„Lügenpresse“ schrien Demonstranten vor einigen Jahren plötzlich. Medien seien „von oben“ gesteuert, verdrehten Sachverhalte, verheimlichten Tatsachen, schallte es durch alle Kanäle. Das Vertrauen zu den Informationsgebern sei rapide gesunken, letztlich gebrochen, alarmierten zahlreiche Meinungsumfragen. Reihum betrieben Medienschaffende Selbstreflexion, prüften Ursachen, ließen sich in die Karten schauen. Heute, gut vier Jahre nachdem die ersten Vorwürfe laut wurden, ist das Geschrei scheinbar verstummt. Nur gelegentlich gibt es noch Seitenhiebe. Neueste Umfragen bescheinigen eine klare Skepsis gegenüber Online-Angeboten, insbesondere Nachrichten in Sozialen Netzwerken, aber einen Vertrauensgewinn gegenüber dem klassischen Journalismus. Ist der Zenit einer Medienkrise somit überwunden? Ansichten eines kritischen Medienkonsumenten, dem nach eigener Aussage polemisches Gezeter seit jeher fremd ist.
Zuletzt hatte sich Ekkehard Wilkening über die Presse im Zusammenhang mit Donald Trump geärgert. „Trump wurde schon lange im Vorfeld als Kotzbrocken bezeichnet“, sagt er. „Die Berichterstattung war und ist sehr einseitig, obwohl Herr Trump demokratisch zur Macht gekommen ist. Da ist der Gesinnungsjournalismus sehr ausgeprägt.“
Gesinnungsjournalismus nennt der 83-Jährige, das was er häufig zu lesen bekommt. Eine Vokabel, die sich in den vergangenen Jahren etablierte. Gemeinsam mit Systempresse, Medienmafia und naja, diesem zum Unwort des Jahres 2014 gewählten Begriff, der Journalisten das Fürchten lehrte. Davon auf der Straße lauthals Lügenpresse zu brüllen, ist Ekkehard Wilkening selbst aber weit entfernt. Auch mit Pegida-Demonstranten möchte er nichts zu tun haben. Und den Begriff Lügenpresse an sich lehnt er entschieden ab: „Die Presse als vierte Gewalt ist unverzichtbar. Ohne Medien wären notwendige Informationen nicht möglich“, sagt er voller Überzeugung. „Grundsätzlich bin ich ihnen gegenüber ja auch positiv eingestellt. Ohne die Tageszeitung am Morgen fühle ich mich desorientiert. Wie jemand, der Durst hat, aber nichts zu trinken bekommt. Manchmal schlagen die Journalisten aber über die Stränge.“
Mit dem Alter kommt die Skepsis
Die Tageszeitung gehört für Wilkening quasi schon immer zum Morgen: Als Sohn des Chefredakteurs diverser Handwerker-Fachzeitschriften, in Göttinger Zeiten während seines VWL-Studiums. Auch später als Hauptgeschäftsführer einer Arbeitgeberorganisation, dem Landesinnungsverband der Elektrohandwerke in NRW. Die Zeitung war Wilkenings allmorgendliche Lektüre, Informationslieferant, wichtiges Standbein der Demokratie. Nur werde man im Alter eben kritischer, sagt er. Jenseits der Medienschaffenden auf der einen und Hau-Drauf-Kritik auf der anderen Seite, ist Wilkening als passionierter Medienkonsument prädestiniert, aus einer neutralen Position heraus Berichterstattung zu beurteilen.
In Sakko über kariertem Hemd sitzt der Rentner am Esstisch seines Einfamilien-Reihenhäuschens in Bittermark, einem waldnahen, gutbürgerlichen Stadtteil im Süden Dortmunds. Seit 18 Jahren ist er nun schon im Ruhestand, doch sein Leben ruht ganz und gar nicht. Als er im Jahr 2000 dem Geschäftsführer-Sessel seines Verbandes den Rücken kehrte, hatte er Freude daran mit seiner Frau, die viele Jahre als Reiseführerin gearbeitet hatte, durch die Welt zu ziehen. Als sie 2009 an Krebs verstarb, blieb er allein im Eigenheim zurück. Mit den Jahren fand er andere Beschäftigungen. Noch immer reist der 83-Jährige gerne: im März stand eine Tour nach Israel, im Sommer nach Albanien an. Wöchentlich trifft er sich mit Freunden zum Billard, spielt Tischtennis, sitzt regelmäßig mit Menschen seiner Branche am Stammtisch. Und er ist politisch wie gesellschaftlich sehr interessiert. Vor Wilkening auf dem Tisch liegt aktuelle Tagespresse, daneben mehrere eng beschriebene Zettel. Licht fällt durch die breite Fensterfront des Wohnzimmers. In einer Ecke steht ein antiker Sekretär, in einer anderen ein „Familientisch“, gearbeitet von Wilkenings Großvater, der Schreiner war. Die Wände sind gesäumt von Aquarellen; zu den meisten von ihnen kann der Senior eine Geschichte erzählen. Der 83-Jährige schiebt seine handschriftlichen Notizen auf dem Tisch hin und her: die Dokumentation seiner Pressekritik. „Schlüsselerlebnisse“ nennt er das, was er da notiert hat.
Kritik setzt nicht erst „gestern“ ein
Wie vielen fiel auch dem Dortmunder die Berichterstattung zu den geflüchteten Neuankömmlingen 2014 negativ auf. „Plötzlich waren die Deutschen die Guten“, sagt er. „Es war eine solche gegenseitige Beweihräucherung. Irgendwann erst kam dann die Ernüchterung.“ Warnungen seien schlicht überhört worden, aus Angst davor Fremdenfeindlichkeit zu schüren. „Das war ganz klar eine absolut einseitige Berichterstattung“, so Wilkenings Beobachtung.
Tatsächlich war die Behandlung der Flüchtlingskrise in den Medien in den Folgejahren immer wieder Thema medienkritischer Auseinandersetzungen. Nach der Berichterstattung zu den Vorkommnissen in der Ukraine, die auf das abgelehnte Assoziierungsabkommen mit der EU im November 2013 folgten, gilt die Flüchtlingskrise als Hauptursache des Vertrauensverlustes gegenüber den Medien. Auch im Fall der Ukraine-Krise sei zu einseitig berichtet worden: Mit antirussischen Tendenzen, lückenhaft, kaum Analysen und Hintergründe, kein Hinterfragen der Positionen von EU und Nato, so lauteten die Vorwürfe aus der Bevölkerung.
Gut ein Jahr nach der gescheiterten EU-Ukraine-Annäherung hatte das NDR-Medienmagazin Zapp eine Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse der Branche Herzrasen bescherte: 63 Prozent der Befragten gaben an, wenig oder gar kein Vertrauen zu Medien aufbringen zu können. Sie hielten die Ukraine-Berichterstattung für einseitig und 18 Prozent gingen von bewussten Fehlinformationen aus. Mit dieser Studie manifestierte sich jene Glaubwürdigkeitsdebatte, die bis heute anhält, erstmals in Zahlen.
War denn bis dato alles in Ordnung mit der Presse? Leisteten Medienmacher für das Publikum zufriedenstellende Arbeit? Die Aufzeichnungen von Ekkehard Wilkening zumindest beinhalten mitnichten nur aktuelle oder jüngere Fälle. Als der „Stern“ Anfang der 80er-Jahre exklusiv Auszüge aus Hitlers Tagebüchern druckte, die sich kurz darauf als gefälscht herausstellten, sei das für ihn ein erstes Schlüsselerlebnis gewesen: Ein Beispiel für reine Sensationsgier. Das Magazin hatte veröffentlicht, bevor die Echtheit der Tagebücher abschließend geprüft worden war. Simple handwerkliche Grundsätze seien hier außer Acht gelassen worden, sagt der Ruheständler.
Alarmismus-Journalismus und Meuteverhalten
Als Ende der 80er-Jahre der damalige Bundestagspräsident Philipp Jenninger anlässlich des 50. Jahrestags der Novemberpogrome eine Rede vor Abgeordneten hielt, wurden ihm die eigenen sprachlichen Stilmittel zum Verhängnis: Er hatte die rhetorische Frage gestellt, ob die Juden es vielleicht verdient hätten, „in ihre Schranken verwiesen zu werden“. Im Anschluss wurde ihm Auschwitz-Relativierung vorgeworfen. Am Folgetag trat er zurück. Ekkehard Wilkening sagt dazu: „Politisch war er kaputt, aber auch von den Medien wurde er gnadenlos abserviert. Das ist ein Beispiel, wie Journalisten vollkommen über die Stränge schlagen können.“ Ein anderes, jüngeres Beispiel, bei dem Medien Wilkening zufolge Mitschuld am Ende einer politischen Karriere tragen, ist der Fall Christian Wulff (2011/2012): „Wie er nachher fertig gemacht wurde, ist eine ziemliche Unverfrorenheit“, empört sich der Kritiker. „Dieses Meuteverhalten der Presse finde ich abscheulich.“ Es habe keinerlei Versuche gegeben, objektiv zu sein. „Auch ernsthafte Zeitschriften taten wenig, um ihn zu rehabilitieren und haben damit Wulffs Kariere zerstört.“
Zu dem Unglück von Fukushima (2011) hat sich der 83-Jährige notiert: „Die Folgen des Tsunamis für die dortige Bevölkerung traten in der Berichterstattung völlig in den Hintergrund. Nur noch der Atomunfall war Thema. Ich sehe das als Ausdruck einer ideologischen Grundeinstellung unter den Journalisten gegenüber der Kernkraft.“ Als Voreingenommenheit bezeichnet er diese Grundeinstellung, die eine Hysterie verursachte und in Deutschland schließlich eine wenig durchdachte Energiewende über Nacht zur Folge hatte. „Diese Berichterstattung trug zu einer bestimmten Stimmung in der Bevölkerung bei, die für die Kanzlerin der Anlass war, das kurz vorher unter Dach und Fach gebrachte Abkommen mit der Atomindustrie über den Haufen zu werfen.“ In Wilkenings Augen ein Beispiel für die Wechselwirkung zwischen Politik und Medien. „Alarmismus-Journalismus“ nennt er das. Seriöse Medien hätten die Aufgabe gehabt, dagegen zu steuern. Stattdessen werde durch diese Art der Berichterstattung gezielt eine „German Angst“ hervorgerufen.
Und auch gegenüber rechtspopulistischen Themen herrsche eine einheitliche Grundstimmung: Pegida-Anhänger würden in Presse und Medien pauschal als „Untermenschen“ gesehen, AfD-Wähler als „ewig Gestrige“. Er wundert sich über die Einstellung der Presse zu Gewalt: Strafwürdige, sogenannte autonome, Handlungen würden, wie beim Beispiel des ehemaligen grünen Außenministers Joschka Fischer (er hatte sich 2001 dazu bekannt, in der Vergangenheit in der links-autonomen Szene unterwegs gewesen zu sein), als Jungendsünden abgetan. „Das linke Auge wird hier zugedrückt“, urteilt der Rentner, „eine Ausgewogenheit zu Gewalt von links oder von rechts fehlt.“ „Welche Interessen stecken wohl dahinter?“, fragt er, ohne eine Antwort zu erwarten.
Keine Lügen, aber Mainstream
Nachdem das NDR-Medienmagazin Zapp seine branchenerschütternde Studie veröffentlicht hatte, trugen viele Medienschaffende und -wissenschaftler zur Debatte bei, forschten in Publikationen nach Ursachen oder nahmen Stellung zu Vorwürfen. So unter anderem die Medienwissenschaftler Uwe Krüger („Mainstream: Warum wir Medien nicht mehr trauen“, 2016) und Siegfried Weischenberg, („Medienkrise und Medienkrieg“, 2017), der Publizist Ulrich Teusch („Lückenpresse. Das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten“, 2016) oder auch ZDF-Heute-Journal-Moderator Claus Kleber („Rettet die Wahrheit“, 2017).
Ein Mainstream in der Berichterstattung, verursacht durch ähnliche Nachrichtenauswahlkriterien in allen Redaktionen der großen Medien und Abhängigkeit von Agenturmeldungen, werden zum Beispiel als Ursachen für den Vertrauensverlust gesehen. Ein gewisser Konformitätsdruck und bloßes Nachzeichnen des politischen Diskurses (dazu gibt es eine Studie über die Berichterstattung über Flüchtlinge von dem Leipziger Medienwissenschaftler Michael Haller), werden weiter genannt. Und vielerseits wird der Vorwurf in Worte gefasst, Medienschaffende gehörten mehrheitlich zur Bildungselite, lebten aufgrund ihrer Sozialisation in ihrer eigenen „Filterblase“ und hätten den Bezug zu ihrem Publikum und dessen Themen verloren. Der genannte Leipziger Medienwissenschaftler Michael Haller beschäftigt sich beispielsweise in einer Publikation mit der Krise des Printjournalismus („Brauchen wir Zeitungen?“, 2014) und schreibt: „Die Zukunft der Regionalzeitungen hängt wesentlich davon ab, ob die Redaktionen in ihrem Rollen- und Funktionsverständnis (…) den Perspektivwechsel – weg von der Sicht der Machtträger und der Institutionen, hin zur Alltags- und Erfahrungswelt (vor allem) der jüngeren Erwachsenen – vollziehen können. Die damit verbundene Umorientierung auch der journalistischen Berufsrolle bedeutet eine große Herausforderung (…).“
Jakob Augstein, Herausgeber der Wochenzeitung „Der Freitag“, referierte in einem Vortrag im Rahmen einer Ringvorlesung zum Thema Lügenpresse an der Universität Hamburg im Wintersemester 2016/2017 über die soziale Ungleichheit, die im Land herrsche. Warnende Studien, wie etwa die Bielefelder (2011), seien ignoriert oder nicht ernst genommen worden. Augstein sagt: „Wo den Abgehängten der Resonanzraum fehlt, bringen die Rechten Bewegungen ihre Zuhörer wieder zum Klingen. Wäre es nicht die Aufgabe der Zeitungen gewesen, die Welt zum Klingen zu bringen? Denn wenn es ihnen um die Wahrheit geht, dann frage ich mich: Warum haben die Journalisten die Wahrheit über die Lage im Land eigentlich so sträflich ignoriert? Es gibt Ausnahmen. Aber die großen Blätter waren sich in den vergangenen zehn, 15 Jahren immer erstaunlich einig.“
Gewerkschaften wie der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) prangern vor allem Sparmaßnahmen der Verlage an, die sich unter anderem in einer Konzentration von Redaktionen niederschlagen. Verbunden mit der Zusammenlegung oder Schließung von Pressehäusern sei neben der schwindenden Meinungsvielfalt auch ein massiver Stellenabbau. Immer mehr Journalisten würden in diesem Zuge außerhalb der Tarifverträge, also im Rahmen von unsicheren, schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Das habe unweigerlich einen Qualitätsverlust zur Folge. „Wir sagen, wir brauchen für Journalisten ordentliche Arbeitsbedingungen, wir brauchen sichere Arbeitsbedingungen, wir brauchen Perspektiven, damit wir gute Kollegen beschäftigen und guten Journalismus machen können. Und nur mit gutem Journalismus in Zeiten von Fake News und einer Glaubwürdigkeitskrise kann man die Aufgaben, die Journalisten haben, auch wirklich wahrnehmen“, so Volkmar Kah vom DJV-NRW im Januar 2018. 2018 steht Deutschland auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Rang 15 im Mittelfeld der EU-Staaten. Als einen der Gründe dafür nennt Herausgeber „Reporter ohne Grenzen“ die schrumpfende Pressevielfalt.
… und nach Lösungen
In der Medienlandschaft liegt also einiges im Argen und das nicht erst, wie es auch der Dortmunder Medienkonsument Ekkehard Wilkening mit seinen Beispielen ausführt, seit der Ukraine-Krise. Der in Hamburg lehrende Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg, der 2017 „Medienkrise und Medienkrieg“ veröffentlichte, meint dazu im Online-Magazin Telepolis: „Medienkritik gibt es, seit es den modernen Journalismus gibt. Durch das Internet und speziell die Sozialen Medien verfügt sie freilich über einen viel stärkeren Resonanzboden als früher.“ Und weiter: „Dies alles ist aber nur das vorläufige Ende einer Entwicklung, die schon in den 1970er Jahren eingesetzt hat.“
Für Ekkehard Wilkening, den kritischen Tageszeitungsleser, fehlt es in seinem Lokalblatt manchmal an Ausgewogenheit und Qualität. „Regionale Zeitungen haben alle dieselben überregionalen Inhalte. Aber das ist wahrscheinlich dem Zug der Zeit geschuldet“, sagt er. „Im Lokalen gibt es manchmal ganz ausgezeichnete Berichte, aber manchmal auch Miefiges, wie Kleingartenberichte. Und andere Themen, die lokal auch wichtig wären, zum Beispiel aus der Wirtschaft, werden nicht beachtet.“ Als Geschäftsführer des Handwerker-Arbeitgeberverbandes war er beispielsweise mitverantwortlich für eine überregional bekannte Messe für Elektrotechnik in Dortmund. So hatte es ihn gewundert und verärgert, dass die in der örtlichen Presse meist nur als Randnotiz erwähnt wurde. „In der Branche ist diese Messe mit etwa 400 Ausstellern bis heute wegweisend“, sagt er. „Wir betrieben auch Nachwuchsförderung. Die Frage ist: Wie misst man denn das Interesse des breiten Publikums? Kommt es im Lokalen nicht vor allem auf gute Kontakte an?“
Mit auf dem gemusterten Tischtuch über dem Massivholz-Tisch des Rentners liegt auch Thilo Sarazins Publikation „Der neue Tugendterror“, in der der Bestseller-Autor über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland schreibt. Wer Dinge ausspricht, die nicht ins gerade vorherrschende Weltbild passen, der werde gerne als Provokateur oder Nestbeschmutzer ausgegrenzt, so der Tenor des Buches. „Bestimmte Meinungen werden einfach unter den Tisch gekehrt. Es gibt einen unfairen Umgang mit vom Konsens abweichender Meinung“, sagt Wilkening und tippt mit den Fingerkuppen auf das Buch. „Es gibt Grenzen der Meinungsfreiheit, wo Medien missliebige Personen fertig machen können.“ Das sei immer wieder einmal geschehen. Der Konsens sei eine links-grüne journalistische Grundeinstellung. Vor allem das „Hamburger Dreigestirn“, also Spiegel, Zeit und Stern, „ist tendenziös. Die haben Gewicht und beeinflussen die anderen“, sagt er ruhig, ohne sich sichtlich aufzuregen. Ein Bemühen sei sicherlich vorhanden, „aber es werden viele Objektivitäts- und Gesinnungsfehler gemacht.“ Dann setzt er nach: „Das Schlimmste sind die Heuchler“, „bezahlte Journalisten, die eine unschöne Doppelmoral an den Tag legen.“
Ob denn unter Journalisten nicht viel über Politik diskutiert werde, fragt er. Ob denn nicht auch viele Mitglieder bestimmter Parteien seien, mit denen man sich dann gerne gemein mache. Auch wenn Wilkening es nicht beim Namen nennt, sind es diese Fragen, die sich in der Vertrauensdebatte am hartnäckigsten halten: Die Fragen nach der Beeinflussung „von oben“.
Reaktionen: Versuche mit vielen Worten zu wirken
Viel wurde seit Aufflammen der Debatte diskutiert und reflektiert. Heute-Journal-Moderator Claus Kleber veröffentlichte im September 2017 eine wütende Streitschrift, mit der er gemäß dem Titel versucht, die Wahrheit zu retten und sich gegen Vorwürfe der Beeinflussung „von oben“ zu wehren.
Auch die als streitbar geltende ZDF-Morgenmagazin-Moderatorin Dunja Hayali sah sich im September 2017 dazu veranlasst, in ihrem Facebook-Account eine Gegenrede zu Steuerungs-Vorwürfen zu veröffentlichen: „Wer hat damit angefangen zu behaupten, dass wir beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen morgens auf Anweisungen „von ganz oben“ warten, bevor wir auf Sendung gehen? Glauben Sie ernsthaft, dass sich das verheimlichen ließe?“, fragt sie. „Wir müssen in unseren Einzelteilen des Gesamtprogramms pluralistisch sein, also jede relevante Meinung wiedergeben und ein Spiegel der politischen Stimmungen sein und jederzeit fair und ausgewogen berichten.“ Das, was zähle, seien Fakten, Inhalt und Information. Aber allein die Einordnung, die Interpretation derselbigen sei doch schon subjektiv, räumt sie ein. Also: „Neutral – ja, unabhängig – ja, objektiv – nein.“ Das sei ihre Arbeit – und nicht, bestimmte Weltbilder zu spiegeln oder zu bestätigen.
Versuche mit Taten zu wirken
Neben vielen Worten zur Debatte folgten auch Taten: Im August 2017 schaltete Spiegel Online seinen „Backstage“-Bereich frei: Eine Plattform verspricht Einblicke darin, wie Artikel entstehen und wie Fakten geprüft werden. Hier wird die Finanzierung offengelegt, wie Korrespondenten arbeiten, wie Daten verarbeitet und welche Quellen genutzt werden. Ein offensiver Vorstoß, um Transparenz zu schaffen. Doch versteckt sich die Magazin-Seite unter dem Reiter „mehr“. „Wer viel Selbstkritik erwartet, ist im Backstage-Bereich von Spiegel-Online freilich falsch. Trotzdem ist es ein gelungener Service, der der Leser-Community sicherlich gut gefallen wird“, schreibt Alexander Becker zum Backstage-Start im Online-Magazin Meedia. Zeit Online startete Ende 2016 mit dem Blog „Glashaus“ , das ZDF hat ein „Wir über uns“- Transparenz-Angebot. „Wo uns Verschwörungstheorien und Manipulationsvorwürfe begegnen, da wollen wir mit Transparenz und Offenheit reagieren. Wir möchten unsere Arbeitsweise erklären, noch deutlicher machen, wie der Nachrichten- und Sendungsbetrieb im ZDF funktioniert“, hieß es zum Start im Oktober 2017. Hier wird offen korrigiert oder auch erklärt warum, wie und woher Experten zu Wort kommen. Und im April vergangenen Jahres startete die ARD mit „faktenfinder“ eine Plattform rund um Fake News.
Mit Portalen wie The Buzzard (seit Juni 2017), eine Plattform für verschiedene Stimmen zu einer Debatte, oder Übermedien (seit Anfang 2016), für eine kritische Auseinandersetzung mit Medien, bieten unabhängige Journalisten nun neue Angebote. Bereits seit 1998 (die beiden Jahre zuvor auch als gedrucktes Magazin) beschäftigt sich Telepolis als Online-Angebot des Heise-Verlags mit Medienkritik und Medientheorie. Die NachDenkSeiten, die als „kritische Website“ „gebündelte Informationsquelle für jene, die am Mainstream der öffentlichen Meinungsmacher zweifeln“ und Anlaufstelle für solche, „die sich noch eigene Gedanken machen“, gibt es seit inzwischen 15 Jahren.
Das NDR -Medienmagazin Zapp widmete dem Thema „Medien in der Vertrauenskrise“ im Mai 2017 eine ganze Sendung. „Wie kriegen wir es hin, dass Informationen auch beim Publikum ankommen? Wie kriegen wir es hin, dass man den Informationen, die wir geben, wieder vertraut? Wie kriegen wir unsere Glaubwürdigkeit zurück“, fragte Moderatorin Anja Reschke zu Beginn der Sendung. Unter anderem wird das Konzept des dänischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks DR vorgestellt: Im Kern setzt der Sender auf Ausgewogenheit. Zum Beispiel liege das Geheimnis darin, rauszugehen und herauszufinden was das für Menschen sind, wie sie leben, was ihre Ängste und Erwartungen sind. „Die gucken wahrscheinlich andere Sendungen im Fernsehen und hören Musik, die Sie und Ihre Freunde lächerlich finden. Aber es sind auch Deutsche und ihr müsst für sie berichten. Ich muss für die Dänen berichten. Für jeden einzelnen. Auch für die, die nicht aus meinem eigenen privaten Umfeld kommen“, sagt Nachrichtenchef Ulrik Haargrup. Außerdem arbeite man an einer Kultur, in der Fehler eingestanden und transparent gemacht würden.
Der Zenit der Krise ist überschritten?
Es wurde dementiert und debattiert. Neueste Umfragen, wie die Edelman-Trust-Studie oder die Untersuchung des Instituts für Publizistik der Universität Mainz bescheinigen einen eindeutigen Anstieg des Vertrauens in die Medien – wenn auch keinen deutlichen. Denn, obwohl Medienmenschen reflektier(t)en und Transparenz üb(t)en, – tatsächlich geändert hat sich wenig: Weiterhin werden Redaktionen geschlossen, Nachrichtenagenturen in bestimmten Ressorts als Hauptquellen genutzt und eine neue große Koalition, die wenig Spielraum für starke und gebündelte oppositionelle politische Meinungen lässt, nimmt ihren Lauf. Drei der Ursachen, die der Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger als verantwortlich für den Mainstream-Journalismus ansieht.
Für Ekkehard Wilkening gibt es einen zentralen Lösungsansatz der Krise, der ihn zumindest weniger zweifeln ließe: „Ein Journalist darf Nachrichten nicht so bringen, dass sie von Meinung durchsetzt sind. Medien müssen entweder mehr Meinung vertreten oder sich auf Nachrichtliches beschränken. Beides ist inzwischen zu sehr vermischt.“ Und oft sei Berichterstattung in seinen Augen eben „Alarmismus-Journalismus“. Statt „Wahrhaftigkeitspresse“, wie er sie sich wünschen würde.