Kleine Online-Portale berichten über Sportarten, die sonst nicht so oft im Fokus der Medien stehen. Häufig berichten sie aus der Nische und für die Nische – zum Beispiel über Reitturniere. Die Digitalisierung sorgt dafür, dass Informationen nicht mehr nur klassischen Medienakteuren zur Verfügung stehen. Doch wie viel Journalismus steckt in der Online-Berichterstattung über Sportarten, die wir als Randsport wahrnehmen?
„Wir wollen als Newsanbieter wahrgenommen werden“, sagt Jan Köster, und das scheint erst einmal nicht überraschend. Denn das Portal Horseweb, für das er arbeitet, bietet Nachrichten und Informationen zum Pferdesport. Doch Köster ist kein Journalist, sondern Produktmanager einer Werbeagentur. Horseweb ist ein Projekt, mit dem diese Agentur Geld verdienen will. Im Internet gibt es zahlreiche solcher Portale, die über Sportarten berichten, die sonst nicht so viel Aufmerksamkeit erfahren. Sie füllen eine Nische, die etablierte Medien nicht ausreichend besetzen – jedenfalls aus Sicht der Sportler und ihrer Fans.
Informationen für Hobbysportler
Jan Köster hat eine sehr genaue Vorstellung von seiner Zielgruppe: weiblich, etwa 25 bis 40 Jahre alt. Eine zahlungskräftige Gruppe, die sich stark mit ihrem Hobby identifiziert. Für sie soll Horseweb die erste Anlaufstelle für Informationen rund um den Pferdesport sein, sagt Köster. Auf der Seite gibt es einen endlosen Stream an Beiträgen, jeden Tag kommen mehrere hinzu. Einige davon werden aus der Redaktion erstellt, zum Beispiel ein täglicher Morgen-Newsletter oder kürzere Berichte. Viele werden allerdings auf der Startseite nur angeteasert. Klickt man auf diesen Teaser, landet man bei einem Fremdanbieter – anderen Pferdesport-Seiten, Berichten von Regionalzeitungen oder Videos. Horseweb macht also auch Reichweite mit der Arbeit anderer Anbieter, ohne sie dafür zu entlohnen. Köster beschreibt das etwas anders: „Wir sind ein News-Aggregator.“
Pro Monat erreicht Horseweb nach eigenen Angeben mehr als 150.000 Nutzer, die mehr als eine Million Klicks machen. „Horseweb verstehen wir als Produkt“, sagt Köster, „und das müssen wir immer weiterentwickeln.“ Ziel sei es, noch mehr zu automatisieren. Das bedeutet im Idealfall für Horseweb: noch mehr Reichweite bei gleichbleibenden Kosten. Das klingt distanziert und wenig nach journalistischer Leidenschaft. Genau genommen war der Journalismus ja schon immer ein Produkt, schließlich haben Verlage ihre Zeitungen verkauft, um damit Geld zu verdienen. Doch mit der Digitalisierung hat sich die Rolle des Journalismus verändert.
Wer ist heute Gatekeeper?
Klassische Aufgaben journalistischer Akteure können einfacher von Laien übernommen werden, in der Wissenschaft spricht man auch vom Bürgerjournalismus. Aber die Aufgaben können auch von professionellen Anbietern übernommen werden, die ein journalistisches oder journalistisch erscheinendes Angebot als Vertriebskanal nutzen. In der Kommunikationsforschung wird die Rolle der Journalisten gern mit dem Begriff des „Gatekeepers“ beschrieben, oft übersetzt mit Torwächter. Dieser Begriff geht auf David Manning White zurück.
Der Wissenschaftler wendete das Modell 1950 als einer der ersten auf den Journalismus und dessen gesellschaftliche Funktion an. An diesem Modell lässt sich gut beschreiben, wie die Digitalisierung den Sportjournalismus verändert hat und noch weiter verändert. Die einfache Version sieht so aus: Auf der einen Seite gibt es ein großes Angebot an Informationen, auf der anderen Seite eine Gruppe Menschen, die an Informationen interessiert ist. Dazwischen sitzt der Journalist als Torwächter. Er entscheidet, welche Informationen er aus dem großen Pool auswählen und an die Rezipienten weitergeben will.
Dieses Modell ist natürlich stark vereinfacht, doch es zeigt, welche Rolle der Journalismus lange hatte. Klassische Medienakteure waren der wichtigste Filter zwischen dem, was in der Welt passiert, und dem Publikum. Mit dem Internet zog allerdings ein revolutionäres Versprechen in die Haushalte ein: ein freier Zugang zu Informationen, zu kuratierten ebenso wie zu Originalquellen. Das Gatekeeping-Modell wurde mit diesen Veränderungen immer wieder angepasst, inzwischen kursieren diverse Versionen. Allesamt komplexe Gebilde aus Sender- Empfänger-Wegen. Es gibt nicht mehr den einen Torwächter, der den Informationsfluss bestimmt, sondern viele davon. Diese sogenannten „neuen Gatekeeper“ können die unterschiedlichsten Akteure sein – mit sehr unterschiedlichen Motivationen.
Positiv für Nischensportler und Fans
Das verändert auch den Sportjournalismus. Ob positiv oder negativ,
ist eine Frage der Perspektive: Für klassische Medienakteure wie Tageszeitungen bedeutet dieser Wandel, dass ihre Bedeutung als Informationsquelle in einigen Bereichen abnimmt. Die Sportvereine bieten zum Beispiel eigene exklusive Videos und Texte an, die sie über Social Media direkt an die Fans bringen. Viele Sportdaten wie Ergebnisse oder Statistiken sind in Echtzeit bei verschiedenen Anbietern kostenlos abrufbar.
Das führt zur zweiten Perspektive dieses Medienwandels: Positiv ist diese Entwicklung aus Sicht von Nischensportlern und deren Fans. Denn sie sind weniger auf Präsenz in klassischen Medien angewiesen als früher. Zum einen, weil die Sportlerinnen und Sportler ihre Fans direkt erreichen können. Zum anderen sind aber auch die Hürden gesunken, über Sportarten zu berichten. In der Wirtschaft spricht man von „Markteintrittsbarrieren“: Wie ist ein bestehender Markt aufgeteilt, und was muss ein neuer Akteur investieren, um an diesem Markt teilzunehmen?
Kaum Markteintrittsbarrieren
Im Falle des Journalismus sind die Kosten inzwischen fast vernachlässigbar. Über Blog- oder Videoplattformen kann jeder kostenlos eigene Beiträge veröffentlichen, eine eigene Homepage gibt es für einen zweistelligen Betrag pro Jahr. Wer über das Internet auf Informationen zugreift, kann also mit wenig Aufwand direkt zum Sender werden. Für viele Nischensportarten gibt es deshalb eigene Informationsangebote – von kleinen Seiten über Bogensport, die als Hobby betrieben werden, bis zu professionellen, von Marketingagenturen betriebenen Portalen wie Horseweb.
Das Phänomen der Nischensport-Portale ist wissenschaftlich noch nicht ausführlich untersucht. Es wäre aber einen genaueren Blick wert. Denn die wichtigste Frage ist, welche Auswirkungen diese Entwicklung auf die Informationsgesellschaft hat. Werden journalistische Standards eingehalten, zum Beispiel ein Zwei-Quellen-Prinzip oder die Trennung von
Berichterstattung und Werbung? Besonders bei den Angeboten, deren Redaktion nur aus einem oder wenigen Personen besteht, dürfte eine klare Trennung schwierig sein.
Bei Horseweb haben sie sich für eine eindeutige Kennzeichnung entschieden. Ursprünglich liefen Werbebeiträge unter einem eigenen Menüpunkt, inzwischen haben die Betreiber ein eigenständiges Business-Portal mit eigener Webadresse aufgebaut. Das funktioniert wie ein Branchenbuch, das diverse Dienstleistungen rund um den Reitsport bündelt. Die Reichweite, die die Horseweb-Seite mit ihren Nachrichten und Teasern generiert, wird genutzt, um die Anzeigen-Banner auf der Seite an Kunden zu verkaufen. Und sie wird genutzt, um Nutzer zum Branchenportal zu leiten.
Ist Horseweb denn ein journalistisches Angebot, wenn der Fokus eigentlich darauf liegt, Nutzer zu einem anderen Produkt zu lenken? Diese würden ja tatsächlich journalistische Angebote kriegen, argumentiert Köster. Aber ganz festlegen will er sich nicht: „Die Marketingsicht ist bei uns schon sehr wichtig.“
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