„Wahrheit im Journalismus ist das Gleiche wie Wahrheit als moralisches Konzept“. Das ist der Leitsatz von Dr. Anita Grabska. Die Journalistin und Social-Media-Redakteurin für die ukrainische Redaktion der Deutsche Welle hat große Berufserfahrung sowohl in der Ukraine als auch in Deutschland gesammelt. Im Interview erzählt sie, was für sie persönlich Wahrheit, Objektivität und Qualität im Journalismus bedeuten. Außerdem gibt sie einen Einblick in die Unterschiede zwischen dem Journalismus in ihrem Heimatland und in Deutschland.
Warum sind Sie Journalistin geworden?
Ich habe entschieden, Journalistin zu werden, als ich 16 Jahre alt war. Zu dem Zeitpunkt habe ich seit einem Jahr regelmäßig Berichte für eine lokale Wochenzeitung geschrieben. In der Schule habe ich es am meisten gemocht, Bücher zu lesen und Aufsätze zu schreiben. Dann habe ich verstanden, dass ich professionell schreiben möchte. Dazu kam auch die Familie: Mama und Papa sind Journalisten, Oma ist Schullehrerin. Ich habe sie alle bei der Arbeit beobachtet und fand es faszinierend.
Welche Erwartungen hatten Sie an diesen Beruf und wurden diese erfüllt?
Ich habe mich so früh für den Journalismus entschieden, dass ich noch keine besonderen Erwartungen daran hatte. Ich habe einfach gespürt, dass es sehr interessant ist und dass ich genau in diesem Bereich arbeiten möchte.
Hat sich Ihre Einstellung zum Journalismus während Ihres Studiums an der Universität und jetzt, nach der gesammelten Berufserfahrung, geändert?
Ja, sie hat sich natürlich geändert. An der Uni hat man Theorie studiert: Journalistische Standards, Genres, Schreibtechniken, Fremdsprachen. Vieles sah ich damals noch naiv wegen des Mangels an Lebens- und Berufserfahrung. Nach dem Studium arbeitet man in Vollzeit, sammelt Lebenserfahrungen und entwickelt sich weiter als Mensch. All das prägt auch die Wahrnehmung vom Beruf: es wird tiefer.
Warum haben Sie sich entschieden, als Journalistin in Deutschland zu arbeiten?
Vieles kam zusammen. Als Masterstudentin habe ich ein Praktikum in der ukrainischen Redaktion der Deutschen Welle (DW) in Bonn gemacht. Es hat mich so inspiriert, dass ich nachher die Masterarbeit über journalistische Inhalte der ukrainischen Redaktion der DW geschrieben habe. Später habe ich das Thema vertieft und meine Doktorarbeit über den deutschen Auslandsrundfunk, also über die DW, geschrieben. Nach dem Masterstudium habe ich von den Vakanzen in der ukrainischen Redaktion der DW erfahren und beschlossen, mich zu bewerben. Nach dem Vorstellungsgespräch wurde mir die Stelle angeboten. So bin ich Ende 2012 nach Deutschland gezogen.
„Die Ausgangspositionen könnten kaum unterschiedlicher sein“
Welche Berufserfahrung haben Sie in der Ukraine und in Deutschland gesammelt?
In der Ukraine habe ich für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften berichtet, seitdem ich 15 Jahre alt war. Am Anfang waren es zwei lokale Zeitungen in der Westukraine. An der Uni habe ich für zwei studentische Medien berichtet. Später arbeitete ich etwa zwei Jahre als Korrespondentin der Tageszeitung des ukrainischen Parlaments, „Die Stimme der Ukraine“. Dazu habe ich noch einzelne Texte in verschiedenen Magazinen und Zeitungen sowie auch in Online-Medien veröffentlicht. In Deutschland arbeite ich als Journalistin und Social-Media-Redakteurin für die ukrainische Redaktion der DW.
Wie unterscheidet sich der Journalismus in der Ukraine von dem in Deutschland?
Journalismus in der Ukraine existiert derzeit mit dem folgenden Hintergrund: Krieg mit Russland, Wirtschaftsprobleme, herrschender Populismus in der Politik und Korruption im Alltag. Journalismus in Deutschland existiert im Frieden, bei stabiler Wirtschaft und starker Politik. Diese Ausgangspositionen könnten kaum unterschiedlicher sein. Die Ukraine war nicht auf die Aggression Russlands vorbereitet. Journalisten auch nicht. Unsere Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine mussten ganz schnell lernen, wie man den Krieg in der eigenen Heimat beleuchtet. Es ist nicht nur sehr schmerzlich für dich als Mensch und Bürger. Es ist auch journalistisch nicht leicht.
Gibt es Objektivität im Journalismus?
Natürlich gibt’s die. Aber nicht absolut. 100 Prozent Objektivität ist unmöglich, weil jeder Mensch subjektiv ist. Wichtig ist etwas anderes: Hat das Publikum den Zugang zu verschiedenen Medien, um Berichterstattungen zu vergleichen und sich eine eigene Meinung zu bilden? Das ist eine Frage der Medien- und Meinungsfreiheit sowie auch des Pluralismus auf dem Medienmarkt.
Gesamtbild statt Einzeleindrücke
Was bedeutet Wahrheit im Journalismus für Sie persönlich?
Wahrheit im Journalismus ist das Gleiche wie Wahrheit als moralisches Konzept. Das bedeutet: Man berichtet über das Leben so, wie das Leben ist. Nicht manipulieren. Nicht vertuschen. Sorgfältig die Tatsachen prüfen. Unsere Zeit und Medien sind von „Post-Truth“ und hybriden Informationskriegen geprägt. Deswegen ist es sehr wichtig, dem Publikum das Gesamtbild anstatt Einzelstücke zu zeigen. Oder zumindest versuchen, das Gesamtbild zu konstruieren.
Was bedeutet für Sie Qualitätsjournalismus?
Qualitätsjournalismus ist es, wenn man ein Thema so gut und detailliert dargestellt hat, dass die Leser nicht viele Fragen haben und keine Notwendigkeit spüren, andere Medien zu nutzen, um Antworten zu bekommen. Ich habe dieses Gefühl von Qualität, wenn ich zum Beispiel den „Spiegel“ lese. Was bedeutet das für Journalistinnen und Journalisten? Sorgfältig die Tatsachen prüfen. Gesamtbilder statt Einzelstücke zeigen. So übers Leben zu berichten, wie das Leben ist. Öffentliche Diskussionen stimulieren und dabei Respekt für alle Teilnehmer haben. All das klingt banal und selbstverständlich. Warum aber vermisse ich das oft, wenn ich einige Medien nutze?
Welche Probleme entstehen bei Ihrer journalistischen Arbeit und wie gehen Sie damit um?
Kommunikation ist die Mutter aller Probleme. Die Aufgabe der Journalisten ist es, wahre Informationen zu schaffen. Das heißt, man muss die Infos von Manipulationen und Missverständnissen bereinigen. So lernt man sein ganzes Leben seine Kommunikationskompetenzen zu verbessern.
Wie beleuchten Sie in Ihrer Arbeit Krisensituationen, Konflikte zwischen den Ländern und Parteien? Wie kann man in solchen Fällen objektiv bleiben?
Wir beleuchten solche Themen gemäß der internationalen journalistischen Standards und journalistischer Ethik. Mit Respekt für unser Publikum. Es sind Grundorientierungspunkte, um die Arbeit qualitativ zu machen.
Welche Wege sollen Journalisten bestreiten, um in ihrer Arbeit objektiv und wahr zu bleiben?
Ich sehe nur einen Weg: so viel Unabhängigkeit für Journalistinnen, Journalisten und Medien, wie es möglich ist. Dazu kommen auch der Respekt für das Publikum, Orientierung an internationalen journalistischen Standards und journalistische Ethik.