„So etwas wie alternative Fakten gibt es nicht!“ 90 Minuten sprach Hillary Clinton zu den Besuchern im Londoner Southbank Centre. Nach diesem Satz erntete sie den größten Applaus. Ein Jahr lag die Präsidentschaftswahl in den USA da bereits zurück. Bei der Vorstellung ihres Buches „What happened“ drehten sich ihre Gedanken immer wieder um den Wert von Wahrheit, Fakten und um ihre eigene Hilflosigkeit im Umgang mit der Wahlkampfstrategie des neuen Präsidenten Donald Trump. Der ist sich im Amt treu geblieben. Welcher Vorwurf ihn auch erreicht: Per Twitter unterstellt er in wenigen Zeilen dem politischen Gegner dafür verantwortlich zu sein oder klagt ihn an, genau das zu praktizieren, was sie ihm vorwerfen. Oder er holt gleich zum Rundschlag aus, indem er den sogenannten „Fake-News-Medien“ einen schlampigen Umgang mit der Wahrheit unterstellt.
In Deutschland liegen die „Lügenpresse“-Rufe gegen Journalisten – nicht nur bei Pegida-Demonstrationen – noch nicht lang zurück. Auch der Brexit-Wahlkampf in Großbritannien war geprägt von einem fantasievollen Umgang mit Fakten. Die Diskussion darüber, ob wir uns im Zeitalter des „Post-Faktischen“ bewegen, ist noch nicht vorüber. Wird aus Lügen, sollten sie nur häufig genug wiederholt werden, eine neue, von vielen akzeptierte Realität? Fällt dies umso leichter, desto mehr Menschen daran glauben, dass es eine objektive Berichterstattung gar nicht geben kann? Und wird daraus mehr und mehr eine politische Strategie, wie Bella de Paulo, Psychologieprofessorin der Universität in Santa Barbara, in der Washington Post vermutet? Was wäre neu daran? Hat es eine auf Lügen basierende politische Propaganda nicht schon immer gegeben?
Was passiert mit unseren Daten?
Der Journalismus bewegt sich heute im Strudel der Veränderungen, der ausgelöst von der Digitalisierung unsere Gesellschaft erfasst. Gerade das macht diese Zeit so spannend. Und gerade deswegen ist es notwendig, die Veränderungen wachsam zu begleiten. Und nach Möglichkeit mitzugestalten, denn ansonsten werden Fakten geschaffen. Nicht zuletzt von Google, Apple, Amazon und Facebook. Die Skandale der letzten Monate haben endlich Geschäftspraktiken, insbesondere bei Facebook, in die breite Öffentlichkeit gespült, die Experten schon lange kritisierten. Was passiert mit unseren Daten? Nach welchen Kriterien werden die Algorithmen programmiert, die darüber entscheiden, welche Informationen uns erreichen und welche nicht? Was bedeutet die von Algorithmen getroffene Auswahl an Nachrichten für User, die versuchen, sich ein möglichst differenziertes Bild über das Berichtete zu machen? Viele Fragen, die auch und gerade junge Studierende der Journalistik beschäftigen. Denn sie wollen den Journalismus und diese Gesellschaft noch über Jahrzehnte mitgestalten.
In zwei Seminaren, einer einjährigen Master-Veranstaltung zur „Wahrheit im Journalismus“ und einer „Bachelor-Veranstaltung“ zum gleichen Thema, haben wir uns diesen Fragen gewidmet. Die Studierenden haben sich mit Verve in die Arbeit gestürzt und sich intensiv mit erkenntnistheoretischen Fragen und deren Auswirkungen in der journalistischen Praxis auseinandergesetzt. Im Dialog mit Kritikern des Journalismus in der heutigen Ausprägung. Im Selbstversuch in sozialen Netzwerken, um zu prüfen, ob es mediale Echokammern wirklich gibt. Als Comic-Kommentar zum Thema Sicherheit und Freiheit in der digitalen Welt.
In der Analyse von Fake News der letzten Jahre, dargestellt als Audio-Podcast. In einer kritischen Betrachtung der Facebook-Algorithmen und des Social-Credit-Systems in China. In einem Essay über den Zusammenhang zwischen dem Internet der Dinge und den Medien von morgen. Oder in Interviews über die Vorzüge und Nachteile der On- und Offline-Recherche. Und dies sind nur einige der medialen Formen und inhaltlichen Perspektiven, mit denen wir uns dem Thema Wahrheit im Journalismus nähern. Die Ergebnisse der Seminare werden in den nächsten Wochen auf HeuteMorgenÜbermorgen, der Online-Plattform des Lehrstuhls für „Fernseh- und Crossmedialen Journalismus“, publiziert.