Abschlussarbeiten, Quo vadis, Journalismus?

Crossmediales Arbeiten im Journalismus

TV Newsroom crossmedial - Foto von Austin Distel/Unsplash

Welchen Einfluss hat die Umstellung von Redaktionen in crossmediale Fachzentren auf das Arbeiten von Fernsehsendern? Eine qualitative Expertenbefragung

Exzerpt aus der Arbeit

Der digitale Wandel, der Printmedien schon vor Jahren erfasste und der auch das Nutzungsverhalten der RezipientInnen nachhaltig verändert hat, macht eine umfassende Neuorganisation der Redaktionsstrukturen nun auch bei TV-Unternehmen notwendig. Besonders prägnant sind diese Veränderungen bei der Mediengruppe RTL und beim WDR, bei denen nahezu die gesamte journalistische Infrastruktur verändert wird. Die neue Strategie ist, dass die inhaltlich Arbeit nicht mehr sendungsbezogen erfolgt, sondern sich am Content orientiert.

Eine „Zentralredaktion“ ist das Kernstück eines Redaktionssystems, welches sich in einzelne Ressorts gliedert, die sich nach Themengebieten unterteilen. Im TV-Journalismus ist dies eine völlig neue Arbeitsweise. Klassische Fernsehredaktionen werden deshalb zunehmend abgebaut oder personell reduziert und drohen so zum Auslaufmodell zu werden. Es entstehen völlig neue Redaktionsformen, auf die klassische Bezeichnungen nicht zutreffen. Deshalb wurde der Begriff „crossmediale Fachzentren“ entwickelt. Von dort erfolgt die zentrale Zulieferung der Inhalte für alle Ausspielkanäle. Dies stellt einen völlig neuen Redaktionstypus dar und hat auch darüber hinaus einen enormen Wandel der bisherigen Kultur zur Folge.

Die große Herausforderung besteht darin, einerseits synergetische Effekte für alle Ausspielwege zu erzeugen, andererseits aber auch die Spezifika der einzelnen Sendungen zu bewahren. Die Entwicklung steht in beiden Unternehmen noch am Anfang, doch schon jetzt zeigt sich: Der neue Redaktionstypus stellt völlig neue Anforderungen an JournalistInnen und verändert die Sichtweisen. Zuliefererbeziehungen und Reichweiten auf allen Plattformen sind zu den entscheidenden Erfolgsparametern geworden. Wie lange es dauern wird, bis in beiden Unternehmen eine vollständig crossmediale Redaktionsstruktur integriert sein wird, ist zurzeit noch nicht absehbar. Doch sicher ist, es wird richtungsweisend für die gesamte deutsche Medienbranche sein.

Drei Fragen an den Autoren

Warum haben Sie dieses Thema gewählt? Warum ist das Thema relevant?

Das Thema ist durch aktuell stattfindende crossmediale Change-Management-Prozesse im Redaktionsmanagement inspiriert. Besonders die aktuellen Neuausrichtungen der Mediengruppe RTL und des WDR sind dabei hervorzuheben. Beide Unternehmen erreichen mit ihren verschiedenen Angeboten einen großen Teil des deutschen Fernsehpublikums und der NutzerInnen von journalistischen Angeboten in der digitalen Welt.

Veränderung zugunsten einer stärkeren digitalen Ausrichtung sind vor allem von Printunternehmen bekannt. Die dortige wirtschaftlich angespannte Lage mit allgemein hohen Rückgängen der Auflagen haben für einen Veränderungsdruck gesorgt. Newsroom-Modelle sind dort schon länger implementiert. Beispiele bei Fernsehunternehmen sind dagegen rar. Vor allem erscheint hier die Gestaltung komplexer, denn es geht um eine große Vielzahl von linearen Sendern, Online-Plattformen und Kanälen in den sozialen Netzwerken.

Das Redaktionsmanagement muss deshalb zwei unterschiedliche Zielstrategien abbilden: Einerseits eine Content-Orientierung, die ausspielwegs-unabhängig ist und andererseits die Aufrechterhaltung spezieller, sendungsbezogener Redaktionsstrukturen, um die Marken sowohl linear als auch digital weiter zu entwickeln. Erfolgreiche Beispiele und Learnings aus anderen Bereichen gibt es hier noch nicht. Stattdessen entstehen völlig neue Redaktionstypen, die sich als „crossmediale Fachzentren“ bezeichnen lassen. Bei den Umbauarbeiten der Mediengruppe RTL und des WDR geht es jeweils um die größten redaktionellen Change-Prozesse in ihrer Geschichte, welche die Arbeitsweise von einigen tausend JournalistInnen in Zukunft für immer verändern könnte.

Welche Methode haben Sie gewählt und wieso?

Als Erhebungsmethode wurde eine qualitative Form der Befragung mit einem halbstandardisierten Fragebogen ausgewählt. Damit wurden ausschließlich Führungskräfte der Mediengruppe RTL und des WDR befragt, die an Schnittstellen für die crossmediale Weiterentwicklung ihres Unternehmens sitzen.

Ziel war es, mit dieser Methode möglichst neues Wissen zu generieren, welches über den aktuellen Stand der Forschung hinausgeht, um damit auf Trends schließen zu können, die in Zukunft in die neu wachsenden Strukturen der Redaktionen implementiert werden könnten.

Welche Ergebnisse haben Sie am meisten überrascht?

Am meisten überrascht hat mich, dass es das Idealbild eines crossmedialen Fachzentrums in der Vorstellung der Führungskräfte noch nicht gibt. Das Resultat sind deshalb keine optimal funktionierenden crossmedialen Einheiten, sondern Redaktionshybride, welche eine vollständig digitale Ausrichtung verhindern und gleichzeitig die Arbeit im Linearen erschweren.

Das gleiche gilt auch für die zukünftigen Anforderungen an JournalistInnen. Es ist nicht klar, ob eher Qualifikationen für alle Ausspielwege erforderlich sind oder für ein bestimmtes Thema oder Medium. Denn die Beherrschung und der Umgang mit digitalen Kanälen nimmt in einer „Online-First-Strategie“ eine deutlich gewichtigere Rolle ein. MitarbeiterInnen, die nicht in crossmediale Strukturen eingebunden sind, sondern sich einer bestimmten Marke zugehörig fühlen und ihre Zielgruppe genau kennen, werden jedoch nach wie vor als unentbehrlich für den Markterfolg einer Sendung betrachtet.

Das Spannungsverhältnis zwischen crossmedialer Content-Orientierung und dem Linearen bleibt somit nicht nur inhaltlich, sondern auch perspektivisch bestehen. Eine weitere Überraschung war, dass die geplanten Großraumkonzepte, wie zum Beispiel Newsrooms, in ihrer Fläche und Personenanzahl, trotz der Zweifel durch die neuen Erfahrungen aus der Pandemie, bisher nicht verändert wurden. Interessant ist auch, wie sehr sich deutsche Führungskräfte an Beispielen amerikanischer Medien oder an der BBC orientieren. Das würde bedeuten, dass die Zukunft des deutschen Redaktionsmanagements dort vielleicht schon jetzt sichtbar ist.

Der Autor: Nils Makrutzki

Autor Nils Makrutzki

Studium:
2016 – 2020: Journalistik BA (Nebenfach Politikwissenschaften), Institut für Journalistik Dortmund
Seit 2020: Journalistik MA, Institut für Journalistik Dortmund

Arbeitsschwerpunkte:
Crossmedialer Planungsredakteur und Reporter, Schwerpunkt: Nachrichten- und Magazinbeiträge für n-tv und RTL-Plattformen (linear und digital), Planung für n-tv und RTL-Plattformen

Wichtigste journalistische Stationen:
2016: Mitarbeit in der WAZ Lokalredaktion Witten
2017-2018: Werkstudent der Unternehmenskommunikation bei Thyssenkrupp
2018-2019: Volontariat in der Wirtschatsredaktion von n-tv
2019-2020: freie Mitarbeit in der Wirtschaftsredaktion von n-tv
Seit 2020: Redakteur im Politik- und Wirtschaftsressort der Mediengruppe RTL