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Fast drei Millionen pflegebedürftige Menschen leben laut statischem Bundesamt in Deutschland. In den nächsten Jahrzehnten soll die Zahl der Pflegebedürftigen deutlich steigen, gleichzeitig aber gibt es zu wenig Pflegepersonal. Eine Lösung könnten intelligente vernetzte Wohnungen, sogenannte Smart Homes, und Roboter sein. Dr. Sven Wachsmuth von Bielefelder Forschungsrichtung CITEC (Cluster of Excellence Cognitive Interaction Technology) spricht über die Chancen und Gefahren.
Von Thorben Langwald und Evgenyia Lukanova
Herr Wachsmuth, Sie beschäftigen sich im CITEC mit intelligenten Wohnungen, Smart Homes. Wenn ich in etwa 40 Jahren in Rente gehe, wie sieht dann meine Wohnung aus?
Ich hoffe, sie sieht immer noch wie eine Wohnung aus und ist nicht für die Technik designt. Das ist letztendlich auch einer unserer Forschungsansprüche. Wir wollen eine Wohnung so gestalten, dass sie von den Maßen, Räumlichkeiten und vom Gefühl unserem gewohnten Bild entspricht. Die Technik sollte eher versteckt sein und im Hintergrund arbeiten. Ziel ist es, sich nicht explizit mit der Technik auseinandersetzen zu müssen. Stattdessen sollte die Technik passend auf mich reagieren. Sie sollte Sprache und Gestik verstehen, aber auch wissen, worauf ich meine Aufmerksamkeit lege und den Handlungskontext verstehen, zum Beispiel ob ich in der Küche koche oder in der Wohnzimmerecke ein Gespräch führe. Aktuell können wir ja bereits beobachten, dass alle möglichen Haushaltsgeräte immer mehr vernetzt werden. Mit dem Tablett lässt sich meine ganze Wohnung steuern, egal, ob ich die Rollläden herunter lassen möchte, oder die Waschmaschine um eine bestimmte Uhrzeit starten will.
Wofür brauche ich ein Smart Home überhaupt?
Für den einfachen Konsumenten geht es um eine Art Komfortfunktion. Die Tendenz der vernetzten Geräte hat natürlich auch etwas von einer Vereinheitlichung. Ich möchte mich nicht immer mit einer Bedienungsanleitung auseinandersetzen, sondern dieselben Interaktionswege nutzen können um Technik zu steuern, ohne mir Gedanken zu machen von welchem Hersteller das Gerät ist.
Ein Teil unserer Forschung sind Assistenztechnologien, für die sich insbesondere soziale Pflegeeinrichtungen interessieren. Sie sollen bei der Organisation des Alltages helfen, denn viele der betreuten Menschen haben Probleme Handlungsabläufe zu planen. Sie wissen beim Waschen etwa nicht, in welcher Reihenfolge sie die einzelnen Schritte tun sollen. Ziel ist es, den Menschen einen Tagesablauf zu geben, in dem sie eingebettet sind. An dieser Stelle besteht der Wunsch, dass Smart Homes mit dem Einsatz von Assistenztechnologie den betreuten Menschen mehr Unabhängigkeit und Sicherheit geben können.
Was bedeutet es für Pflegekräfte, wenn nach und nach Roboter ihre Arbeit übernehmen?
Das ist ein Prozess, der von Pflegediensten kritisch beäugt wird. Uns geht es nicht darum, Pflegekräfte zu ersetzen, sondern von einer jetzt existierenden punktuellen Betreuung in eine dauerpräsente Pflegeassistenz hineinzukommen.
Es ist auch die Idee, dass sich Pflegekräfte mit ihrem begrenzten Zeitbudget stärker auf die zwischenmenschliche Kommunikation konzentrieren können und Alltagsroutinen von technischen Systemen übernommen werden. Wenn Menschen etwa Tätigkeiten wie Zähneputzen neu erlernen, oder Koordinationsübungen trainieren müssen, kann die Technik unterstützen. Sie ist viel geduldiger und kann länger mit den Menschen üben, als das mit Pflegekräften der Fall wäre. Diese könnten sich dann eher darauf konzentrieren, die Menschen das erste Mal in solche Übungen einzuführen.
Kann die technische Entwicklung den Pflegeberuf also wieder attraktiver machen?
Die technische Entwicklung kann auch dazu führen, dass Pflegeberufe an Komplexität gewinnen. Ich kann mir vorstellen, dass es Teil der Ausbildung wird, auch mit gewisser Technik umzugehen. Und häufig werden technisierte Berufe besser bezahlt.
Der Service-Roboter Floka, mit dem Sie im CITEC arbeiten, ähnelt einem Menschen mit seinem comicartigen Gesicht und Oberkörper sehr. Wie menschlich kann beziehungsweise darf ein Roboter Ihrer Ansicht nach werden?
Die menschlichen Erwartungen an den Roboter sind aktuell meist höher, als dessen eigentliche Fähigkeiten. Bei der Frage, wie menschlich ein Roboter sein kann, gilt es zu wissen auf was wir zu steuern wollen. Äußerlich wird es in der Zukunft möglich sein, einen Roboter so zu gestalten, dass er dem Menschen sehr nahe kommt. Es stellt sich aber die Frage, ob das Akzeptanz findet. Als Menschen neigen wir dazu Robotern relativ viele menschliche Attribute
zuzuschreiben, selbst wenn sie ohne Zweifel als Roboter zu erkennen sind. Auch wenn sich aus technischer Sicht im Bereich der Gefühle viel simulieren lassen wird und darin viele Möglichkeiten für die Kommunikation zwischen Mensch und Roboter stecken, so gilt es doch das menschliche Gefühl als solches erst einmal zu entschlüsseln, zu begreifen und zu überlegen, was es bedeutet Robotern Gefühle zu geben.
Ein wichtiger Punkt, der Lebensqualität im Alter ausmacht, sind die sozialen Kontakte. Droht durch Smart Home nicht auch die Gefahr der sozialen Vereinsamung?
Zurzeit, glaube ich, sind die vernetzten Haushaltsgeräte bei der älteren Bevölkerung noch nicht so attraktiv, weil sie sich mit zu viel Technik auseinandersetzen müssten. Smart Home Technologien werden eher bei der jetzt jüngeren und mittleren Altersgruppe Akzeptanz finden. Ob es zur Vereinsamung kommt, hängt auch damit zusammen, wie mit der Technik umgegangen wird. Ich würde eine gewisse Gefahr darin sehen, wenn immer mehr zwischenmenschliche Kommunikation durch die von Technik vermittelte Kommunikation ersetzt wird.
Welche Rolle spielen in Ihrer Forschung Smart Home und Roboter als Gesprächspartner?
Vor einigen Jahren hat es ein Experiment von Phillips gegeben. Das Unternehmen hatte ein Gerät, das ähnlich wie ein Katzenkopf aussah, als Kommunikationsplattform in die Wohnung gestellt. Die Idee war es, darüber zum Beispiel Videorekorder oder andere Haushaltsgeräte anzusteuern. Phillips testete die Technik unter anderem in den Wohnungen von älteren Menschen. Das Ergebnis war, dass diese die Geräte überhaupt nicht ihrem Sinn entsprechen nutzten, sondern ihnen eher die Geschichten der Enkel erzählt haben. In dem Moment, wo ein Roboter in die Wohnung kommt, spielt es immer auch eine große Rolle, dass die Menschen mit ihm kommunizieren möchten. Es ist ein Akzeptanzkriterium, ob der Roboter reagiert, wenn wir mit ihm sprechen.
Nutzen Sie zu Hause bereits Smart Home Technologie?
Persönlich sehr wenig, ich nutze eigentlich zu Hause die normale Computertechnik.
Empfinden Sie die ständige Überwachung und Speicherung all ihrer Daten in einem Smart Home als gruselige Vorstellung?
Ich sehe es zum Teil als gruselige Vorstellung, weil wir immer weniger Kontrolle über unsere Daten haben. Ich hätte wenig Probleme mit Geräten, die Daten für sich sammeln. Die aktuelle Tendenz ist es aber, dass viele Geräte nur mit Internetverbindung funktionieren und viele Daten dazu in Cloud Services ausgelagert werden. Ab diesem Moment ist Tür und Tor geöffnet, möglichst viele Daten aus meiner Umgebung abzusaugen und damit Profile über mich zu erstellen. Das ist schon ein Bereich, der einem Angst machen kann. Vor allem wenn wir bedenken, dass in Zukunft immer mehr Haushaltsgeräte in der Lage sind, unsere Handlungsabläufe wahrzunehmen. Letztendlich müssten wir noch mehr sensibilisieren, dies zu hinterfragen. Warum kann ein Gerät nicht ohne Internetverbindung funktionieren? Ich fände eine Tendenz hin zu autonomen Geräten, die nicht zwingend den Datenanschluss benötigen, schön.
In den vergangenen Jahren haben wir auch immer wieder von Hackerangriffen gelesen. Kreditkartennummern wurden gestohlen, Persönliche Daten von Millionen Nutzern veröffentlicht, und sich sogar Zugang zu den Rechnern des Bundestages verschafft. In einer Smart Home Wohnung werden zunehmend all unsere Lebensbereiche vernetzt und von digitaler Technik abhängig sein. Wie angreifbar machen wir uns?
Ich glaube, es ist ein sehr unterschätztes Thema. Vernetzte Geräte in einem Smart Home sind natürlich genauso gefährdet wie Computer in unserem derzeitigen Heimnetzwerk. Je mehr sich vernetzte Technologien markttechnisch verbreiten, desto größer wird das Angriffspotential von draußen. Wenn wir uns etwa ein Szenario überlegen: Eines der Geräte, das am schnellsten einen Brand verursacht, ist die Herdplatte. Wird sie so weit vernetzt, dass sie beliebig an- und ausgeschaltet werden kann, entsteht dort schnell ein physikalischer Schaden, wenn sich jemand in die Wohnung hackt. Für solche Fälle brauchen wir Sicherheitskonzepte. Bei Robotern lässt sich zum Beispiel überlegen, ob diese bestimmte Funktionen nur in Anwesenheit eines Menschen ausführen dürfen.
Ihr Kollege Prof. Dr. Helge Ritter hat in einem in einem Interview mit der Deutschen Presse Agentur gesagt: „Vielleicht müssen wir auf manche technisch machbare Bequemlichkeit verzichten, um unsere Daten zu schützen.“ Wann ist das Ende der Bequemlichkeit erreicht?
Die Industrie stellt letztlich solche Produkte her, die sich am Markt verkaufen lassen. Wenn ich die Forschungsbrille aufsetze, würde ich die Frage, ob es eine Grenze unserer Bequemlichkeit gibt, nicht unbedingt pauschal beantworten wollen. Ich glaube, es geht nicht darum, feste Grenzen, sondern Prinzipien zu etablieren, wie zum Beispiel: Daten möglichst lokal zu speichern. Datensammlung muss immer zweckbestimmt sein. Ist das der Fall, dann lassen sich auch Konzepte entwickeln, wie Speicherung in einem einigermaßen abgeschlossenen und abgegrenztem Rahmen geschehen kann. Schwierig wird eine Datensammlung ohne Ziel, wenn sie nur erfolgt, um möglichst viele Informationen zu besitzen.Sicherlich entstehen beeindruckende Entwicklungen gerade durch Big-Data-Verfahren. Als Wissenschaftler können wir uns an dieser Stelle aber fragen, ob wir nicht auch den anderen Weg erforschen müssen: Können wir ähnliche Ergebnisse mit einem kleineren Datensatz erreichen?