Ein Fond sie zu knechten
Die Google News Initiative

Sarah Müller

24. Juli 2019

Weil Google den Journalismus fördert, setzen etablierte Qualitätsmedien ihren Ruf auf’s Spiel. Für digitale Entwicklungshilfe in Millionenhöhe müssen sie sich den Verdacht gefallen lassen, ihre Unabhängigkeit zu riskieren. Die Beobachtung einer gefährlichen Entwicklung.

Ein Bergbauarbeiter steigt in eine Kobaltmine im afrikanischen Kongo hinab. Er tastet nach jeder Mulde in den Wänden des schmalen Schachtes, die ihm Halt bieten könnte. Nur seine Helmlampe spendet ihm Licht. Unsicher schiebt er sich mit gespreizten Beinen von Ausbuchtung zu Ausbuchtung. Selbst wenn man ihn nicht hört, sein Atem muss ächzend sein. Vielleicht ist dieser Mann auch noch ein Kind.

Auf ganzer Bildschirmbreite flimmert die Videosequenz aus der Mine. Sie ist Teil eines multimedialen Erzählformats über die Rohstoff-Beschaffung für unsere Autos. Bildstark und aufwändig recherchiert. Eine Geschichte über Kinderarbeit, Menschenrechtsverletzungen und Tod rund um den Globus. Die Jury des Nannen-Preises hat die Veröffentlichung als eine der besten Umsetzungen für multimedialen Journalismus im Jahr 2018 nominiert.

Die blutige Rohstoff-Reise als Artikel aus der Kategorie Bleiwüste hätte vermutlich nicht so großes Interesse geweckt – auch nicht über die Geschäfte der Automobilindustrie in fernen Bergbauminen. Wäre da nicht ein großer Tech-Konzern mit dem ambitionierten Ziel, die Welt zu verbessern ganz nach dem Firmenmotto: „Do the right thing.“

Der Messias unter den Tech-Konzernen

Das Richtige kostet Google in dem Fall einen sechsstelligen Betrag, den der Tech-Riese der Online-Redaktion des Magazins WirtschaftsWoche zur Verfügung gestellt hat – aus seinem 150 Millionen Euro schweren Innovationsfond. Das Geld ist dafür gedacht, dem digitalen Journalismus unter die Arme zu greifen, „to help journalism thrive in the digital age“, wie es auf der Internetseite heißt. Gefördert werden zum Beispiel Podcast-Projekte, Tools zur Erkennung von Fake News, Virtual-Reality-Werkzeuge und Automatisierungssoftware.

Bei der WirtschaftsWoche wird das Geld für die Entwicklung einer Software gebraucht. Multimediales Storytelling nach dem Prinzip „DIY“ für Redakteure ohne Programmierkenntnisse. Für das Magazin ein wichtiger Schritt Richtung Digitalisierung – für Google ein kleiner Baustein seiner „Messias-Bestrebungen“.

Der Fördertopf steht inmitten einer groß angelegten Nachrichten-Initiative der „Google News Initiative“ (GNI). Dazu gehören nicht nur die Förder-Millionen, auch Schulungen und Trainings mit Google-Tools in Newsrooms sind Teil der „Operation Qualitätsjournalismus“, ebenso Stipendien und Leadership-Programme für Journalisten.

Zudem sollen laut Google „neue Technologien neue Möglichkeiten eröffnen“. Die Reihe der Geldnehmer liest sich wie der Ältestenrat deutscher Medienerzeugnisse. Der Tagesspiegel, die FAZ, der Spiegel, die Zeit. Laut Schätzungen von Netzpolitik.org gingen 70 Prozent aus dem Gesamtbudgets des ersten Fonds an alte weiße – pardon – etablierte Medienhäuser in Europa.

Ein Frenemy, ein guter Frenemy

Der Einfluss des Internetriesen in sämtlichen Lebensbereichen hat schon jetzt viele Gesichter. Google-Suche, Google-Maps, Google-Spracherkennung, Google-Home. Bei großen Medienhäusern ist das nicht anders. Journalisten beginnen ihre Recherche mit der Google-Suche, setzen Google-Analytics als Tracking-Tool ein, um herauszufinden, wie viele Nutzer auf ihre Artikel klicken und verwenden Google-Tochter YouTube als Ausspiel-Kanal für ihre Inhalte. Die Suchmaschine hat durch sein umfangreiches Produktökosystem eine gewisse Dauerpräsenz in der Medienbranche.

Genau das ist das Problem, sagen jene, die auf die Risiken der finanziellen Förderung aufmerksam machen. Einer dieser Einzelkämpfer ist Alexander Fanta. Er hat sich für das Blog Netzpolitik.org intensiv mit der Frage beschäftigt, was Google mit seiner News-Initiative erreichen will. Positivere Berichterstattung erkaufen vielleicht? „Das wäre zu plump“, sagt Fanta, „Es geht eher darum, die Geschäftsführung der Verlage zu gewinnen, um die Google-Produkte zu vertreiben. Für ihn ist das ein Schritt Richtung Knechtschaft: „Eigentlich gibt es gegen die Förderung nichts einzuwenden, und doch ist es gefährlich, sich von einzelnen großen Konzernen abhängig zu machen.“

Halb Freund, halb Feind sind die großen Plattformen für Lutz Knappmann. Der Chefredakteur der Online-Redaktion der WirtschaftsWoche spricht bei Google, Facebook und Co. „nicht ohne Grund gerne von Frenemys.“ Doch er sieht die gönnerhafte Geldspritze des US-Großkonzerns pragmatisch: „Das sind Projekte, bei denen mit Hilfe von Google Dinge ausprobiert und entwickelt werden, von denen man zumindest hofft, dass sie dem beteiligten Verlag oder auch der ganzen Branche Spielfelder und Kanäle eröffnen, die man bisher so noch nicht kannte und die man vermutlich aus eigenen Mitteln auch nicht erschlossen hätte.“

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Ein Streit kann gefährlich werden

Auch noch an anderer Stelle – nämlich bei den Sucheinträgen – profitieren Online-Medien mehr von dem Tech-Giganten als andersrum. Zu dieser bitteren Einsicht musste der Springer-Verlag kommen, als er 2014 mit Google über die Ausführlichkeit der Trefferliste debattierte. Nutzer, die etwa nach den neuesten Nachrichten suchten, sollten statt Vorschautext und Foto nur noch die Überschrift und den nackten Link zum Artikel angezeigt bekommen. Das Resultat: Der Traffic der von Googles Seiten auf die Artikel geleitet wurde, ging um 80 Prozent zurück – eine problematische Entwicklung, wenn man als Verlag versucht, Werbepartner zu gewinnen. Springer lenkt schließlich ein und überlässt Google wie gehabt Foto und Vorschautexte für die Sucheinträge.

Auf politischer Ebene kann eine Liaison mit Google ebenfalls zum Problem werden. Das bittere Ende eines Interessenkonfliktes erlebte der Journalist Barry Lynn im August 2017. Lynn leitet damals einen Expertenrat, der die US-amerikanische Regierung bei politischen Entscheidungen, berät. Als er der Regierung empfiehlt, Google für die Verletzung von Wettbewerbsrecht zu sanktionieren, verschwindet zunächst seine Empfehlung und dann Lynn selbst. Er und einige seiner Kollegen werden an die Luft gesetzt, denn, wie die New York Times schreibt, hatte der Expertenrat geplant, zukünftig enger mit Google zusammenarbeiten. Kritiker waren dabei offenbar unerwünscht.

Mächtiger als der Staat

Wie groß der Einfluss von Mega-Konzernen auf politische Entscheidungen oder wirtschaftliche Entwicklungen ist, zeigt auch ein Blick auf ihre Konten. Apple, Microsoft, Amazon, Google: Internationale Großkonzerne nehmen jedes Jahr mehr Geld ein als die meisten Länder. Apple zum Beispiel erwirtschaftet im Jahr 2017 mehr Einkünfte als Norwegen. Der Konzern brachte es auf 216 Milliarden US-Dollar, Norwegen auf 214 Milliarden. Und Googles Mutterkonzern Alphabet legte in den vergangenen Jahren sogar deutlich zu. Waren es im Jahr 2017 noch 90 Milliarden US-Dollar, sind es ein Jahr später bereits 120 Milliarden und damit mehr, als Länder wie Irland oder Polen in einem Jahr eingenommen haben.

Der Politikwissenschaftler Helmut Breitmeier liest an den Verhältnissen eine historisch einmalige Machtstruktur ab: „Wir befinden uns nun seit mehreren Jahrzehnten in einem Prozess der absoluten Deregulierung und Privatisierung. Handelsschranken oder nationale Kontrollmechanismen wurden abgeschafft oder geschwächt, um die Ausdehnung von Unternehmen in den transnationalen Raum zu ermöglichen.“

Der Politologe forscht zu internationalen Beziehungen an der Universität Gießen und weiß um die Absichten, die in der Regel hinter Partnerschaften und Hilfsprogrammen stecken: „man muss sich klar machen, dass Unternehmen zunächst ein überwiegendes Interesse daran haben, ihre Gewinne zu vermehren oder ihren Umsatz zu steigern.“ Schwer vorstellbar, dass Google mit der Förderung keine eigenen, unternehmensgelenkten Interessen verfolgt.

Es verdichtet sich die Einsicht, dass die Verlage Google schon jetzt viel mehr brauchen als umgekehrt. Wenn man bedenkt, in welcher Lage sich weite Teile der Medienbranche befinden, mit rückläufigen Print-Auflagen und einem inzwischen erlahmendem Werbemarkt im Internet, sollte der Konzern seinen Innovationsfond doch vielleicht lieber umbenennen in „Hilfsfond“ oder „Sozialfond“, wie man es aus der traditionellen Entwicklungshilfe kennt.

Da war doch noch was: das Leistungsschutzrecht

Was will Google mit seinem Förderprogramm also wirklich bezwecken? Wieso hat der Konzern so ein großes Interesse daran, den Qualitätsjournalismus zu unterstützen? Für Alexander Fanta ein klarer Fall: „Google macht sich auf jeden Fall den Umstand zunutze, dass es derzeit ein populäres Ziel ist, den Journalismus zu fördern.“ Für den Netzaktivisten ist die ganze Kampagne ein Lobbyismus-Instrument. „Der Journalismus steckt in der Krise und allein dadurch erkaufen sich globale Unternehmen eine gewisse soziale Legitimität, Dinge in der Gesellschaft zu verbessern.“

Politikwissenschaftler Helmut Breitmeier vermutet ebenfalls ein Image-Problem hinter der prominent angelegten Kampagne. „Wenn Unternehmen politisch kritisiert werden oder öffentlich unter Druck geraten, ist ihr positives Image in Gefahr und sie sind gezwungen, ihr Image zu ändern.“ Die Außenwirkung ist bei großen Konzernen eine empfindliche Angelegenheit und nach dem langen Gerangel um das Leistungsschutzrecht zunächst in Deutschland und dann in der EU, könnte das der Grund sein. Denn Google präsentiert sich zuvor als harter Gegner der Reform und handelt nicht gerade im Sinne der Medien.

Beweise gibt es nicht, wobei die zeitliche Nähe der „Google News Initiative“ 2015 zwischen die Einführung des Leistungsschutzrechtes in Deutschland 2013 und in der EU 2019 passt. Jedenfalls zucken einige irritiert, als Google-Manager Carlo D'Asaro Biondo zum Start der Google-Kampagne plötzlich ganz versöhnlich darüber spricht, in Zukunft stärker auf die Bedürfnisse von Medienunternehmen eingehen zu wollen. Von Diskussionen zum Leistungsschutz kein Wort mehr: „Google wird Hand in Hand mit Verlegern und Organisationen arbeiten, um zu helfen, nachhaltigere Modelle für Nachrichten zu entwickeln.“

Nachhaltigkeit geht anders

Wie nachhaltig kann dieser Art der Förderung überhaupt sein? Wenn visionäre Projekte von einem Tech-Konzern bezuschusst werden, für deren Geschäftserfolg dann aber die Redaktionen selbst verantwortlich sind? Vielleicht ist es, wie Alexander Fanta sagt, dass „diese Ad-hoc-Projektförderung auch keine Lösung für die Probleme der Nachrichtenmedien in Europa ist.“ Im Falle der WirtschaftsWoche trifft das zu – nachdem zunächst Redakteure für die neue multimediale Software geschult werden und ein paar multimediale Storys erzählen, ist die Weiterentwicklung des Tools inzwischen eingestellt.

Am Ende bleibt also ein ungutes Gefühl, das irgendwie mit Abhängigkeit und Unabhängigkeit zu tun hat, ebenso mit Geschäftserfolg und Image und sich nicht richtig greifen lässt. Beruhigend ist allerdings, dass alle für diesen Artikel Interviewten – Chefredakteur, Netzaktivist und Politologe – den Mut haben, ihre Skepsis gegenüber Googles Kooperationsmentalität öffentlich zu äußern. „Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass sich Medienunternehmen nicht in eine Abhängigkeit dieser Konzerne begeben dürfen“, findet Lutz Knappmann. „Die Unabhängigkeit ist natürlich ein wichtiges Gut, auf das man auch in Zukunft aufpassen muss“, sagt auch Helmut Breitmeier. Und Alexander Fanta meint: „Wir als Öffentlichkeit müssen diese Firmen kontrollieren, wir als Journalisten noch viel mehr.“

Quelle Titelbild: Reza Rostampisheh/ Unsplash
Grafiken: Piktochart