Michael Bittner ist der weltbeste „Fifa“-Spieler auf der X-Box-Konsole. Bei der Weltmeisterschaft reichte es trotzdem nicht für den Titel. Bittner, der sich „MegaBit“ nennt, sieht Videospiele als Sport auch in Deutschland auf dem Vormarsch. Er, der nicht gerne gegen Kollegen spielt.
Hinweis: Dieser Text ist im Rahmen eines Seminars am Institut für Journalistik der TU Dortmund entstanden. Er stellt den Stand vom Sommer 2018 dar. Wir veröffentlichen ihn im Rahmen unseres neuen Schwerpunkts „Matchplan Sports“ mit diesem Hinweis.
„MegaBit“ sitzt in seinem dunklen Zimmer, die Bildschirme leuchten in sein Gesicht. Er spricht aufgeregt, dabei ist außer ihm niemand im Raum. Vor ihm flimmert es Grün, gekonnt manövriert er wenige Zentimeter große virtuelle Figuren über den ebenso virtuellen Fußballplatz. Flanke, Kopfball, Tor. Großer Jubel im dunklen Bochumer Zimmer. Anfang 2018 ist Michael Bittner einer von zwei E-Sport-Profis des VfL Bochum.
Rein optisch ist er nicht von einem Profifußballer zu unterscheiden. Er trägt ein Trikot des VfL, unter dem Wappen steht „E-Sports“ geschrieben. Sein Stuhl ist kein einfacher Schreibtischstuhl, sondern ein ergonomischer Sitz, der sich seiner Körperform anpasst. Vom VfL hat er einen Controller gestellt bekommen, in blau-weiß mit dem Schriftzug „MegaBit“. Daneben liegen zwei weitere weiße Controller. Er spielt aber lieber mit dem schwarzen Controller, mit dem er zu dem geworden ist, was er heute ist. Er muss ihm passen wie einem Fußballer seine Schuhe. Dabei kann es auf Kleinigkeiten ankommen.
Volkssport Fifa
Wie viele Jungs in seinem Alter hat Bittner früh begonnen, Fifa zu spielen. Und bis heute hat ihn das Videospiel nicht mehr losgelassen. Doch was für andere ein Hobby ist, ist für ihn zum Beruf geworden. „Es spielen ja so viele Leute Fifa, in der heutigen Generation wächst man ja mit Videospielen auf. Jeder Zweite spielt in echt Fußball und wenn man in echt Fußball spielt, beschäftigt man sich früher oder später auch mit Fifa“, sagt Bittner.
Er selbst hat früher auch Fußball gespielt – aber früh gemerkt, dass seine Talente eher an der Konsole liegen. „Ich denke, dass sich viele wünschen würden, in diese Szene einzusteigen“, erzählt er. Dabei kommt es nicht nur darauf an, sehr viel zu spielen. Auch beim virtuellen Fußball ist Talent entscheidend. „Ich würde sagen, dass 99 Prozent das Potenzial einfach nicht haben“, sagt Bittner. „Man muss ja erstmal das Potenzial dazu haben, damit man überhaupt erstmal in die Szene reinkommen kann – das ist überhaupt das schwierigste. Es spielen Millionen Menschen mehrere Stunden am Tag und von denen würden sicherlich auch einige gerne dafür Geld verdienen.“
Bittner kann von dem Geld, das er bekommt, sehr gut leben
Geld verdienen. So, wie er es jetzt macht. Erst selbst sagt, dass er von dem Geld, das er verdient, sehr gut leben kann. Er spricht nicht gerne darüber – oder wo er haust, während er auf Turnieren ist. Für ihn ist Geld noch nicht das Entscheidende. Für Bittner, der selbst noch Student ist – und doch schon ein Vollprofi in seinem Sport.
„Es war ein unglaubliches Gefühl für mich, der beste der Welt auf der X-Box zu werden, weil ich gleichzeitig auch noch Fünftbester auf der Play Station 4 wurde. Es war ein Monat der Rekorde“, sagt Bittner zu seinem Rekordmonat Ende 2017, als er in der sogenannten Weekend League, die offen für jeden Fifa-Spieler ist, an vier Wochenenden 40 Siege holte – eine Bilanz von 160 Siegen aus 160 Spielen in Folge, und Weltrekord. „Das war auf jeden Fall eine wichtige Nachricht an die Szene, um zu zeigen, wo es mit mir hingehen soll.“ Es ging immer weiter. Bis zur Weltmeisterschaft im Sommer 2018. Dem Moment, als Michael Bittner seinen ersten Dämpfer erlebte.
Bei der WM war er Favorit
Bittner spielte eine überragende Qualifikation. Er gewann das Turnier in Amsterdam, strich sogar 35.000 Dollar Preisgeld ein. Das zeigt, welchen Stellenwert der oft belächelte E-Sport mittlerweile hat. Bittner fuhr als Favorit zur WM nach London – um schon früh am späteren Weltmeister aus Saudi-Arabien zu scheitern. Es war sein erster großes Event als Favorit – und auch beim E-Sport ist die Tagesform entscheidend, wie er feststellen musste.
Das musste auch sein großes Vorbild, das es bis heute nicht geschafft hat, Weltmeister zu werden. Sein Vorbild, das ihn kurioserweise erst zu dem gemacht hat, was er heute ist.
„Seit ich mich mit dieser Szene auseinandergesetzt habe, seit über zwei Jahren, habe ich darauf hingearbeitet. Spätestens, nachdem ich Benedikt Saltzer vom VfL Wolfsburg in New York gesehen habe bei der WM“, sagt Bittner, „dann wollte ich das unbedingt auch schaffen, bei einem Verein unterzukommen.“ Es wurde der VfL Bochum, mit dem er seine größten Erfolge in der bisherigen Karriere feierte. Im August 2018 allerdings hat er das Revier verlassen und sitzt seither für Werder Bremen vor den Bildschirmen.
Controller, Stuhl und Hochleistungsinternet
Wenn „Megabit“ vor den Bildschirmen sitzt, hat er einfache, schwarze Kopfhörer im Ohr und ein Mikro vor sich auf dem Tisch. Während er spielt, kommentiert er. Der Verein stellt der E-Sportlern alles, damit sie ihre Leistung bringen können. In Bittners Fall ist das, neben den Controllern und dem Stuhl, vor allem ein Hochleistungs-Internetzugang. Damit er nicht an Kleinigkeiten scheitert auf seiner Jagd nach Rekorden.
Rekorde, die nicht abzusehen waren. Rekorde, die aber nicht von ungefähr kommen. „Ich habe schon früh angefangen zu spielen, war schon immer besser als meine Freunde. Aber ab Ende 2015 hatte ich mich noch gar nicht mit dieser E-Sport-Szene auseinandergesetzt“, sagt Bittner. „Dann habe ich mich für die WM qualifiziert und dann ist das nach und nach gekommen.“
Nach und nach musste er seinen Lebensstil dann auch an sein professionelles Hobby anpassen. Gerade in den besagten Qualifikationsmonaten. „Da muss ich natürlich aufs Feiern gehen verzichten, um so fit wie möglich zu sein. Aber so einen Monat konzentriert zu arbeiten, lohnt sich auch richtig.“ Er fühle sich auch nicht eingeschränkt dadurch. Bittner sieht es mehr als „überragendes Training, mal 80 Spiele am Wochenende zu machen“. Ob er jetzt schon daran denkt, wann er etwas „Vernünftiges“ machen will? „Solange ich Spaß an Fifa habe, werde ich auf jeden Fall weiterspielen.“
Zocken gegen Kumpels ist nicht so sein Ding
Spaß, den er nur hat, wenn er gegen Leute spielt, die ihm das Wasser reichen können. Dass er nach seiner Karriere als E-Sportler gerne und viel mit Kumpels zockt – eher unwahrscheinlich. „Einfach so gegen Kollegen zu spielen, macht mir nicht mehr so viel Spaß. Denn, wenn ich mich vor die Konsole setze, dann will ich einen Nutzen daraus ziehen. Das heißt: Ich spiele ein Turnier, bei dem es um Geld geht, oder ich trainiere gegen andere Profis“, sagt Bittner. Eine Einstellung, die sich von Fußballern nicht großartig unterscheidet.
Und nicht nur die Einstellung, sondern auch die Anspannung ist vergleichbar. Nicht umsonst heiße es E-„Sport“, betont Bittner. Genauso, wie wenn Fußball-Profis im Stadion vor einer großen Kulisse spielen, ist auch „MegaBit“ auf Youtube angespannt, wenn er vor 1500 Leuten streamt – was nicht selten vorkommt. „Ich nehme das gerne an, aber gefühlt ändert sich für mich überhaupt nichts. Das merke ich auch beim Streamen: Auch vor Tausenden von Zuschauern bleibe ich cool, ziehe mein Ding durch“, sagt Bittner.
Das macht sich auch körperlich bemerkbar – die dritte Komponente, die Bittner mit „echten“ Fußballern gemein hat. Doch: „Wenn man sich erstmal eingespielt hat, merke ich es nicht, dass ich müde werde. Dann fühle ich mich fit.“ Wichtig ist ihm auch, die Leistung immer wieder zu bestätigen. Wie die Fußball-Profis muss auch er sich Woche für Woche den kritischen Blicken einiger Zweifler stellen. „Die vielen Leute, die mir zugucken, die fragen sich ja auch: Wie schafft er das denn? Das ist doch unmöglich“, sagt Bittner. „Und live zu zeigen, dass es doch möglich ist, ist ein klares Zeichen an meine Kritiker.“
Vom E-Sport-Profi zum besten Fifa-Sportler auf der X-Box der Welt in nur wenigen Monaten. Michael Bittner lebt seinen Traum bis heute. Ob in Bochum oder Bremen. Sein Ziel ist es, denn verpassten Weltmeister-Titel schon bald nachzuholen. Sein Erfolgsrezept? „Fifa ist Kopfsache. Du darfst nicht ins Spiel gehen und Angst haben, weil der Gegner so gut ist. Ich versuche in jeder Begegnung meinen Stil durchzuziehen“, sagt Bittner. Und: „Du musst den Willen haben, der beste Spieler der Welt zu sein.“
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