Florian Gontek ist 25 Jahre alt. Er liebt es, nah an den Menschen zu sein, ihre Geschichten zu erzählen. Auch deshalb arbeitet er seit mittlerweile zehn Jahren im Lokaljournalismus – zuerst für das Haller Kreisblatt, dann für die Allgemeine Zeitung in der namibischen Hauptstadt Windhoek und mittlerweile auch für den Kölner Stadtanzeiger. Daneben schreibt er als freier Journalist für bento und gelegentlich für sueddeutsche.de und studiert Politikwissenschaften. Warum er in den Journalismus gegangen ist? Aus Leidenschaft. Doch die steht auf der Kippe.
Herr Gontek, manches, was Sie sagen, klingt nach Kritik am Zustand des Journalismus …
Gontek: Prinzipiell gibt es viele Dinge, die gut laufen. Aber, ich denke, eben auch einige grundlegende, die weniger gut funktionieren. In meinen Augen sollte Journalismus eine Art Seismograph der Gesellschaft sein, er sollte Sachen erahnen, aufspüren und einordnen. Das hat in den letzten Jahren nicht immer funktioniert, wenn man etwa an die sogenannte Flüchtlingskrise denkt. Darüber haben viele Journalisten, wie ich finde, zu einseitig, zu positiv berichtet und haben die Konsequenzen nicht reflektiert. Es gab viel Kritik. Ich zum Beispiel habe mich gefragt, warum jeder in dem „Willkommenssommer“ nur „Ja“ geschrieben hat und keiner „Ja, aber …“?
Ähnliches war nach dem Brexit oder der US-Präsidentenwahl 2016 zu beobachten. Warum hat niemand auf der Rechnung gehabt, dass Donald Trump tatsächlich gewinnen könnte? Dadurch kommen auch die Vorwürfe des Publikums zustande, das sagt: Ihr sollt der Monitor sein, um zu kritisieren, Dinge einzuordnen und uns zu informieren. Und ihr habt es nicht geschafft, weil ihr vielleicht nicht den Weitblick hattet, weil ihr vielleicht einfach nur voneinander abschreibt. Ich denke, da müssen Journalisten wie ich noch aufmerksamer und sorgsamer sein – gerade für die Geschichten, die die Gesellschaft erzählt.
Und wie könnten Sie das hinbekommen?
Dafür musst du vom Schreibtisch aufstehen und persönlich mit den Leuten sprechen, mehr machen als Telefoninterviews führen. Ich habe das Gefühl, dass die Redaktionen verstanden haben, dass sie wieder mehr auf den Marktplatz oder in die Fußgängerzone gehen sollten, um die Geschichten zu erzählen, die den Alltag der Menschen betreffen. Und in dem Zuge, wieder mehr auf das Publikum zuzugehen, halte ich es auch für wichtig, es in Zukunft aktiver in die Berichterstattung einzubinden, zum Beispiel durch einen Leserrat bei Zeitungen. Man sollte noch mehr versuchen, gemeinsam mit dem Leser über gesellschaftliche Debatten nachzudenken und Standpunkte abzubilden. So hat man die Chance, gewisse Schwingungen in der Gesellschaft besser wahrzunehmen.
Schwingungen im Sinne von Vorwürfen? Davon sind in letzter Zeit ja einige laut geworden. Einen haben Sie eben selbst angesprochen: eine zu einseitige Berichterstattung. Das hängt eng mit der Frage nach der Objektivität eines Journalisten zusammen. Wie stehen Sie zu diesem Anspruch?
Es sollte immer die Maßgabe sein, möglichst objektiv zu berichten. Dazu gehört für mich, maximal kritisch zu sein. Dennoch muss man auch Realist sein und akzeptieren, dass es persönliche Erfahrungen gibt, die einen in seinem Handeln beeinflussen. Du kannst dir zwar vornehmen, Menschen mit Attribut XY ohne Vorurteil gegenüberzutreten. Das gelingt jedoch nicht immer, so sehr man das auch möchte.
Ich glaube, dass man es natürlich ein Stück weit filtern muss. Aber dass es auch menschlich ist, seine Texte auf eine gewisse Weise zu strukturieren und Relevanzen zu gewichten – je nachdem wie man sozialisiert ist, was für Werte man vertritt und wodurch man im Leben geprägt wurde. Deshalb glaube ich, dass man nicht zu 100 Prozent objektiv sein kann, so sehr man dies auch versucht.
„Den Überblick über all das behalten, was passiert“
Gibt es für Sie neben Ihrem Anspruch, möglichst objektiv zu berichten, noch weitere Herausforderungen in Ihrem Job?
Ja. Die größten Herausforderungen sind sicherlich, relevante Geschichten zu machen und dabei nicht zu gucken: Wie oft wird das geklickt? Schwierig ist sicherlich auch, den Überblick zu behalten über all das, was passiert. Und auch immer der Geschwindigkeit gerecht zu werden, die das Informationszeitalter heutzutage mit sich bringt. Das empfinde ich oft als schwierig – gerade wenn man die Standards, die man an einen guten journalistischen Text setzt, weiterhin wahren will.
Hört sich an, als ob die Digitalisierung im Journalismus einen großen Einfluss auf Ihre Arbeit hat?
Das stimmt. Denn viele Dinge werden heute einfach ganz anders berichtet. Das heißt, wenn ich samstags zu einem Sportturnier gehe, hat es früher gereicht, wenn ich meinen Text sonntagabends mit Fotos in der Redaktion abgeliefert habe. Heute gehört zu so einem Text aber auch, dass man zum Beispiel eine Fotostrecke fürs Netz produziert, dass man noch ein Video einbaut, dass man eventuell einen Ticker betreut. Die Anforderungen an den Journalisten sind sehr viel größer geworden. Das liegt daran, dass der Rezipient heutzutage einfach mehr fordert und sich die Plattformen der Berichterstattung verändert haben.
Würden Sie diese gestiegenen Anforderungen als positiv oder negativ bewerten?
Weder noch. Ich glaube, dass es einfach der Zeit geschuldet ist. Natürlich ist die Anforderung an den Journalisten eine andere geworden, aber der Beruf hat sich auch in den letzten zwei, drei Jahrzehnten komplett verändert. Und entweder man tritt dem offen gegenüber und möchte versuchen, daraus für sich das Beste zu ziehen oder man resigniert.
Wenn alle resignieren würden, sähe es mit dem Journalismus ziemlich schlecht aus … Wie denken Sie denn über die Zukunft des Journalismus? Braucht man ihn in Zeiten von Digitalisierung und freier Information überhaupt noch?
Man wird den Journalismus immer brauchen. Weil er etwas ist, was nie durch Technik ersetzt werden kann. Für Journalismus braucht man intelligente und kreative Leute, die den Überblick behalten, die Dinge für einen so ordnen, wie es keine Maschine kann. Ich glaube, den Journalismus wird es immer geben – auch wenn er sich in seiner Form weiterhin verändern wird. Es gilt, Lösungen für viele Probleme zu finden, unter anderem, wie man den Journalismus wieder profitabler macht. Wird das nicht geschafft, besteht die Gefahr, dass die guten Leute, die man im Journalismus braucht und die es zweifelsohne gibt, diesen Job irgendwann nicht mehr machen werden. Denn in anderen Branchen können sie ein Vielfaches mehr an Geld verdienen.
Manchmal reicht der Job nicht einmal für die Monatsmiete
Sprechen Sie dabei auch von sich persönlich?
Ich habe in den letzten Jahren gemerkt, dass manche interessanten Geschichten nicht umsetzbar waren, weil man keine Abnehmer findet, die so zahlen, dass man kein finanzielles Risiko eingeht oder zumindest bei Null rauskommt. Das frustriert, weil ich merke, dass es trotz der Bemühungen, einen guten Job zu machen, trotz einiger Berufserfahrung im In- und Ausland und trotz vielen Einsatzes nicht einmal reicht, um seine Monatsmiete bezahlen zu können. So idealistisch man diesen Job auch macht und so sehr man ihn liebt – am Ende des Tages muss auch irgendetwas übrig bleiben, damit man sein Brot auf dem Tisch und seine Milch im Kühlschrank hat.
Klingt nicht so, als ob Sie Ihre Zukunft im Journalismus sehen.
Grundsätzlich kann ich mir schon vorstellen, den Job für immer zu machen – wenn ich wüsste, dass ich finanziell davon leben könnte. Denn diese Arbeit gibt mir unheimlich viel, sie erfüllt mich, sie wird nie langweilig. Ich treffe viele verschiedene Menschen, höre immer neue Geschichten, entwickele mich mit jedem Arbeitstag einen Schritt weiter. Auch wenn einem bewusst sein sollte, dass im Journalismus die Wenigsten reich werden, muss man ein Stück weit betriebswirtschaftlich denken.
Wenn man merkt, dass nichts hängen bleibt, ist es nicht ausgeschlossen, dass man den Job irgendwann nicht mehr machen kann, so sehr man ihn auch liebt. Die derzeitige Bezahlmoral der Verlage und Medienhäuser tut dem Journalismus nicht gut. Sie kann meines Erachtens nach zu der Gefahr führen, seine Unabhängigkeit zu verlieren, weil man finanziell abhängig wird. Und wenn es keine guten Journalisten mehr gibt, geht eine „Gewalt“ verloren – geht ein wesentlicher Mechanismus verloren, den ich eingangs in seiner seismographischen Funktion beschrieben habe und den sich die Medien wieder mehr auf die Fahne schreiben sollten: der Kontrollmechanismus für die Politik und für gesellschaftliche Debatten.