je mehr wir das Gefühl bekommen, dass die breite Bevölkerung und nicht nur ein bestimmtes Milieu uns unterstützt, desto mehr wird auf uns gehört. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir einen Gegenpol bilden zu den Lobbyisten und sowohl die Politik als auch die Bevölkerung mit Argumenten überzeugen.
Um die Wirtschaft in einem wirklich ökologischen Sinne umzubauen, bräuchte es doch eigentlich eine radikale Abkehr von unserem derzeitigen Wirtschaftssystem, das solche Lobby-Gruppen erst so mächtig gemacht hat: dem Kapitalismus. Seht ihr das bei Fridays for Future auch so?
Es gibt bei Fridays for Future unterschiedliche Meinungen dazu. Wir bleiben der sozialen Marktwirtschaft auf jeden Fall treu. Es geht aber trotzdem darum, den Kapitalismus und seine mächtigen Treiber zumindest ein wenig zu zähmen. Wir wollen uns für diejenigen einsetzen, die nicht so stark von der Globalisierung profitieren, ohne allerdings das gesamte Wirtschaftssystem abzuschaffen.
Zuletzt habt ihr euch mit der Gewerkschaft ver.di und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband zusammengeschlossen, um kluge und nachhaltige Investitionen zu fordern. Sind solche Kooperationen ein Modell für die Zukunft?
Diese Kooperationen zeigen, dass hinter bestimmten Forderungen nicht nur Fridays for Future steht, sondern zum Beispiel auch Gewerkschaften, die nach wie vor einen großen Einfluss haben. Deshalb glaube ich persönlich, dass das ein gutes Modell ist. Andererseits gibt es an diesen Kooperationen auch Kritik, weil Gewerkschaften oder andere Verbände in manchen Punkten andere Interessen vertreten als wir.
Im September 2021 findet die nächste Bundestagswahl statt. Welche Rolle spielt die Wahl bereits in euren Überlegungen?
Natürlich haben wir das im Hinterkopf und wollen auch diese Wahl eindeutig zur Klimawahl machen. Davor wird es sicher unglaublich viele Proteste geben. Wir orientieren uns ja größtenteils an aktuellen politischen Entscheidungen und kritisieren sie. Deshalb ist es jetzt noch ein bisschen weit hin, zu prognostizieren, welche politischen Entscheidungen vor der Wahl aktuell sein werden, die wir dann hinterfragen können. Momentan konzentrieren wir uns auf die Konjunkturpakete und darauf, dass die Klimakrise von der Bevölkerung nicht vergessen wird.
Braucht Fridays for Future nicht eine langfristige Strategie mit Blick auf die Bundestagswahl, wenn es zu einem echten Wandel kommen soll?
Ich glaube nicht, dass das für unsere Bewegung möglich ist, weil sie sehr dynamisch ist, sich noch entwickelt und sich stark an aktuellen politischen Entscheidungen orientiert. Deshalb glaube ich, dass es nicht sinnvoll ist, eine langfristige Strategie zu erarbeiten. Diese Strategie wird nicht mehr aktuell sein, wenn sie dann gebraucht wird.
Welche Bedeutung hat die Bundestagswahl für dich mit Blick auf die Klimakrise?
Ich glaube auf jeden Fall, dass die nächste Wahl sehr entscheidend wird. Danach wird es noch mehr darauf ankommen, dass Klimaschutz ernst genommen wird. Je länger wir so weitermachen wie bisher, desto drastischer müssen die Maßnahmen irgendwann werden, um die Klimaziele aus dem Übereinkommen von Paris einzuhalten.
Wie könnt ihr mit Blick auf die Wahl wieder in Schwung kommen? Liegt die Lösung vielleicht in einer noch stärkeren digitalen Vernetzung und attraktiven digitalen Großveranstaltungen?
Ich glaube, dass die digitale Vernetzung schon jetzt ganz gut ist. Vor der Wahl wird es wichtig sein, Bürger aus allen Milieus zu erreichen. Das passiert digital weniger als bei analogen Aktionen. Deshalb denke ich, dass Großdemonstrationen unerlässlich sein werden. Sie werden der wesentliche Faktor sein. Nur digital können wir, glaube ich, nicht so viel erreichen.
In der Corona-Krise sonnen sich Spitzenpolitiker und Regierungsmitglieder in ihren traumhaften Umfragewerten. Sie konnten sich in den letzten Monaten als Krisenmanager inszenieren, als die starke Exekutive. Wird es für euch in so einem politischen Klima nicht unheimlich schwer, für einen echten Wandel zu werben?
Die Bevölkerung bewertet das Krisenmanagement der Politiker zwar größtenteils sehr positiv. Nichtsdestotrotz können wir ja weiter kritisieren, dass die Klimakrise von der Bundesregierung ganz anders angegangen werden muss. Langfristig wird man vielleicht im Hinterkopf behalten, dass die Regierung die Corona-Krise gut bewältigt hat. Die Bewältigung der Klimakrise braucht aber ganz andere Schwerpunkte.
Zum Abschluss noch der Blick in die Glaskugel und die Frage: Quo vadis, Fridays for Future?
Ich denke, die Bewegung wird so lange existieren, wie es nötig ist. Und das wird leider sehr lange sein. Konkret sagen kann ich das noch nicht, weil ich noch nicht einschätzen kann, wie die Politik in ein paar Jahren ticken wird und welche Ereignisse für unser Handeln ausschlaggebend sein werden. Wir werden auf jeden Fall weitermachen und sind bundesweit und auch weltweit bestens digital vernetzt. In welcher Form wir das machen werden, wird sich zeigen. Ich persönlich gehe davon aus, dass es weiterhin große Demonstrationen oder andere öffentlichkeitswirksame Aktionen sein werden. Wir sind einfach eine sehr dynamische Bewegung. Deshalb lässt sich schon schwer sagen, wo wir jetzt gerade stehen. Umso schwerer ist es, eine Einschätzung abzugeben, wo wir in fünf oder zehn Jahren stehen werden. Wir müssen uns einfach darauf einlassen.
In welche Richtung wird es denn konkret gehen? Wird eure Bewegung noch größer werden oder hat die Bevölkerung irgendwann die Schnauze voll von der Klimakrise?
Ich glaube, dass wir langfristig auf jeden Fall stärker werden. Einfach weil der Klimawandel und seine Folgen immer präsenter werden. Die Auswirkungen werden in den nächsten Jahren immer krasser deutlich werden, so dass die Bevölkerung nicht mehr die Augen davor verschließen kann. Dann wird den Leuten bewusst werden, dass wir handeln müssen, weil das eigene Leben oder das ihrer Kinder und Enkel bedroht ist. Deshalb denke ich, dass wir langfristig mehr Zuspruch bekommen und noch mehr Leute hinter uns versammeln werden.