Interview: Das Google-Geld

Sarah Müller

24. Juli 2019

Alexander Fanta schreibt als EU-Korrespondent in Brüssel für Netzpolitik.org über Datenschutz, Urheberrecht und digitale Themen. In einer aufwändigen Datenrecherche hat er sich mit Googles „Digital News Innovation Fund“ (DNI-Fund) beschäftigt – ein Förderprogramm für innovative Medienprojekte in Europa. Doch die insgesamt 150 Millionen Euro fließen vor allem in die großen traditionellen deutschen Medienhäuser. Auf Heute Morgen Übermorgen wirft Alexander Fanta daher die Frage auf: Welche Ziele verfolgt Google über die Förderung von journalistischen Projekten hinaus?

HMÜ: Alex, was will Google mit seinem Förderprogramm eigentlich bezwecken?

Alexander Fanta: Über die tatsächlichen Absichten von Google kann man nur spekulieren, aber für mich ist der DNI-Fund als Teil der Google News Initiative ein Lobbying-Instrument. Google möchte ein Ökosystem von Tools und Anwendungen erschaffen, an die der Journalismus andocken kann. Nachrichtenmedien verwenden zum Beispiel Google-Analytics, um die Leserströme zu messen, darüber hinaus bescheren ihnen die Google-Suche oder Google-News viel Traffic und seit einiger Zeit bietet Google auch noch ein Redaktionssystem für lokale Nachrichtenmedien an. Die Verlage machen sich so stark abhängig von Google, dass langfristig ihre Unabhängigkeit gefährdet ist. Und nun geht der Konzern auch noch her und fördert einzelne Projekte? Das riecht für mich ein bisschen nach Bestechungsgeld.

HMÜ Hat ein Konzern wie Google es denn nötig, sich positive Berichterstattung zu kaufen?

Alexander Fanta: Ich glaube nicht, dass Google sich mit seiner Förderung Berichterstattung erkaufen will, das wäre zu plump. Dabei würden viele Medien auch nicht mitmachen. Google verfolgt eine andere Strategie: Ich glaube, dass Google langfristig die Sichtweise der Medien verändern will. Es geht also eher darum, die Geschäftsführung der Verlage zu gewinnen, um die Google-Produkte zu vertreiben. Der Plan ist, dass die Medien irgendwann anfangen, die Weltsicht von Google zu übernehmen.

Das riecht für mich ein bisschen nach Bestechungsgeld.

—Alexander Fanta

HMÜ: Das klingt jetzt etwas nach Verschwörungstheorie.

Alexander Fanta: Naja, zur News-Initiative gehört ja nicht nur das Förderprogramm. Google bietet auch Stipendien und Trainingsangebote an, bei denen du als Journalist lernst, die Google-Produkte in der Recherche oder dem Storytelling anzuwenden. Es gibt Leute, die machen das Stipendium, dann fahren sie auf die ganzen von Google finanzieren Kongresse und handeln und denken, wie der Konzern es will. Ich sehe das News Lab und die Trainings genauso wie den DNI-Fund als eine Form von Lobbyismus durch den Konzern.

HMÜ: Was ist daran so verwerflich, bisher scheint sich niemand darüber aufzuregen?

Alexander Fanta: Eigentlich gibt es gegen die Förderung nichts einzuwenden, und doch ist es gefährlich, sich von einzelnen großen Konzernen abhängig zu machen. Denn wenn die Nachrichtenmedien alle im Hintergrund Google-Dienste einsetzen, dann helfen Sie dem Konzern dabei, das Nutzerverhalten zu analysieren oder Nutzerdaten zu sammeln. Und je besser Google die Nutzer kennt, desto gezielter kann Google sie selbst mit Werbung ansprechen. Google entzieht also eigentlich auch noch dem Online-Journalismus das Geschäftsmodell – das ist eigentlich auch schon längst passiert. Und davon abgesehen glaube ich, dass diese Ad-hoc-Projektförderung auch keine Lösung für die Probleme der Nachrichtenmedien in Europa ist.

HMÜ: Wenn ohnehin schon sämtliche Tools von Google kommen, haben die Medien überhaupt noch eine andere Wahl, als sich auf Google einzulassen?

Alexander Fanta: Das Problem ist: je mehr Daten Google mit Hilfe der Nachrichtenwebseiten sammelt, desto stärker wird der Konzern. Schon allein deshalb sollten sich die Verlage nicht abhängig von Google machen. Das wäre schon mal der erste Schritt. Und im nächsten Schritt sollten die Presseverlage darauf achten, nicht die Arbeit des Konzerns zu erledigen, indem sie sich und ihre Inhalte ständig für Google optimieren. Sie sollten lieber gemeinsam Alternativen schaffen. Es ist für mich bis heute unverständlich, wieso es keine europäische ‚Nachrichten-Aggregatoren-Seite‘ gibt, die eine Alternative zu Google News sein könnte.

HMÜ: Aber wie könnte das klappen, ein Gegengewicht zu Google zu erschaffen?

Alexander Fanta: Medien könnten Kooperationen eingehen, auch öffentlich-rechtliche Lösungen könnten dabei eine entscheidende Rolle spielen, aber im Bereich der Lösungen sind wir noch nicht. Wir müssen erst mal das Problem der Abhängigkeit von ein oder zwei globalen Konzernen beschreiben und verdeutlichen, welche negativen Auswirkungen sie auf den Nachrichtenjournalismus haben. Und dann können wir zum nächsten Schritt übergehen. Ich würde sagen, wir sind jetzt noch dabei, das Problem zu begreifen.

HMÜ: Das Problembewusstsein hast du mit einer groß angelegten Recherche auf Netzpolitik.org geschaffen und auf Konferenzen informierst du auch über das Thema, doch eine öffentliche Debatte bleibt bisher aus. Wie erklärst du dir das?

Wir sind jetzt noch dabei, das Problem zu begreifen.

—Alexander Fanta

Alexander Fanta: Google macht sich auf jeden Fall den Umstand zunutze, dass es derzeit ein populäres Ziel ist, den Journalismus zu fördern. Der Journalismus steckt in der Krise und allein dadurch erkaufen sich globale Unternehmen eine gewisse soziale Legitimität, Dinge in der Gesellschaft zu verbessern. Das war der Ausgangspunkt unserer Recherche. Wir haben uns die Google-Förderung angesehen und herausgefunden, dass sie niemand in irgendeiner Weise problematisch findet. Wir wollten einfach darauf aufmerksam machen, dass sich einer der größten Konzerne auf der Welt hinstellt und den Journalismus aus der Krise retten will, aber auf der anderen Seite derselbe Tech-Konzern ist, der mit verantwortlich dafür ist, dass diese Krise überhaupt entstanden ist.

HMÜ: In welcher Hinsicht? Wie meinst du das?

Alexander Fanta: Die Tech-Konzerne haben ein Ökosystem der Desinformationen geschaffen. Sie sorgen dafür, dass extreme und hassschürende Meinungen überhaupt erst zu einer breiteren Öffentlichkeit finden und schlagen daraus Profit. Einige Beispiele zeigen, wie Konzerne Nutzern und Lesern ihre Vorstellung von Öffentlichkeit oder Demokratie aufzwingen. Das fängt schon damit an, dass Plattformen wie Facebook oder YouTube ihren Content moderieren und sagen, was eine legitime Form der Meinungsäußerung ist und was nicht. Wir haben auch erlebt, dass Facebook seinen Algorithmus geändert hat und die qualitativ hochwertigen Inhalte von Nachrichtenmedien auf einmal viel weniger Verbreitung gefunden haben – und das als Antwort auf den vordergründigen Kampf gegen Fake News. Diese Art von Willkür der Plattformen, die ist wirklich bedenklich.

HMÜ: Kann man da schon von Zensur sprechen?

Alexander Fanta: Ich bin immer vorsichtig mit dem Zensurbegriff, weil er in Deutschland rechtlich konnotiert ist, aber grundsätzlich würde ich sagen, dass die Plattformen zu einer Instanz für Rechtsdurchsetzung mutieren. Im Amerikanischen spricht man von ‚Aggregator of Free Speech‘, sie werden also zu einem Richter über die freie Meinungsäußerung. Schon allein deswegen sollten die Medien sich nicht in die Abhängigkeit dieser Firmen begeben und auch nicht deren Geld annehmen. Wir als Öffentlichkeit müssen diese Firmen kontrollieren, wir als Journalisten noch viel mehr. Da geht es eigentlich überhaupt nicht an, dass man auch noch deren Geld nimmt und im Gegenzug mit den gesammelten Daten in deren Ökosystem noch mehr Wert einspeist.

Quelle Titelbild: Paweł Czerwiński/ Unsplash

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