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Kneipensport für Millionen

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Wer 20 Jahre zurückblickt wird feststellen, dass Dart damals ein beliebtes Kneipenspiel war, aber mehr nicht. Für internationale Wettkämpfe interessierten sich nur wenige Insider. Dart war eine typische Randsportart ohne große Perspektiven. Der Gewinner einer Weltmeisterschaft kassierte gerade einmal 20.000 britische Pfund und wirklich davon leben konnte maximal eine Hand voll Spieler. Zwanzig Jahre später ist alles anders. Dart ist zu einer der weltweit am schnellsten wachsenden Sportarten geworden. Die Professional Darts Corporation (PDC) wird  2019 über 15 Millionen Euro Preisgelder an ihre Spieler ausschütten, der Kalender enthält 208 Turniertage. Die kommende Weltmeisterschaft wurde von 72 auf 96 Teilnehmer aufgestockt. Diese Rekordwerte zeigen, dass es einen Dart-Boom gibt.

Auch in Deutschland ist diese Begeisterung angekommen. In der Spitze verfolgten drei Millionen Menschen das Finale der vergangenen Weltmeisterschaft im deutschen Fernsehen. Bei diversen Turnieren in Deutschland strömten 2018 über 250.000 Zuschauer in die Hallen. Höhepunkt war das German Darts Masters am 25. Mai auf Schalke, bei dem mit 20.200 Besuchern ein Zuschauer-Weltrekord aufgestellt wurde.

Im kommenden Jahr wird an mindestens 30 Tagen in Deutschland gespielt. Auf mehr Dart-Veranstaltungen kommt nur England. Hat man diese Zahlen vor Augen, ist es erstaunlich, dass es noch keinen deutschen Spitzenspieler gibt und der Dartsport trotzdem so gut funktioniert. Die Ursprünge von Dart liegen in Großbritannien. Dort war das Spiel mit den drei Pfeilen schon seit dem frühen 20. Jahrhundert Volkssport und seit den 1970er Jahren gab es TV-Übertragungen. 1992 entschloss sich eine kleine Anzahl von Spielern, den bisherigen Verband, die British Darts Organisation (BDO) zu verlassen und eine eigene Vereinigung mit mehr Turnieren ins Leben zu rufen.

Daraus entstand zunächst das World Darts Council (WDC), zwei Jahre später erfolgte die Umbenennung in Professional Darts Corporation. Es brauchte dennoch einen entsprechenden Promoter, um bei der PDC einen großen Durchbruch zu schaffen. „In England wurde in den späten 90er Jahren Barry Hearn auf Darts aufmerksam. Der erfolgreiche Box-Promoter von Lennox Lewis hatte schon Snooker zu einem Höhenflug bewegt und er setzte die Erfolgsstory dann beim Darts weiter fort“, sagt Carsten Arlt. Er ist Turnierdirektor bei der PDC Europe, also dem Partner der Professional Darts Corporation für das europäische Festland.

Eintausend Tickets in einer Woche

In Deutschland wurde seit den 70er Jahren organisiert Dart gespielt. Zunächst nur in den Regionen, wo britische oder amerikanische Soldaten stationiert waren. In den späten 80er Jahren kam der erste Boom, als immer mehr Vereine gegründet und Turniere angeboten wurden. Das funktionierte zu dieser Zeit über Mundzu-Mund Propaganda, zu Zeiten ohne Internet fand Dart in den Medien nahezu nicht statt. Etwa zur selben Zeit fasste auch Elektronik-Dart in Deutschland Fuß. Der entscheidende Schritt aus der Nische gelang mit TV-Präsenz. „In den 90er Jahren gab es schon erste Fernsehübertragungen, doch diese mussten bei den Sendern noch gekauft werden“, sagt Carsten Arlt. Die große Wende, die alles veränderte, kam 2005, als das DSF (heute Sport1) ein Pendant zum äußerst erfolgreichen Snooker auf Eurosport zeigen wollte.

Der Sender kaufte ein Paket, zu dem neben Pool-Billard auch Dart gehörte. „Und wo man schon die Rechte hatte und es zu Weihnachten eh nicht viel Aktuelles zu berichten gab, entschied man sich, die PDC Weltmeisterschaft 2005 in Ausschnitten live zu übertragen“, sagt Arlt. Ein weiterer Glücksfall war, dass Werner von Moltke, heute Chairman der PDC Europe, diese Übertragungen im Ski-Urlaub verfolgte und sich entschied, solche Events auch nach Deutschland zu holen. Für Carsten Arlt ein Meilenstein: „Anfangs wurde von Moltke noch von allen Insidern belächelt, aber schon das erste Groß-Event, Meet the Power 2006 in München, zeigte was möglich ist.“

Eintausend Tickets wurden innerhalb einer Woche verkauft, für damalige Verhältnisse enorm viele. Am Ende war es in Großbritannien und später dann auch in Deutschland eine einfache Rechnung. Eine stärkere Präsenz im Fernsehen führt zu mehr Beachtung in der Öffentlichkeit und auch bei der werbetreibenden Industrie. So zeigte das damalige DSF bald schon nicht mehr nur die Weltmeisterschaft, sondern auch andere Majorturniere der PDC.

Untypische Entwicklung

Mehr Sponsoren führten zu weiteren Übertragungen und die Preisgelder bei den Turnieren konnten angehoben werden. Der neue TV-Vertrag für Deutschland und Österreich wurde für die Jahre 2017 bis 2021 abgeschlossen und die Rechte waren fünf Mal so teuer wie beim vorherigen Vertrag. Das verkündete Barry Hearn bei einer Pressekonferenz bei der Weltmeisterschaft 2017. Daher konnte auch Sport1 als übertragender Sender nicht mehr mithalten und der Online-Anbieter DAZN sicherte sich die Exklusivrechte. Sport1 zeigt nur noch fünf große Turniere im Jahr.

Einen weiteren Schritt in der Digitalisierung ging die Professional Darts Corporation ab 2013. Mit einem eigenen Livescoring-System ist es inzwischen möglich, diverse Statistiken live zu verfolgen. Heute verpassen die Fans dadurch auch von Turnieren außerhalb der TV-Bühnen keinen einzigen Pfeil. Die Entwicklung von Dart ist allerdings sehr untypisch für die deutsche Sportwelt. Während es in anderen Sportarten den großen Boom erst nach einem deutschen Helden gab, funktioniert Dart auch ohne.

Laut Carsten Arlt hat der Dartsport einen großen Vorteil: „Nahezu alle Sportarten können nur von einem begrenzten Teil der Öffentlichkeit betrieben werden und sind neben größeren körperlichen Anstrengungen auch nur in einer bestimmten Zeitspanne möglich.“ Drei Stunden Dart seien körperlich auch herausfordernd, aber nicht mit einem Langstreckenlauf zu vergleichen. Hinzu komme die finanzielle Seite, viele Sportarten seien mit hohen Kosten verbunden.

Mischung aus Sport und Party

„Darts hat diese Nachteile nicht, dort kann man mit 16 oder mit 60 noch Weltmeister werden.“ Dart funktioniert aber auch für die Fans, die den Sport nur am Bildschirm oder in den Arenen verfolgen. Im TV wird das Geschehen spannend inszeniert, der Zuschauer ist mitten drin. Hinzu kommt, dass Dart ein kurzweiliges Format ist. Im Minutentakt fallen Zwischenentscheidungen oder es gibt interessante Momente. Außerdem ist es eine Mischung aus Präzisionssport und einer großen Party im Publikum. Die Zuschauer verkleiden sich und die gute Stimmung kommt auch in den Wohnzimmern an.

Ohne diese Kombination würde Dart wohl in Deutschland längst nicht so gut funktionieren. Carsten Arlt sieht es außerdem als Vorteil, dass Nationalitäten bei dieser Sportart so gut wie keine Rolle spielen: „Unterstützt werden der einzelne Spieler und der Sport an sich. Dann ist es selbst in England, dem Mutterland des Darts, egal, ob im WM-Finale ein Niederländer gegen einen Schotten spielt.“ Die Turniere in Deutschland gehen in immer größere Arenen und bei der PDCWeltmeisterschaft werden Jahr für Jahr neue Preisgeld-Rekorde aufgestellt. Inzwischen können auch immer mehr Spieler vom Pfeilewerfen leben. Dieser Faktor zieht auch immer mehr junge Spieler an die Dartscheibe.

„Dart lebt von der Atmosphäre“

So hat die PDC inzwischen ihr eigenes Turniersystem für Spieler zwischen 16 und 23 Jahren. Bislang hatte die PDC ihren Fokus vor allem in Europa, inzwischen wird auch auf anderen Kontinenten versucht, die Sportart weiter voran zu bringen. Entsprechend ist auch die neueste WM-Erweiterung zu verstehen, bei der auch explizit Plätze an Spieler aus Asien, Amerika, Afrika und Australien vergeben werden. „Bedenkt man, dass die weltweite Entwicklung gerade erst so richtig beginnt, ist da noch viel Luft nach oben“, sagt Carsten Arlt. Doch der Dartsport werde diese Entwicklung nicht von alleine beibehalten. „Das ganze Gebilde steht und fällt mit der richtigen Finanzierung. Hohe Preisgelder können nur ausgeschüttet werden, wenn es entsprechende Einnahmen durch Sponsoren und Zuschauer gibt.“

Wichtig sei, dass die Grundpfeiler des Erfolgs weiter bestehen blieben. „Dart lebt von der Atmosphäre, und die kann auch in Mitleidenschaft geraten, wenn man mit 20.000 Zuschauern in ein Fußballstadion geht.“ Für Arlt ist insgesamt aber klar, dass der Dartsport weiter wachsen wird. Mit einem deutschen Spitzenspieler würden dann auch die weiteren üblichen Helden-Automatismen greifen und der Begriff „Dart-Boom“ könnte hier zu Lande eine ganz neue Definition bekommen.