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„Am Ende bleibt das, was in unserem Kopf ist“

Jens Büscher, Foto: Amagno

Interview mit Jens Büscher, CEO der Dokumentenmanagement Software AMAGNO

Cyborgs, die die Weltherrschaft an sich reißen und Stück für Stück die Menschheit eliminieren – zugegeben, das klingt wie ein schlechter Hollywoodstreifen. Doch was auf den ersten Blick vollkommen abwegig erscheint, ist bei der genaueren Betrachtung von unserer tatsächlichen Welt gar nicht mehr so weit entfernt. Denn Künstliche Intelligenzen (KI) erhalten zunehmend Einzug in unseren Alltag und auch Cyborgs hat die Realität längst eingeholt. Wie sich das schon jetzt auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar macht, welche Chancen die Digitalisierung mit sich bringt und wie ein ganz gewöhnlicher Tag im Vertrieb in zehn Jahren aussehen könnte, das verrät Jens Büscher, CEO der innovativen Dokumentenmanagement Software AMAGNO.

Herr Büscher, allmählich nimmt die digitale Transformation mächtig Fahrt auf. Viele Experten warnen vor dieser Schnelllebigkeit und sehen die Digitalisierung als Bedrohung an. Wie ist Ihre Einschätzung als Unternehmer dazu?


Jens Büscher: Wenn es darauf eine einfache Antwort geben würde. Hätten Sie die Frage in der Epoche der Industrialisierung gestellt, wäre die Beantwortung wahrscheinlich ähnlich spannend gewesen. Die Digitalisierung gibt uns die Chance, mehr Aufgaben in weniger Zeit zu erledigen, als es noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Dank des technologischen Fortschritts haben wir auf digitalem Weg die Möglichkeit, auf vielen Ebenen große Mengen an Daten zu erfassen, sie zu analysieren, auszuwerten, zu evaluieren und als Resultat dessen unsere Abläufe zu automatisieren.

Nur so sind wir überhaupt in der Lage, das alles zu schaffen, was uns umgibt. Und das bietet uns einen großen Mehrwert. Die analoge Bearbeitung dieser Datenmengen wäre mittlerweile gar nicht mehr denkbar. Zwar könnte dadurch weltweit eine Vollbeschäftigung erreicht werden – produktiv wäre es allerdings keinesfalls.

Der Fokus meines Unternehmens AMAGNO liegt aktuell auf der Optimierung von Workflows und Geschäftsprozessen. Trotzdem stehen wir auch vor ganz interessanten Zukunftsaufgaben. Die Harmonie zwischen Wirtschaft und Klima ist eine davon. In der Vergangenheit haben wir unseren Planeten nicht sehr pfleglich behandelt.

Deshalb brauchen wir nun kluge und intelligente Systeme, die für uns diese ganzen Informationen erst einmal zusammentragen: Sind wir schuld an dem Klimawandel und falls ja, in welchem Maße? Und: Welche Mechanismen sind die richtigen, um dagegen vorzugehen? Dann stellen sich noch die Fragen, wie wir mit der exorbitanten Zunahme der Weltbevölkerung umgehen sollen, wie wir uns ernähren und einen gewissen Komfort auf dem Planeten erleben können und wie es uns in einigen Jahrzehnten möglich ist, neue Planeten besiedeln.

Auf jede Frage gibt es nicht nur eine Antwort, sondern viele unterschiedliche Möglichkeiten und Szenarien. All diese Fragen werden wir nicht mit unserem analogen Wissen beantworten können. Dafür brauchen wir künstliche Intelligenzen, die uns nicht nur auf das nächste Level bringen, sondern auch einen bedeutenden Fortschritt für die Menschheit darstellen. Ähnlich wie das Rad die Menschen damals dazu gebracht hat, mehr Waren zu transportieren und agiler zu werden, brauchen wir nun künstliche Intelligenzen, die uns bei der Bearbeitung hochkomplexer Arbeiten unterstützen.

Sie sind Gründer und CEO der digitalen Workplace-Lösung AMAGNO. Was macht Ihr Unternehmen genau und wo setzen Sie Ihre Lösung ein?


Während meiner Arbeit im öffentlichen Dienst sah ich die Dokumentenmengen in Unternehmen förmlich explodieren. Die Prozesse waren kosten-, zeit- und unglaublich papierintensiv. Das wollte ich ändern. Deshalb habe ich mich gefragt, welche Software entwickelt werden müsste, damit die Mitarbeiter ihren Fokus wieder auf ihre täglichen Aufgaben und Entscheidungen richten können.

2010 habe ich mich deshalb dazu entschlossen, AMAGNO zu gründen und mit einer innovativen Softwaretechnologie Unternehmen dabei zu unterstützen, ihre bestehenden Papier- und Aktenbestände zu digitalisieren und digitale Dateien strukturiert abzulegen und zu verwalten. Ganz nebenbei unterstützen wir durch die Reduktion von Papier und anderen Ressourcen außerdem unsere Umwelt und unser Klima. AMAGNO bietet also ein weitreichendes Spektrum an positiven Effekten –und das war Ziel meiner Gründung.

Wie stehen Ihre Kunden zu der fortwährenden technologischen Entwicklung? Hegen sie ausschließlich Ängste oder sehen sie auch Chancen in dem Fortschritt?


Die Bewältigung von Ängsten ist unser tägliches Brot, aber auch das der Digitalisierung insgesamt. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere und nicht schnell veränderungsfähig. Das merken wir im Alltag, wenn neue Routinen einkehren oder eben auf der Arbeit, wenn unser Chef uns mit einer anderen Arbeitsweise konfrontiert, als wir es gewohnt sind. Wenn wir uns seit Jahrzehnten in unserer Komfortzone befinden, wissen wir: Hier sind wir sicher, hier kann uns nichts passieren. Das ist einfachste Psychologie. Kommt aber jemand und möchte uns für etwas Neues begeistern, haben wir oft im ersten Moment ein riesengroßes Problem damit, es zu akzeptieren und reagieren mit dem Gefühl der Angst.

Das ist ein simpler psychologischer Effekt, der im limbischen System stattfindet und über den wir auch keine Kontrolle haben. Unser Neokortex versucht dann zu begründen, warum jegliche Änderung für uns negativ sein könnte. Wir von AMAGNO sehen das auf allen Hierarchieebenen. Sei es bei Entscheidern oder bei den Mitarbeitern, die ihr Arbeitsverhalten ändern müssen. Das hat unterschiedliche Ausprägungen und Auswirkungen. Wenn man auf die Menschen und ihre Ängste eingeht, sie ernst nimmt, mit ihnen über die positiven Mehrwerte spricht und sie feststellen: „Das ist viel besser, als ich bislang gearbeitet habe“, schwindet die Angst und Akzeptanz und Freude breiten sich aus.

Ergeht es vielen Menschen so oder gibt es auch jene, die den anstehenden Veränderungen beratungsresistent gegenüberstehen?


Ein Großteil der Menschen sind die Skeptiker, das ist aber nicht schlimm. Auf der anderen Seite gibt es die Menschen, die Veränderungen gegenüber offen sind und Änderungen schnell übernehmen. Sie werden auch gern als „Early Adopter“ bezeichnet. Das sind Menschen, die einen Trend bzw. eine Idee sehr schnell aufnehmen, sich sehr schnell begeistern und motivieren lassen. Sogar in einem Zustand, in dem eine Sache noch nicht vollständig ausgereift ist.

Das sind oft auch diejenigen Personen, die Ideen entwickeln und Themen vorantreiben. Diejenigen zum Beispiel, die damals die ersten iPhones und Teslas gekauft haben. Daraus entsteht oft ein Schneeballprinzip: Wenn die ersten vorausgehen, werden die Ängstlichen offener und legen ihre Angst Stück für Stück ein bisschen ab, so dass ein neuer Mechanismus und eine neue Arbeitsweise akzeptiert werden. Das ist auch eine große Aufgabe unseres Unternehmens: Blockaden und Ängste lösen und für Begeisterung und Arbeitserleichterung sorgen.   

Wie ist es mit Ihnen? Würden Sie sich eher auf Seiten der Early Adopter sehen? Welche Chancen sehen Sie in der Digitalisierung?


Das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube ich bin im Mittelfeld. Kommen neue Technologien auf den Markt, lasse ich mich von meinem persönlichen Mehrwert leiten. Ich nutze sehr viele neue Technikgadgets, auch wenn ich sehe, dass sie zunächst nicht den großen Nutzen für die Masse versprechen – für mich haben sie Potenzial. Vor rund zehn Jahren war ich auch einer der ersten, die ein iPhone und Tablet hatten.

Am Anfang war ich noch skeptisch, wollte es aber unbedingt ausprobieren und war am Ende begeistert. Jemand, der aber immer jeden Trend mitmacht, bin ich nicht. Bei Flugtaxen und der Technologie dahinter bin ich beispielsweise eher skeptisch, ob das für den Massenmarkt überhaupt tauglich ist und mich persönlich begeistern könnte. Bei manchen Dingen sehe ich einfach schlichtweg die Sinnhaftigkeit dahinter nicht. 

Was hat die digitale Transformation in Ihren Augen bereits Positives bewirkt?


Viele Dinge, die sich durchgesetzt haben, machen mir mein Leben leichter. Ich erinnere mich zum Beispiel immer gerne an meine erste digitale Reise zurück: Morgens fuhr ich mit meinem Elektroauto zum Flughafen, checkte mit meiner Smartwatch im Flieger ein und plante darüber meine Route zur Messe und checkte per Smartphone im Hotel ein und aus. Da merke ich, welche grandiosen Vorteile die digitale Transformation mit sich bringt und wie sehr das meine täglichen Abläufe vereinfacht. Besonders in uns Deutschen stecken einige Blockaden, die die Adaption neuer Möglichkeiten erschweren. Mit der Bonpflicht beispielsweise machen wir eher Schritte zurück, als vorwärts zu gehen. Aber mich persönlich hat die Digitalisierung vorangebracht und ich wüsste nicht, ohne sie vorwärts zu gehen.

Einen riesengroßen Vorteil der Digitalisierung sehe ich unter anderem in der Vernetzung der Welt: Wir wissen sofort, was am anderen Ende der Welt gerade passiert. Diese Vernetzung verbindet die Gesellschaft und das bietet uns unzählige Möglichkeiten. Wofür ich diese gute Vernetzung allerdings in hohem Maße verteufele, ist die Hasspropaganda der Menschen und die Flut an Fake News im Netz. Ich setze mich zum Beispiel mit Bildern des Syrienkrieges auseinander, bei dem unzählige Kinder mit in den Tod gerissen werden und wir als Staat gar keinen Einfluss darauf haben. Ich glaube, dass wir glücklicher wären, wenn wir all das nicht erfahren würden und uns diese schlimmen Bilder erspart blieben.

Was wird sich in den nächsten Jahren besonders in Sachen Arbeit tun? Wie wird sie sich zukünftig verändern?


Ich für meinen Teil habe schon ein sehr detailliertes Zukunftsbild, das allerdings weniger allgemeingültig ist. Wir stehen mit unserer Firma ja sehr im Kontext von Geschäftsprozessen, in dem unsere Kunden unsere Software innerhalb ihres Unternehmens einsetzen. Viele Prozesse der Firmen laufen auch im Zeitalter der Digitalisierung noch häufig analog ab, sind schlecht organisiert und besitzen oftmals noch großen Optimierungsbedarf.

In der Kommunikation mit Externen bringt das natürlich die einen oder anderen Probleme mit sich. Rechnungen werden nicht gefunden, weil sie sich entweder noch im Umlauf befinden oder digital in einem falschen Format abgespeichert wurden, sodass das Dokument nicht lesbar ist. Workflows sind oft so ineffizient, dass sie Redundanzen mit sich bringen und fehlerbehaftet sind.

Ich sehe es allerdings als relevant an, dass es eine zentrale Instanz gibt, bei der Datensätze unternehmensunabhängig validiert werden. Ein Unternehmen erzeugt also eine Rechnung und sie wird in einer neutralen Instanz gespeichert. Man könnte sowas zum Beispiel in einer Blockchain umsetzen. Sobald sie technologisch vollständig ausgereift ist zumindest. In dieser besagten neutralen Instanz sind die einzelnen Datensätze dann von Geschäftsprozessen ummantelt, die auch über die Blockchain gesteuert werden, sodass auf Basis von gewissen Standards beispielsweise Rechnungen erzeugt werden.

Ein Szenario könnte beispielsweise so aussehen: Ich schicke die Rechnung ab und sie geht unmittelbar bei dem Empfänger ein. Gleichzeitig ist sie dort auch direkt sichtbar, wird akzeptiert, akkreditiert und ist deshalb per se sicher. Mit diesen Vorzeichen könnte die Rechnung automatisch bei dem Empfänger verarbeitet werden.

Das Beispiel zeigt, dass ich zukünftig weniger monolithische Softwarelösungen wie unsere sehe, sondern eher einen neutralen und rechtssicheren Datenverkehr. Und drumherum ermöglichen Softwarelösungen, diese Daten zu konsumieren. Also auf langfristige Sicht ist die Arbeit unserer ECM-Lösung lediglich ein Lückenfüller für eine neuere Generation an intelligenten Lösungen. Wir wissen allerdings nie, was uns in zehn Jahren erwartet. Deshalb können wir tagein tagaus nur reflektieren, ob wir vielleicht einer dieser Strategie-Treiber sind. Aufgrund unserer Firmengröße haben wir aber noch nicht die Macht, so etwas entscheiden zu dürfen.

Meinen Sie, Sie können in einigen Jahren einige Ihrer Mitarbeiter durch Roboter mit künstlicher Intelligenz austauschen?

Es wäre ein absolutes Traumszenario, wenn wir uns alle zurücklehnen könnten und ein gutes Einkommen hätten, weil intelligente Roboter und Bots unsere Arbeit übernehmen. Das wird wahrscheinlich nicht eintreten. Unser geistiges Know-how ist bis heute nicht ersetzbar und wir wissen auch nicht, welche großen Sprünge die Quantentechnik in den nächsten Jahren noch machen wird. Viele Aufgaben, die kreatives und soziales Know-how erfordern, werden auch auf absehbare Zeit nicht ersetzt werden, weil sie nur bedingt durch KI leistbar sind.

Ich könnte mir vorstellen, dass wir bei AMAGNO zukünftig mit einem Algorithmus arbeiten, der mit allen Firmen, mit denen wir kollaborieren, die Geschäftsprozesse analysiert, überwacht und gestaltet. Ein Computersystem erkennt dann beispielsweise, welche Dokumente darin enthalten sind, welchen Weg sie durchlaufen haben und welchen Weg sie gehen werden und die künstliche Intelligenz übernimmt anschließend.

In vielen Aufgaben und Prozessen steckt noch eine große Menge an Optimierungs- und Automatisierungspotenzial, um das Leben einfacher zu machen. Das wird es auch immer geben.  Aber am Ende bleibt das, was in unserem Kopf ist. Also die Fähigkeit, neue Lösungen zu entwickeln, kreativ, künstlerisch und wissenschaftlich gestaltend zu sein. Wir sollten unsere Energie viel eher in die Dinge stecken, die uns die KI in den nächsten Jahrzehnten noch nicht abnehmen kann, als unsere geistige Kapazität an unsere täglichen Routineaufgaben zu verschwenden.

Wie sieht Ihrer Meinung nach in zehn Jahren ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag bei AMAGNO aus?

Schon jetzt überlegen wir uns eine Strategie, wir unseren Vertriebsprozess in den nächsten Jahren stark automatisieren können. Mithilfe eines Shops, auf dem sich die Leute selbst unsere Produkte kaufen können, über E-Learning-Systeme, die unser Produkt vorstellen und den Leuten interaktiv AMAGNO beibringen und noch viele weiteren Features. Insbesondere bei Sales kommt ein ganz spannender Aspekt dazu: der zwischenmenschliche.

Die Interaktion von Geschäftspartnern untereinander ist über Jahrhunderte so stark verwurzelt, dass es für mich schwer vorstellbar ist, das Persönliche digital so darzustellen, wie es analog möglich ist. Auch die vorhandenen Möglichkeiten der Videotelefonie vermittelt das Zwischenmenschliche nicht einmal ansatzweise so, wie es offline möglich ist. Und ich denke, dass dieser Aspekt in der nächsten Zeit noch mächtig spannend werden könnte.

In zehn Jahren könnte ein gewöhnlicher Tag in unserem Sales aber so aussehen: Ein Treffen mit unseren Vertriebskollegen steht an. Wir sitzen in unserem Office und setzen uns, nach einem letzten Schluck Kaffee, unsere VR-Brille auf und werden in einen virtuellen Raum gebeamt. Unseren Geschäftspartner sehen wir dabei nicht einfach nur auf einem Bildschirm, sondern er sitzt als Hologrammgestalt direkt neben uns im Sessel. Während der Präsentation unserer Software erinnert sich unser Partner, wie Firmen eine Produktvorstellung im Jahr 2020 abhielten. Jetzt, 2030, freut er sich, dass das viel interaktiver, wesentlich kostengünstiger und CO²-einsparender ist, als es noch vor zehn Jahren der Fall war.

Im Hintergrund der Präsentation skizziert eine Bot-Software die Geschäftsprozesse, damit der gewünschte Vorgang automatisch nach dem Gespräch beim Kunden schon umgesetzt werden kann. Ein anderer Bot analysiert, welche inhaltlichen Anforderungen an das Angebot gestellt werden: Was ist der Kunde bereit zu bezahlen? Welche Features sind ihm wichtig?

Sobald der Kunde dem Sales sagt, dass er sich für das Produkt interessiert, landet das Angebot bereits in seinem Postfach, das ihm verrät, wie die Umsetzung seiner Prozesse im Detail aussehen könnte und wie viel ihn die Software pro Mitarbeiter kostet. Sagt er, dass er die Software erwerben möchte, legitimiert er sich automatisch per Geste, Pin oder ähnlichem, tätigt damit die Bestellung und die Software ist nach dem Gespräch direkt einsatzbereit.     

Werfen wir beispielsweise einen Blick auf die Medizin: In deutschen Universitätskliniken stehen Roboter bereits am OP-Tisch und den Ärzten unterstützend zur Seite. Morgen bekommt Roboter-Frau „Paula“ der Universität Siegen eine Festanstellung in den Altenheimen und übermorgen arbeitet tatsächlich nur noch die Elite. Malen wir uns unsere Zukunft vielleicht schwärzer als sie sein wird?

Ja, definitiv. Jede Etappe des menschlichen Fortschritts bringt irgendwann die Obsoleszenz bestimmter Beschäftigungsarten durch kluge Innovationen mit sich. Dafür entstehen aber auch neue Berufsbilder. Ein klassisches Beispiel ist die Arbeit der Eismänner. Sie brachten Eisblöcke von Haus zu Haus, um Waren zu kühlen. Im Rahmen der Industrialisierung in den 20er Jahren sind sie durch Kühlschränke ersetzt worden. Die Freude über Kühlschränke war groß, weil die Menschen die Vielzahl an Vorteilen sahen, die sie mit sich brachten. Die Eismänner raubte das zwar sukzessive ihren Job, aber neue Beschäftigungen entstanden. Irgendjemand muss die Kühlschränke ja auch bauen, liefern und warten.

Jede neue Entwicklungsstufe – und die Digitalisierung ist wie eine Art Entwicklungsstufe von uns Menschen – erfordert seine Opfer; bietet aber auch gleichermaßen seine Vorteile. Ein Blick auf das Gesundheitswesen verrät: Es gibt kaum ein Business, das so ein derartig hohes Defizit an Personal hat. Es wäre doch fantastisch, wenn der Einsatz von Robotern das wenig verbleibende Personal entlasten könnte, in dem es sie bei repetitiven Aufgaben unterstützt.

Die Corona-Pandemie ist das beste Beispiel. Hätten wir die Menschen mithilfe von Robotern versorgt und sie bei ihrem Heilungsprozess unterstützt, hätten wir so die Hilfskräfte geschützt, ihre Kompetenzen anderweitig eingesetzt und wahrscheinlich so viele Menschen vor dem Tod bewahrt. Anstelle dessen haben wir sie durch menschliche Virenträger in Gefahr gebracht. Der Arzt Dr. Li Wenliang, der die Coronavirus-Gefahr in Wuhan aufdeckte, wäre so nie an den Folgen der Erkrankung gestorben.

Ich glaube auch nicht, dass am Ende tatsächlich nur noch die Elite – die Wissensarbeiter – arbeiten werden. Wir brauchen zwischenmenschlichen Kontakt und werden ihn auch immer brauchen. Der Mensch ist ein soziales Wesen und nicht fürs Alleinsein gedacht. Er braucht echte Menschen um sich herum und baut Beziehungen auf. Roboter und KIs können und werden das nie vollständig ersetzen. Wir sollten sie deshalb in Bereichen einsetzen, die für uns Menschen gefährlich sind. In denen wir zu wenig Ressourcen haben. Oder in der Forschung und Entwicklung, in der wir beispielsweise Rezepte entwickeln, wie wir bis ins hohe Alter gesund bleiben und die Pflegestufe nicht erreichen. Einsatzgebiete und -szenarien gibt es zuhauf.

Der Journalist Christoph Keese hält es für sinnvoll, in Zukunft disruptiv vorzugehen und unser Know-how in unseren Tätigkeiten auszudrücken, anstatt in Berufen und Jobs zu denken. Wie sehen Sie das?

In unserer Firma werde ich intern immer dafür belächelt, dass ich über „Talente“ spreche und ungern über Jobbezeichnungen. Wir sind darauf dressiert, dass wir uns in Abteilungen, Teams und Rollen einordnen. Für mich bilden Teams aber am Ende die Einheiten von Talenten. Ich finde es genau wie Herr Keese fatal, eine Person auf einen konkreten Job zu reduzieren. Diese Denkweise ist eine neue Mentalität.

Es muss ausgelotet werden, welche Kompetenzen und Fähigkeiten die Mitarbeiter haben. Diese Skills gilt es einzusetzen, anstatt den Mensch dahinter in eine Schublade zu stecken. Es kann sein, dass jemand, der in der Softwareentwicklung ist, auch eine brillante Fähigkeit hat, ein wunderbares Artwork für das Corporate Design zu entwerfen. Das sehe ich auch bei meinen Mitarbeitern. Die Art zu arbeiten, eröffnet neue Möglichkeiten. Deshalb sollte auch das Ziel zukünftiger Generationen sein, die Skills ihrer Teams zu kennen und sie richtig einzusetzen – unabhängig von ihrer eigentlichen Berufsbezeichnung.

Wie können wir, Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen, auf beruflicher Ebene dafür sorgen, dass Digitalisierung in unserem Leben erfolgreich Einzug erhält, ohne dass wir gesellschaftliche oder politische Verluste erleiden müssen?

Ich wüsste darauf keine richtig schöne Antwort, weil es viele mögliche Richtungen gibt. Also es wird sich keine Technologie in der Digitalisierung durchsetzen, die nicht für uns alle einen Mehrwert darstellt. Dass sich die Arbeitslandschaft momentan ganz massiv im Wandel befindet, ist in der Automobilindustrie deutlich spürbar. Viele Arbeitsplätze gehen verloren, viele Millionen Arbeitsplätze werden aber auch durch die Digitalisierung neu geschaffen. Dank der Elektromobilität und der Entstehung neuer Fahrzeuge zum Beispiel.

Ich glaube, dass die Digitalisierung an den politischen Dimensionen nichts verändern wird. Ich habe eher Sorge davor, dass eine staatliche Gewalt uns im Guten bevormundet und uns dann wieder zensiert, Dinge zu konsumieren, die nachteilig für uns sein könnten. Diese Offenheit der Digitalisierung des Internets ist Fluch und Segen. Es wäre schön, wenn wir gesellschaftlich diesen Fluch ein bisschen besser in den Griff bekämen. Damit nicht irgendwelche Irren auf den Gedanken kommen, uns dort einzuschränken.

Es gibt genügend Staaten, die diese Art der Digitalisierung schon wieder einschränken, um die Meinung der Menschen bewusst zu steuern. Wir reden hier nicht unbedingt von ausschließlich unzivilisierten Staaten, die keinen Einfluss darauf haben, um an die Datenhoheit zu gelangen. Daten und Informationen sind ja sowieso das moderne Öl dieser Gesellschaft. Aber wie sich das zukünftig entwickelt und wie wir da gesellschaftlich zusammenkommen, kann ich nicht beurteilen.

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