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Raus aus der Nische

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Erst die Vermarktung, dann der Erfolg: Anna und Lisa Hahner, besser bekannt als die „Hahnertwins“, haben den Sportmarkt auf den Kopf gestellt. Noch bevor die beiden Marathonläuferinnen aus dem hessischen Rimmels bei Fulda namhafte Erfolge in ihrer Laufdisziplin vorweisen konnten, hatten sie sich bereits intensiv um ihre Bekanntheit gekümmert. Gemeinsam mit ihrem Manager Thomas Dold gründeten sie 2011 ihren eigenen Verein: run2sky.com. Auf diese Weise konnten die Zwillinge ab sofort an offiziellen Meisterschaften teilnehmen – ohne die Unterstützung des Deutschen Leichtathletik Verbands (DLV) und dessen Leistungskadern.

Das Vermarktungskonzept der Hahnertwins sucht in der Branche ihresgleichen: Mit kontinuierlichen Posts auf sämtlichen Social Media-Kanälen, ihrem eigenen Hahner-Twin-Club mit Mitgliedschaften in Bronze, Silber und Gold und regelmäßigen Vorträgen zum Thema Marathon haben es Anna und Lisa zu viel Bekanntheit gebracht. Sie nutzen die Freiheit der digitalen Medien und werden dort selbst zu Geschichten-Erzählerinnen. Ihr Plot: Der Spaß am Sport ist wichtiger als der Erfolg.

Was ist „Randsport“?

So kam es auch, dass Anna und Lisa bei den Olympischen Spielen im Sommer 2016 in Rio de Janeiro Hand in Hand lächelnd über die Ziellinie liefen. Und das obwohl sie nur den 81. und 82. Platz erzielt hatten und rund eine Viertelstunde unter ihrer Bestzeit geblieben waren. Was folgte, war eine regelrechte Flut an Schmähkommentaren aus der Branche: Die Laufzeit der Zwillinge sei so schlecht, dass es respektlos gegenüber anderen Athleten sei, die schlechte Leistung auch noch mit einem Lächeln zu quittieren. Doch egal wie viel Kritik den Hahnertwins nach wie vor entgegenschlägt: Mit ihrem ganz eigenen Vermarktungskonzept haben es die beiden Läuferinnen geschafft, über die Jahre zahlreiche Sponsoren für sich zu gewinnen. Ein Erfolg, der nicht zuletzt auch dem professionellen Marathon-Sport zu deutlich mehr Präsenz in den Medien verholfen hat.

Das Beispiel zeigt: Selbst Athleten, die eine in der medialen Öffentlichkeit eher weniger populäre Sportart ausüben, können es mit Hilfe digitaler Vermarktungskonzepte schaffen, Aufmerksamkeit zu generieren. Und sich damit von einer Rand- zu einer Spitzensportart entwickeln. Diese Entwicklung birgt in Zeiten immer härterer Finanzierungsbedingungen im Leistungssport ein großes Potenzial. Um diese Wandlung näher beleuchten zu können, ist es zunächst wichtig, den Begriff Randsportart zu definieren. Laut dem Duden wird darunter eine Sportart verstanden, für die sich nur wenige Menschen interessieren.

Dass diese Erklärung jedoch zu eng gefasst ist, zeigt folgende Tatsache: Es gibt zwar Sportarten, die in den Medien weniger präsent sind, die aber dennoch von einer breiten Masse in der Bevölkerung ausgeübt werden – wie etwa der Laufsport. Eine geringe Medienpräsenz deutet also nicht gleichzeitig auf eine geringe Anzahl aktiver Sportler hin. Die Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Christiana Schallhorn von der Universität Würzburg bringt es auf den Punkt: „Randsportarten stellen gewissermaßen das Pendant zu Mainstream-Sportarten dar. Sie werden nur wenig bis gar nicht in der täglichen Sportberichterstattung beachtet.“ Darüber hinaus könne sich die Bedeutung einer Sportart sowohl zwischen den Ländern als auch zwischen den verschiedenen Regionen eines Landes unterscheiden.

Das Fernsehen war die Währung

Insofern sind auch kulturelle und strukturelle Aspekte für die Definition einer Randsportart von Bedeutung. Während beispielsweise Badminton in Deutschland bislang wenig verankert ist, spielt die Sportart in Asien eine große Rolle. „Unabhängig von den verschiedenen Faktoren ist für mich jedoch die überwiegend geringe Beachtung einer Sportart in der Medienberichterstattung entscheidend“, sagt Schallhorn. Die mediale Aufmerksamkeit könne aber vor allem während Sportgroßereignissen zunehmen. Die Definition macht deutlich, wie eng die Entwicklung von Randsportarten in Deutschland mit der der Medien verknüpft ist.

Dabei kommt besonders dem Fernsehen eine entscheidende Rolle zu. Stephanie Heinecke, Professorin für Kommunikationswissenschaften und Sportmanagement an der Hochschule Fresenius in München, sagt: „In der Vergangenheit war die Fernsehberichterstattung das Maß aller Dinge.“ Denn: „Das Fernsehen war als Leitmedium die Währung, auf die es den Sponsoren ankam.“

Konkret hat sich die Abhängigkeit zwischen der Popularität von Sportarten und ihrer Präsenz im Fernsehen in den 1980er in der Bundesrepublik  herauskristallisiert. Mit der Entstehung des dualen Rundfunkmarktes kam es zu einer verstärkten Konkurrenz zwischen den öffentlich-rechtlichen und den privaten Rundfunkanstalten. Als Publikumsattraktion kam dem Sport dabei eine zentrale Rolle zu: Hohe Zuschauerzahlen dienten auf der einen Seite sowohl zur Legitimation der Rundfunkgebühren als auch auf der anderen Seite zur Generierung von Werbetreibenden. Zudem stärkte die zunehmende Zahl von Fernsehsendern die Position der Sportverbände.

Senderechte wurden meistbietend vergeben, was bei gleichzeitig knappen Seh- und Sendezeiten zu einer Konzentration des Sportmarktes führte. Das Ergebnis: eine extreme Kluft zwischen Rand- und Spitzensportarten. Um der neuen Situation zu begegnen, setzten einige Sportarten auf eine entsprechende Anpassung an die Logik der Medien. Mit Hilfe von Regeländerungen, der Einführung neuer Formate wie etwa dem Massenstart beim Biathlon und der Etablierung von Großevents versuchten weniger populäre Sportarten, den Weg aus der Nische herauszufinden.

Ohne Medienpräsenz kein Nachwuchs

Inzwischen ist der Prozess dieser sogenannten Telegenisierung bei vielen Sportarten zwar abgeschlossen. Dennoch haben einige immer noch erhebliche Probleme, es aus ihrer Nischenposition herauszuschaffen. Die Randsportarten befinden sich in einem Teufelskreis: Sind sie in den Medien kaum präsent, können sie auch kein großes Publikumsinteresse aufweisen. An diesem sind jedoch gerade Sponsoren interessiert, die den Sportarten ansonsten ihre Finanzierung verwehren.

Darüber hinaus bringt die mangelnde Medienpräsenz ein weiteres Problem mit sich: „Natürlich ist es dann auch schwieriger, den Nachwuchs zu rekrutieren“, sagt Stephanie Heinecke. Vor allem wenn die Sportarten auch über keine berühmten Stars oder Vorbilder verfügten. Kurzum: Ohne ausreichend Aufmerksamkeit seitens der Öffentlichkeit, ist es für Randsportarten fast unmöglich, es aus der Nische herauszuschaffen.

Während die Möglichkeiten im Bereich der Anpassung an die Fernsehberichterstattung jedoch irgendwann erschöpft sind, bietet die fortschreitende Digitalisierung in der Sportberichterstattung ein bislang noch nicht voll ausgeschöpftes Potenzial: „Mit Hilfe neuer Kanäle, wie zum Beispiel mittels Social Media, habe Randsportarten neue Chancen für die Vermarktung“, ist sich Heinecke sicher. Im Vergleich zu herkömmlichen Kanälen hätten soziale Medien für die Vermarktung von Sportarten nämlich den Vorteil, dass diese nicht mehr auf die traditionellen Massenmedien angewiesen seien. Jeder Sportler kann über einen eigenen Kanal und ohne externe Gatekeeper seine eigenen Inhalte und Geschichten verbreiten. Wie etwa auch im Fall der Hahnertwins.

„Interesse sollte dauerhaft bestehen“

Etwas weniger optimistisch betrachtet diese Option Christiana Schallhorn: „Um überhaupt erstmal eine ‚kritische Masse‘ zu erreichen und wahrgenommen zu werden, ist ein bestimmtes Level an Bekanntheit und Beliebtheit erforderlich.“ Denn: Gerade weil sich jeder Sportler und jede Sportlerin via Social Media selbst vermarkten kann, ist auch die Hürde entsprechend größer, sich dadurch ein Alleinstellungsmerkmal zu sichern. Zudem weist Schallhorn auf die Problematik im Zusammenhang mit einer langfristigen Vermarktung hin: „Das Interesse an Athleten beziehungsweise Athletinnen und ihrer Sportart sollte idealerweise auch dauerhaft bestehen und nicht nach Ende eines Turniers wieder abflachen. Genau das ist die Herausforderung.“

Gaming und Virtual Reality

In diesem Zusammenhang äußert auch Heinecke Bedenken und weist auf den Standpunkt der Sponsoren hin. Die Münchener Professorin stellt fest, dass noch nicht alle Sponsoren die Präsenz von Sportarten auf Online- Portalen und Social Media-Kanälen als gleichwertig mit traditionellen Medien akzeptieren. „Professionelle Strategien und Erfolgsmessung sind wichtig, um das Engagement optimal umzusetzen. Nicht jeder Schritt zahlt sich am Ende aus.“

Grundsätzlich ist Heinecke jedoch hierbei für die künftigen Vermarktungsperspektiven optimistisch. Zudem könne neben der Social Media-Vermarktung auch der gesamte Bereich der sogenannten Data Analytics zur gesteigerten Öffentlichkeit von Randsportarten beitragen: Die Zielgruppen können so sehr genau erschlossen werden.

Auch Gaming- und Virtual Reality-Angebote seien vielversprechende Konzepte, um Aufmerksamkeit zu generieren, sagt Heinecke. Sie ist sich sicher, dass die digitale Vermarktung auch künftig noch viel Spielraum bieten wird: „Ich glaube, dass da in den nächsten Jahren noch viel Potenzial im Markt ist.“