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Was ist Journalismus eigentlich heute noch? Hält er den Menschen den Spiegel vor – oder allzu oft den Zerrspiegel? Macht das „Getöse der Medien“, wie es viele Menschen empfinden, heute noch Sinn? Elisabeth Thobe hat diesen Fragen auf sehr persönliche Weise nachgespürt. Ihr Text ist eine Selbstvergewisserung darüber, was den Journalismus heute eigentlich noch ausmacht – und wie Journalisten der grassierenden Kritik an ihrem Berufsstand begegnen sollten. Ihr Text ist ein Auszug aus dem Buch „Meinung, Macht, Manipulation – Journalismus auf dem Prüfstand“, das von Michael Steinbrecher und Günther Rager herausgegeben wurde und im Westend-Verlag erschienen ist.
Angst hat für mich die Form einer Roulade. Verstehen Sie mich nicht falsch; ich bin weder radikale Vegetarierin, noch erschüttern mich die Konsequenzen eines guten Essens auf der Waage. Sie ist auch kein Ausdruck eines schweren Kindheitstraumas. Die Roulade ist für mich – und das ganz ohne eigenes Verschulden – zu einem Symbol geworden für den Moment, in dem sich ein Teil meines Weltbilds änderte. Und ich etwas erkannte, das ich bis dato nicht hatte sehen können. Oder wollen.
Dieser Moment war ein Sonntagvormittag in der Küche meiner Eltern. Meine Mutter rührte in diversen Töpfen, ich lümmelte auf einem der Küchenstühle und wie meist in meiner Familie diskutierten wir ein bisschen über Gott und viel über die Welt. Dazwischen quakten Nachrichten aus dem Radio. Worüber der Sprecher redete, nahm ich nur am Rande wahr. Meine Mutter allerdings drückte so energisch auf den Aus-Knopf, als wollte sie den Sprecher persönlich zum Schweigen bringen. »Ich ertrage das einfach nicht.«
Was soll ich noch glauben?
Dass ich auf ihren Ausruf »Was erträgst du nicht?« zurückfragte, halte ich mir bis heute zugute. Denn was folgte, war die direkteste Kritik an meinem Berufsstand, die mir als Journalistin bislang an den Kopf geworfen wurde. Nicht mehr zu ertragen sei, sagte meine Mutter, das ständige, unaufhaltsame Getöse der Medien. Das ununterbrochene Gebrabbel auf allen Kanälen. Mit den immergleichen Themen. Die wieder und wieder und wieder durchgekaut werden, bis man sie form- und geschmacklos wie einen alten Kaugummi auf den Boden rotzt.
Nicht mehr zu ertragen sei das Aufbauschen einer Nachricht bis zur Unkenntlichkeit, bis sie alle anderen Nachrichten verdrängt und nichts mehr sonst übrig bleibt von der Welt. Nicht zu ertragen sei das Heischen nach Sensationen um der Sensation willen. Die Hysterie, die Welt immer schneller mit Informationen zu fluten. Und Journalisten, die so sehr nach Aufmerksamkeit gieren, dass sie wie kleine Kinder immer lauter brüllen, je weniger man sie beachtet. »Was soll ich so noch glauben?«, schloss meine Mutter mit einem Seitenblick auf mich. Um dann hinzuzufügen: »Was soll das Ganze denn eigentlich?«
Ein Hauch des Besserwissens
Ja, was soll das eigentlich? Dieser Journalismus? Die Medien? Und wir, die Journalisten? An diesem Sonntag fällt mir auf die Fragen meiner Mutter nichts Cleveres ein. Ich starre etwas hilflos in die Pfanne mit den Rouladen und weiß so recht nicht, was ich ihrem Ausbruch entgegnen soll. Dass wir Journalisten etwas zum Funktionieren unserer Gesellschaft beitragen, dass unsere Arbeit irgendwo sinnvoll und wichtig ist, davon war ich – wie wohl die meisten meiner Kollegen – bislang fest überzeugt. Die Frage nach dem Sinn meines Tuns habe ich mir nur im Studium ein paar Mal gestellt; bei meiner Arbeit hingegen eher selten, und wirklich zu Ende gedacht habe ich sie wohl nie. Vielleicht aus Angst vor der Antwort, wahrscheinlicher aber aus Bequemlichkeit und der Überzeugung, dass das Ganze, also der Journalismus, ja einen Sinn, eine Funktion haben muss.
Schließlich existiert das Konzept der freien Presse schon länger als das vergangene Jahrhundert. Dass immer mehr Bürger von mangelndem Vertrauen in die Medien sprechen, habe auch ich in letzter Zeit registriert. Und die Schreihälse, die ihre Botschaft von der linksgrünversifften Lügenpresse in die sozialen Netzwerke kippen – geschenkt. Es mag etwas mit der leichten Überheblichkeit zu tun haben, die vielen meiner Zunft zu eigen ist, diesem Hauch des ewigen Besserwissers und Weltverbesserers, dass erst der Ausbruch meiner Mutter kommen musste, damit ich begann, so etwas wie Angst um den Journalismus zu entwickeln. Und mir selbst die Gretchenfrage zu stellen: Was tue ich, was tun wir Journalisten denn eigentlich? Welche Funktion haben der Journalismus und wir Journalisten in der Gesellschaft?
Demokratie basiert auf Meinungsbildung
Und: Ist unsere Arbeit wirklich so unverzichtbar, wie wir zumeist glauben? Denn wenn uns niemand mehr liest, wenn uns kein Mensch mehr zuhört und zusieht, wenn der Leser und Zuschauer, der Hörer und Nutzer unserer Arbeit überdrüssig ist und niemand uns mehr vertraut – wozu brauchen wir den Journalismus dann noch? Um solch schwierige Fragen wie die nach dem Sinn zu beantworten – zumindest das habe ich als Journalistin gelernt –, beginnt man am besten am Ausgangspunkt. Frage ich nach der Funktion des Journalismus in der Gesellschaft, dann frage ich erst nach der Grundlage unserer Gesellschaft: der Demokratie.
Die Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland gelebt wird, basiert auf den öffentlichen Prozessen der Meinungs- und Willensbildung. Ob Politiker oder Putzfrau, Maurer oder Manager, Seniorin oder Student – wer Teil dieser Demokratie ist, soll in der Lage sein, sich über die Vorgänge in diesem System eine eigene Meinung zu bilden und einen eigenen Willen zu entwickeln. […]
Denn das Wesen der Demokratie basiert auf der freien Willensbildung, der freien Entscheidung seiner Bürger und damit auch auf der Möglichkeit, sich eine Meinung auf Grundlage vielfältiger, vielseitiger und frei zugänglicher Informationen zu bilden. Um das zu verstehen, reicht ein kurzer Blick über den Tellerrand auf Nationen wie den Iran, China oder Eritrea, die ihren Bürgern durch Zensur und Repression noch immer die Möglichkeit zur uneingeschränkten Information vorenthalten. Nur wer sich frei und umfangreich informieren kann, kann sein Leben frei gestalten und mündige Entscheidungen treffen. […]
Statt Ruhm und Ehre winken Hasskommentare
Die Herausforderungen, an denen sich Medien heute messen lassen müssen, kommen allerdings nicht nur in Form von niedlichen Katzenvideos, sondern in dem Einheitsbrei der Agenturmeldungen, die jeden Tag die Spalten der Zeitungen im ganzen Land füllen. Sie kommen mit Journalisten, die an den Newsdesks der Republik zu Content-Verwaltern werden. Sie kommen mit Chefredakteuren, die es nicht mehr wagen, für die Unabhängigkeit ihres Mediums einzustehen – auch gegen den Druck von Anzeigenabteilung und Marketing. Und sie kommen mit Managern und Vorständen, die Medienhäuser so lange durchrationalisieren, bis die Seele des freien, hochwertigen und relevanten Journalismus in ihnen verkümmern muss. Wer sich diesen Herausforderungen kampflos ergibt, kann das Ringen um die Aufmerksamkeit seiner Nutzer kaum gewinnen.
Natürlich gibt es ihn noch, den guten, großen Journalismus. Geschrieben oder produziert von großartigen Journalisten, die in mühsamer Kleinarbeit Detail um Detail einer Geschichte ausgraben, recherchieren und aufwendig prüfen. Journalisten, die ihre Aufgabe, die Öffentlichkeit unabhängig zu informieren und Missstände in der Gesellschaft aufzudecken, nicht aus den Augen verlieren. Die ihre Aufgabe von Kritik und Kontrolle der Gesellschaft ernst nehmen. Diese Journalisten sind nicht nur bei den großen Leuchttürmen der deutschen Medienlandschaft zu finden, sondern auch in den Lokalredaktionen deutscher Kleinstädte oder bei engagierten Blogs im Netz.
Das Meer aus sich selbst überholenden Informationen
Es sind Journalisten, die jeden Tag aufs Neue mit der Realität von langweiligen Vereinsmeldungen, dem Alltag von endlosen Gemeinderatssitzungen und der Flut der vermeintlichen »Nachrichten« aus der PR-Maschinerie konfrontiert werden – und die trotzdem versuchen, für ihre Leser, Hörer und Nutzer das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen, das Falsche vom Richtigen. Die trotz des täglichen Graubrots, das das mühsame Ausgraben von Informationen häufig bedeutet, noch den Elan aufbringen, die Sahnestücke zu entdecken. Und statt Ruhm und Ehre gibt es den nächsten Haufen Hasskommentare vor der Tür. [..]
Politiker, Wirtschaftsvertreter, Sportler, C-Promis, der Herr von nebenan – sie alle können ihre Botschaften dank 24/7 verfügbarem Internet heute einfacher, schneller und direkter als je zuvor selbst verbreiten. Man könnte also fragen: Wozu also noch den Umweg über den Journalismus gehen, wenn Informationen auch sonst überall zu haben sind? Ganz einfach: Weil es niemanden gibt, der diesen Job besser machen kann. Journalisten erklären zuverlässig, was passiert, und zwar nach nachvollziehbaren, weil über Jahrzehnte erprobten Kriterien. Sie navigieren über das Meer aus sich ständig selbst überholenden Informationen und haben gleichzeitig die Aktualität der Nachricht für ihr Publikum im Blick. Aktualität meint in diesem Sinn nicht unbedingt die kurze zeitliche Distanz zu einem Ereignis, sondern die gesellschaftliche Relevanz eines Themas.
Vielleicht gibt es auch Politiker, Wirtschaftsvertreter, Sportler, C-Promis und Nachbarn, die das einschätzen können. Aber sie können nicht gleichzeitig bis ins Detail recherchieren, Hintergründe liefern, Meinungen einordnen, zusätzliche Informationen ausgraben, Orientierung geben, wichtige Interviewpartner von ihrer Wichtigkeit überzeugen, sich für wichtig haltende bei der Sucheumgehen und alles zusammen anschaulich und, ja, auch unterhaltsam präsentieren. Medienredaktionen sind nicht nur Nachrichtenlieferanten. Sie verschaffen – und das ist die viel wichtigere Aufgabe – den Bürgern die Möglichkeit, die Auswirkungen wichtiger Nachrichten auf das eigene Leben und die Gesellschaft im Ganzen einzuordnen. In dieser Funktion ist der Journalismus für die Demokratie unersetzlich.
Elisabeth Thobe hat an der TU Dortmund Journalistik (Master) studiert und arbeitet nun als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität der Bundeswehr in München.