Foto: tommaso lizul/Shutterstock.com
Journalisten sollen Haltung zeigen: Das ist eine altbekannte Forderung. Andererseits stehen Medienschaffende regelmäßig in der Kritik: Sie veröffentlichten Meinungen statt Fakten, subjektive Eindrücke statt objektive Betrachtungen. Die alte Debatte über Objektivität im Journalismus ist wieder aktuell. Jana Fischer reflektiert, was Haltung zeigen für Journalisten heute eigentlich bedeutet. Der Text ist ein Auzug aus dem Buch „Meinung Macht Manipulation“, das 2017 im Westend-Verlag erschienen ist.
Von Jana Fischer
»Haltung zeigen!« forderte Anja Reschke im August 2015 in einem viel beachteten »Tagesthemen«-Kommentar von ihren Zuschauern. »Haltung zeigen« sollten die Bürger gegen Online-Hasskommentare im Zuge der Flüchtlingsdebatte: gegen herabwürdigende, beleidigende, teils strafrechtlich relevante Aussagen. Ihre »klare Haltung« war es dann auch, für die Reschke später vom medium magazin als Journalistin des Jahres ausgezeichnet wurde. Dass sie selbst aus ihrer Rolle als neutrale Beobachterin herausgetreten war, wurde ihr explizit zugutegehalten: Haltung sei genau das, »was der Journalismus in Zeiten der ›Lügenpresse‹-Vorwürfe braucht«, so die Begründung. Haltung: Der Begriff ist im journalistischen Kontext in der Regel positiv besetzt. Interessant eigentlich, denn mit der »Meinung«, der kleinen Schwester der Haltung, geht man im Journalismus sehr vorsichtig um. Sie hat ihren Platz in den »meinungsbetonten« Darstellungsformen – in Kommentaren, Leitartikeln, Rezensionen, Glossen. Außerhalb dieser eigens geschaffenen Räume soll sie kleingehalten werden, wenn man nach dem journalistischen Handwerkszeug geht. Auch Anja Reschke bewertete die Urteilsbegründung zu ihrer eigenen Auszeichnung vorsichtig: »Ich weiß nicht, ob Journalisten eine Haltung brauchen«, erklärte sie ungeachtet des vielfachen Lobes. »Ich glaube nur: Wenn man sie hat, muss man auch deutlich machen, dass man sie hat.
Dass »Haltung« so ein Diskussionspotenzial birgt, liegt vielleicht auch an der begrifflichen Unschärfe. Was genau ist es, das Anja Reschkes Arbeit aus Sicht der Jury auszeichnete? Sicher nicht nur die Tatsache, dass sie eine Meinung gegen die genannten Hasskommentare vertrat. Haltung ist mehr als das – aber was genau? Angenommen, ein Journalist soll tatsächlich Haltung zeigen – was genau soll er tun? Auch hier offenbarte Preisträgerin Reschke in ihrer Rede die eigene Unsicherheit: »Meine Rolle ist die einer Journalistin. Aber ich merke, dass mein Kompass durcheinandergerät – dass ich nicht mehr weiß, was das ist beziehungsweise was erwartet wird.« Welche Art der »Haltung« also wird von Journalisten erwartet? (…)
Politik und Medien: ziemlich beste Freunde?
Den Journalisten wird immer wieder zu viel Haltung vorgeworfen. Im Zuge der Flüchtlingsdebatte ist aus dem latent schwelenden Thema eine offene Debatte geworden: Von Kräften am rechten Rand des politischen Spektrums wird die deutsche Medienlandschaft gerne als »linksversifft« oder auch »linksgrünversifft « beschimpft. Basieren diese Vorwürfe auf realen Grundlagen? Einerseits: Das Attribut »links« ist nicht ganz ohne Grundlage, wenn man eine etwas ältere Untersuchung zugrunde legt, die die Journalisten in Deutschland im Durchschnitt tatsächlich links der politischen Mitte verortet – mit einer überdurchschnittlichen Präferenz für die Grünen1. Andererseits: Die Verbindungen von Parteienlandschaft und Medien sind im Vergleich zur direkten Nachkriegszeit schwächer geworden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht völlig entkoppelt vom Parteienbetrieb, aber stärker distanziert als in früheren Jahrzehnten. Aus heutiger Sicht ist es etwa kaum vorstellbar, dass der Bayerische Rundfunk sich aufgrund einer verärgerten CSU aus einer Satiresendung ausklinken würde wie 1986 beim »Scheibenwischer« geschehen. (Ungeachtet der Tatsache, dass der aktuelle BR-Intendant Ulrich Wilhelm ehemaliger Regierungssprecher ist – mitnichten eine unpolitische Personalie also.) Als ein Parteisprecher derselben Partei 2012 telefonisch versuchte, einen Bericht in den ZDF-»heute«-Nachrichten zu verhindern, scheiterte dieser Versuch kläglich. Als Negativbeispiel für politischen Einfluss lässt sich jedoch die an der CDU gescheiterte Wiederwahl des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender 2009 anführen.
Die Haltung zwischen den Zeilen
Im Umgang mit der eigenen politischen Position scheinen die Redaktionen in Deutschland inzwischen sogar vorsichtiger zu sein als in den USA oder Großbritannien. Explizite Wahlempfehlungen, wie sie dort üblich und akzeptiert sind, gelten hierzulande als »unfein«. Als die Financial Times Deutschland 2002 in einem Leitartikel zur Wahl von CDU/CSU aufrief, sah selbst die BILD-Zeitung hierin einen Tabubruch. Gleichzeitig attestierte eine Studie etwas später, dass die BILD in ihrer eigenen Berichterstattung ebenfalls Wahlkampf für die Union betrieben habe – nur eben auf einer impliziten Ebene. »Implizit« – dieses Wort ist wichtig, wenn wir über Haltung im Journalismus sprechen. Denn auf der expliziten Ebene folgen die Journalisten weitgehend den Gepflogenheiten. Ein negativer Eindruck entsteht deshalb besonders dort, wo die Haltung zwischen den Zeilen mitschwingt. Ein Beispiel: Die Hilfsbereitschaft der Deutschen stelle das in den Schatten, »was Fremdenfeinde, Nationalisten und Zweifler auf die Straße bringt«, erklärte »heute journal«-Moderator Claus Kleber im Rückblick auf das Jahr 20152.»Zweifler« an der Flüchtlingspolitik der Regierung in einer Reihe mit Fremdenfeinden und Nationalisten? Die Aufzählung war Wasser auf die Mühlen derer, die sich von den Medien sowieso in eine »Nazi-Schublade« gesteckt fühlten. Das sei »fahrlässig moderiert« gewesen, entschuldigte auch Kleber selbst sich später. Er habe das Positive einfach gegenüber der Haltung derer herausstellen wollen, »die nichts zur Lösung beitragen«. Es handelt sich also um einen Fall, in dem Kleber zwar Haltung gezeigt hat, sich positioniert hat, Farbe bekannt hat zu einer bestimmten Einstellung. Gleichzeitig kollidierte die Haltung aber mit seiner Rolle als Journalist.
Wo beginnt Abhängigkeit?
Dieses Beispiel illustriert den permanenten Abwägungsprozess, in dem Journalisten sich befinden (sollten): Sie sind immer wieder mit Situationen konfrontiert, zu denen sie sich auf die eine oder andere Art verhalten wollen oder sollen. Sie müssen dies allerdings innerhalb ihres journalistischen Rahmens tun. Dieser journalistische Rahmen wiederum sah früher anders aus als heute – und der momentan diskutierte Vertrauensverlust wirft die Frage auf, welcher Reaktion es bedarf: Noch mehr nach Neutralität streben und noch zurückgenommener agieren? Oder, wenn man sich an die Perspektive der Kaiserzeit-Journalisten erinnert: Kann Unparteilichkeit nicht auch Ausdruck von Bequemlichkeit sein, weil man keine Farbe bekennen will? Verstecken Journalisten sich, wie andere sagen, in einer Scheinobjektivität, die eher schadet? Wäre es nicht manchmal transparenter, die eigene Position offenzulegen? Das ist wohl immer eine Abwägungsfrage im Einzelfall: Wenn man nicht unabhängig ist, dann muss man dies natürlich erwähnen. Da aber jeder irgendwie von irgendetwas beeinflusst ist, stellt sich die Frage: Wo beginnt Abhängigkeit? Und von solchen Extremfällen einmal abgesehen: Wo ist die eigene Einschätzung hilfreich, wo stört sie?
(Gute) Haltung zeigen – aber wie?
Die Frage, die sich aus alldem ableitet: Was ist gute journalistische »Haltung« – gerade im Umgang mit Positionen, die unseren eigenen fundamental widersprechen? Der Beruf des Journalisten fordert einerseits, auch ethisch oder moralisch zweifelhafte Argumentationen möglichst nüchtern darzulegen. Aber wann ist der Punkt erreicht, an dem diese Argumentationen so zweifelhaft werden, dass eine Distanzierung legitim ist? Vielleicht sogar geboten? Hat Journalismus überhaupt die Aufgabe, sich von irgendetwas zu distanzieren?
Anja Reschke bezieht sich in ihrem »Tagesthemen«-Kommentar auf Äußerungen, die den Bereich des Legalen verlassen und etwa das »Vergasen« von Flüchtlingen fordern. Wäre es nicht falsch, solche Dinge unkommentiert stehen zu lassen, als wären sie normal?
Dieser Impuls ist höchst nachvollziehbar. Die Frage ist dennoch: Wo verläuft die Grenze?
Meinung oder Haltung?
Jeder kennt ausreichend legale Äußerungen, die ihm dennoch zutiefst verabscheuungswürdig erscheinen. Die Frage, was genau man dem eigenen moralischen Empfinden nach nicht unkommentiert lassen kann, ist letztlich eher persönlich als journalistisch. Gerade in Zeiten der Digitalisierung stellt sich die Frage: Ist Haltung der zentrale Mehrwert des Journalismus? Meinung allein ist es jedenfalls nicht. Eine Meinung haben alle Menschen, früher wie heute. Was sich verändert hat: Früher hatten die Journalisten viel exklusivere Möglichkeiten, sie in aller Öffentlichkeit zu verbreiten. Dieses Monopol hat sich heute vielleicht nicht ganz egalisiert, aber doch extrem relativiert.
Gut so! Denn diese Situation macht jedem Journalisten deutlich, dass eine Meinung allein ihn noch nicht zum Journalisten macht. Kurt Kister, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, formulierte hierzu 2009 lakonisch: »Jede Form des Journalismus ist subjektiv. Das heißt aber nicht, dass man einfach drauflosschwatzen sollte.«
Kisters Einschätzung verdeutlicht: Eine ganz saubere Neutralität ist natürlich unmöglich. Das beginnt schon bei der Tatsache, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt, objektive Nachricht und subjektiven Kommentar, sondern häufiger Mischformen: Eine Reportage oder ein Porträt sollen berichten – dennoch ist der eigene Eindruck hierbei zentral. Hielten wir uns bei einem Porträt streng an die Faktoren einer nachrichtlichen Agenturmeldung, könnten wir formell
auch gleich einen Lexikoneintrag schreiben. Diese Subjektivität hat ihren Platz im Journalismus – und ohne sie wäre er auch nicht vollständig.
Und das ist die Autorin Jana Fischer, geboren 1990, hat im Rahmen ihres Journalistikstudiumsbeim Westdeutschen Rundfunk volontiert. Sie arbeitet als freie Autorin vor allem für unterschiedliche Formate des WDR-Hörfunks.