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Ethik ist nicht berechenbar

Was hat sich in unserer Welt und unserem Verhalten verändert, seitdem wir nicht mehr ausschließlich analog, sondern vor allem digital leben? Nehmen wir das Beispiel Internet. Zunächst gab es eine große Euphorie. Mehr Pluralismus, mehr Demokratie, mehr Mitbestimmung und Partizipation. Aber heute diskutieren wir eher über Hasskommentare und anonyme Beleidigungen. Gab es in den vergangenen Jahrzehnten einen Werteverlust? Hängt die digitale Moral jedes Einzelnen vielleicht auch mit dem Wissen über die Vor- und Nachteile der Digitalisierung zusammen?

Unsere digitale Ethik steckt noch in den Kinderschuhen. Denn wer bestimmt, wie wir uns im Internet zu verhalten haben oder wie viel Einfluss ein Algorithmus auf unsere Entscheidungen bekommt? Und welche gesellschaftlichen Folgen hat es, wenn Künstliche Intelligenz (KI) Alltagsaufgaben übernimmt? Diese und weitere Fragen stehen seit langer Zeit im Raum, doch klare Antworten gibt es bisher nicht. Dafür kontroverse Debatten, die auf globaler und nationaler Ebene geführt werden. Unumstritten ist allerdings die Wichtigkeit dieser Auseinandersetzung, denn sie wird grundlegend für unsere gesellschaftliche Zukunft sein.

Um sich der Frage zu nähern, ob unsere „analoge Ethik“ nicht mehr der Zeit entsprechend ist, sollte zunächst der Begriff Ethik klar sein. Ethik selbst ist ein Teil der Philosophie, betrachtet Voraussetzungen des menschlichen Handelns und bewertet diese. Sie ist eine wissenschaftliche Disziplin und darf nicht mit Moral verwechselt werden. Denn Moral, oder besser gesagt unsere allgemein erwarteten Verhaltensweisen, Normen und Werte, sind eher subjektiv beurteilte Handlungsmuster. Ethik also problematisiert Moral. Bei der Diskussion über Ethik und Digitalisierung ist es wichtig, sich diesen Unterschied vor Augen zu halten, um die Verantwortung von entsprechenden politischen Gremien besser verstehen zu können. Wie zum Beispiel der Datenethikkommission, die im September vergangenen Jahres im Auftrag der Bundesregierung ihre Arbeit aufgenommen hat.

Diese Experten sollen sich unabhängig mit Fragestellungen in den Bereichen Datenpolitik, Algorithmen, Künstliche Intelligenz und digitale Innovationen auseinandersetzten. Ihr Auftrag ist, ethische Leitlinien zu formulieren. Zwei Monate später, im November 2018, hat die Bundesregierung außerdem ein Förderprogramm für Künstliche Intelligenz beschlossen. Auch hier das Ziel, neben der Sicherung der künftigen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, ethische Fragen in Bezug auf KI zu thematisieren.

Während man in Deutschland durch ebensolche Maßnahmen den Eindruck erweckt, dass seitens der Politik ein Diskurs zur digitalen Ethik erwünscht und eingerichtet wird, ist mit Blick auf eine globale Lösung nur schwer ein gemeinsamer Weg zu erkennen. Es vergehen kaum Wochen, ohne dass beispielsweise Datenpannen bei Amazon, wie die umstrittenen Auswertungen von Nutzergesprächen mit dem Echo-Lautsprecher Alexa, oder neue (Daten-) Skandale bei Facebook publik werden. Überhaupt kommt es dem informierten Otto Normalverbraucher so vor, als würden die ethischen Mühlen der digitalen Welt seit Jahrzehnten nur sehr langsam mahlen. Und das, obwohl das Netz voll ist mit Zeitungsartikeln und Unternehmensaussagen über diverse ethische Herausforderungen der Digitalisierung.

Doch eins haben die vergangenen Jahre in unserer nicht mehr ausschließlich „analogen“ Welt bereits gezeigt: Das Automatisieren von Ethik ist nicht möglich. Sie entwickelt sich nicht eigenständig. Im Gegenteil sogar, wir müssen es selbst in die Hand nehmen. Was wir brauchen ist einverantwortungsbewussten Umgang untereinander und mit unseren Daten.

Doch es herrschen noch einige Irrtümer über die Digitalisierung und ihren Bezug zur Ethik. Erst wenn diese erkannt werden, kann eine Debatte zielführend und auf einem gleichen Wissensstand geführt werden. Dieses Essay soll dazu beitragen, einige Irrtümer beim Namen zu nennen und dazugehörige Wissenslücken zu schließen.


Irrtum 1: Digitale Ethik lässt sich einfach programmieren

Irrtum 3: Freie Meinungsäußerung im Internet hat keine Grenzen

Irrtum 2: Digitale Ethik betrifft ausschließlich Unternehmen wie Google, Facebook & Co.

Irrtum 4: Künstliche Intelligenz wird uns bald überlegen sein

Irrtum 5: Alle Algorithmen arbeiten immer neutral und unabhängig von menschlichen Wertesystemen


Fazit

Das Thema Ethik und Digitalisierung ist so weitreichend wie das Internet selbst: Es ist von globaler Bedeutung, betrifft jeden einzelnen von uns und ist auch mindestens so unübersichtlich. Nicht nur, dass es unzählige wichtige Handlungsfelder innerhalb der digitalen Ethik gibt, die noch nicht genügend erschlossen sind. Genauso wenig ist geklärt, wer die Zügel in die Hand nehmen und möglichst schnell zu Ergebnissen kommen muss. Sowohl Politik als auch Unternehmen und die Gesellschaft müssen eng zusammenarbeiten. Besonders der zeitliche Aspekt ist bei der digitalen Ethik ausschlaggebend. Wie viele große und kleine Entscheidungen wollen wir Algorithmen und Künstlicher Intelligenz und den Unternehmen, die sie entwickeln noch überlassen, bis aus ethischen Richtlinien internationale Gesetze werden? Aber der größte Fehler, den wir Menschen jetzt machen können ist, zu vergessen, dass wir die Entscheidungen treffen. Die Wissenschaftler unter uns entwickeln die Systeme und entscheiden, aus welchen Daten sie lernen. Zusammen mit Politikern entscheiden sie, wo wir eine (ethische) Grenze ziehen und wie wir diese kontrollieren. Doch wir sollten nicht vergessen: Viele der besten Wissenschaftler arbeiten nicht für unabhängige Gremien und an ethischen Leitlinien, sondern für die großen FANG-Konzernen, also Facebook, Amazon, Netflix und Google, die jeweils ein unermessliches Datenkapital besitzen. Und in einer digitalen Wirtschaft sind Daten das zentrale Produkt, das wir Nutzer ihnen nur zu gerne und vor allem freiwillig überlassen. Im Austausch dafür, dass beispielsweise GoogleMaps uns auf der Karte unsere Flugdaten am entsprechenden Flughafen anzeigt. Ein wirklich schlechter Tausch, bei dem wir unsere (privaten) Verhaltensmuster für profitorientierte Unternehmen transparent machen.

Wir als gesamte Gesellschaft müssen uns einbringen, diese und alle anderen Entwicklungen kritisch zu hinterfragen und unsere Meinung dazu deutlich zum Ausdruck zu bringen. Die nötigen Leitlinien, um solche Entscheidungen möglichst einheitlich zu treffen, sind mehr als überfällig.

Das sieht auf den ersten Blick nach einer schier unlösbaren Aufgabe aus. Und auf den zweiten Blick auch noch. Doch nach dem dritten Hinsehen wirkt es anders. Denn es ist gar nicht notwendig, dass jeder Nutzer von technischen Geräten in Zukunft zu einem IT-Fachmann wird und genau weiß, wie alle neuen digitalen Entwicklungen funktionieren. Dafür gibt es Experten und Politiker. Was wir brauchen ist ein nationales, oder besser globales Verständnis für die Chancen und Risiken der Digitalisierung. Auch innerhalb der Bevölkerung. Wir müssen uns gegenseitig sensibilisieren, verantwortungsvoll mit der Technik umzugehen und nicht vergessen, dass auf der anderen Seite des Geräts ebenfalls ein Mensch sitzt. Wir dürfen unsere (sozialen) Verhaltensweisen nicht kommerziellen Entscheidungen von Internet-Riesen oder Rennen um die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Länder unterordnen. Der Eckpfeiler von digitaler Ethik ist und bleibt Verantwortung. Wir brauchen nicht nur Leute, die sie formulieren, sondern auch welche, die sie übernehmen. Und zwar schnell.

Eine mögliche Lösung wäre beispielsweise, eine übergeordnete und unabhängige Instanz zu schaffen, die sowohl Internetriesen, aber auch Staaten und ihre Regierungen sanktionieren dürfen. Genaugenommen ist es sogar dringend notwendig, eine solche Machtinstitution zu integrieren, um auch Exemple zu statuieren, damit zum Beispiel die großen FANG-Konzerne merken, dass es nicht nur ethische, sondern auch rechtliche Regeln gibt – die vor allem durchgesetzt werden. Auch wenn es dafür nötig ist, ein soziales Netzwerk wie Facebook, das natürlich auch Arbeitgeber für eine Menge Menschen ist, kaputtgehen zu lassen. Anders ist es vielleicht nicht möglich zu zeigen, dass wir hier nicht nur über Daten als Rohmaterial reden, sondern auch über ihre Bedeutung für die eigentlichen Erschaffer und Besitzer dieser Daten – uns Menschen! Es darf nicht sein, dass der Profit einzelner Unternehmen wichtiger wird als die Sicherheitsbedürfnisse der Gesellschaft. Wir brauchen eine Instanz, die uns Menschen hilft, die Chancen und Risiken der Digitalisierung zu verstehen, uns um Aspekte wie unsere Privatsphäre und Datenschutz zu kümmern und bei Bedarf auch vor Großkonzernen wie Google, Amazon und Facebook durchsetzen zu können.

Doch wer soll eine solche Instanz schaffen und kontrollieren? Auch dafür wäre erneut eine weitere, noch unabhängigere Instanz nötig. Und wer soll überhaupt in ihr arbeiten? Menschen, die auch einem Staat oder einem Subunternehmen zugehörig sind? Somit wären sie auch nicht mehr völlig unabhängig. Außerdem müsste eine solche Machtzentrale unbedingt unter Mitbestimmung der globalen Bevölkerung geschaffen werden, da sie ohne Vertrauen der Gesellschaft null und nichtig wäre für das Ziel, das sie erreichen soll: einen vertrauensvollen und sozialen Umgang mit unseren Daten und den Entwicklungen der Digitalisierung.