Werbung für neue Sportschuhe, ein Angebot für ein Surfcamp im Sommer und der neueste Bundesliga-Spielbericht: Outbrain ist eine Plattform aus den USA, die die Interessen der Rezipienten kennt, ohne dass diese ihnen selbst bewusst sind, und ihnen treffsicher die Informationen zuspielt, die sie interessiert. Macht das den Journalismus überflüssig? Ein Gespräch mit Daniel Holm, dem Leiter des Bereichs Sales für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei Outbrain.
Von Luisa Heß und Franziska Weil
Auf Ihrer Website versprechen Sie: „Wir helfen Menschen, interessanten und relevanten Content zur richtigen Zeit zu entdecken – Content dem Sie vertrauen können.“ Was kann Outbrain besser als Journalisten?
Holm: In der heutigen Zeit haben wir nicht mehr die Zeit und die Möglichkeiten, in jedem Artikel die richtigen Empfehlungen zu platzieren. Also sprich: Das wäre alles relativ manuelle Arbeit, die man heutzutage lieber Algorithmen übergibt, die diese Empfehlungen machen können. Man lagert manuelle Aufgaben aus und gibt sie ab an smarte, intelligente Algorithmen – also an KI, künstliche Intelligenz, Machine Learning – weil das besser funktioniert und auf jeden Artikel und auf jeden User zugeschnitten ist. Das heißt, der Nutzer, der diese Seite anschaut, hat auf Basis der Interessen, die wir festgestellt haben, ein eigenes Profil. Natürlich braucht man dafür Journalismus, aber es geht nicht darum, Empfehlungen zu platzieren.
Was noch interessanter wird, ist, dass es Bereiche gibt, die nicht kontextuell sind oder nicht so kontextuell funktionieren. Als Beispiel: der Sport oder Frauenthemen. Alles rund um das Thema Haare ist sehr kontextuell. Das heißt, wenn ich auf der Internetseite einer Zeitschrift wie „Jolie“ bin oder auf einem Frauenportal und mir etwas über Haare anschaue, dann bekomme ich viele weitere haarrelevante Artikel, wohingegen es im Bereich News gar nicht so eine gute Klassifizierung gibt. Hier bin ich vielleicht offen für alles oder viel mehr Themen, und genau diese Überlegung übernimmt Outbrain. Dazu braucht man keine Journalisten, die das manuell setzen.
Wir haben uns ein Szenario überlegt: Ich bin auf Spiegel Online und lese mir einen Artikel zur Bundesliga durch. Darunter werden mir Artikel zu Eishockey und Werbung zu Sportbekleidung empfohlen. Eine andere Person liest sich den gleichen Artikel durch, ihr werden jedoch Artikel und Werbung zu Tennis und Reiseempfehlungen vorgeschlagen. Woher holt Outbrain sich diese personalisierten Informationen?
Da gibt es den Bereich der Dokumenten-Daten, der Meta-Daten, die wir erfassen. Das heißt: Jeder Artikel, den wir empfohlen haben, wird bei uns kategorisiert und gecrawlt1. Wir wissen, was der Inhalt der Headline ist, und versuchen, diesen Content zu verstehen und legen gewisse Kategorien an. So wissen wir, was der Inhalt dieser Kategorie ist und außerdem kennen wir über die IP-Adresse den Nutzer, der diese Seite öffnet, und matchen2 das dann mit dem jeweiligen Outbrain-Interest-Profile des Users, sodass das Ganze dann individuell ausschauen kann. Das heißt, der eine hat dann mehr Interessen für Fußball und der andere eher für Tennis, oder es sind komplett andere Empfehlungen, die ausgespielt werden, weil vielleicht auch noch ein Anbieter Retargeting* anbietet. Das ist dann sehr individuell zugeschnitten und so entscheidet der Algorithmus: Was passt zu dem Nutzer besser? Es kann auch sein, dass diese Tennis-Empfehlung einfach nur eine Testeinblendung ist. Das ist dann kollaboratives Filtern. Jetzt zeige ich dir mal diesen Tennis-Artikel an, vielleicht gefällt dir der ja besser – das sind Tests, die immer wieder stattfinden müssen. Und beim Thema Content Discovery geht es schließlich um das Thema Entdecken, um das Entdecken von interessanten und relevanten Inhalten.
Sie hatten die Kategorienbildung angesprochen – das geschieht alles maschinell?
Genau, das ist alles automatisiert.
Ihre Beschreibungen erinnern alle ja ziemlich an die Arbeitsweise von Google und Facebook. Manövriert Outbrain die Nutzer durch diese personalisierten Empfehlungen nicht in eine Filterblase?
Die Filterblase bei Facebook und Google ist größer. Bei Google werden meine Suchergebnisse über Keywords getargeted3. Wenn ich dort etwas gegen Kopfschmerzen suche, bekomme ich alles angezeigt, was relevant für das Thema Kopfschmerzen ist. Da ist dann ja auch eine gewisse Filterblase gewünscht. Als User setzt man selbst den Filter und hat eine gewisse Absicht: Ich weiß schon, was ich möchte, klicke darauf und bekomme dann diese relevanten Inhalte angezeigt. Bei Facebook ist es ähnlich, dort lebt man über seine Likes und seine Shares noch stärker in dieser Filterblase und wird darin positioniert. Die Filterblase kommt dort sogar noch stärker zum Tragen, weil ich aktiv gewisse Themen angesprochen habe. Bei uns ist es so: Wir kennen die passiven Interessen der Nutzer, also was passiv passiert und für welche Themen man sich passiv interessiert. Daraufhin bilden wir das Profil. Und es kommt natürlich auch noch darauf an, wie stark man targeted*. Das passiert bei uns auch, dass dann nur aus einer Region Empfehlungen angezeigt werden. Unser Targeting ist nicht so fokussiert auf Likes und Shares und auf aktives Targeting, sondern das ist passives Targeting mit dem Discovery-Ansatz. Bei uns ist es bewusst und gewollt, dass wir unsere Nutzer entdecken lassen und sagen: Eigentlich könnte das für sie auch spannend sein, auch wenn das vielleicht nichts mit ihrer Kategorie zu tun hat. Daher würde ich sagen, dass es schon einen Unterschied zu Google und Facebook gibt.
Kann ein Medienhaus eigentlich Einfluss darauf nehmen, was empfohlen wird?
Ja, sie können auch Medien oder Kunden blocken, die ausgespielt werden. Sprich: Sie können selbst bestimmen, was auf der Seite ausgespielt wird. Natürlich auch nur bis zu einem gewissen Grad. Wir sehen, wie viele Publisher, wie viele Marken geblockt wurden. Außerdem legen wir vorher mit dem Kunden, mit dem Publisher zusammen eine Blocklist für Kunden oder Segmente fest, die nicht auf der Seite gespielt werden sollen. Ein gutes Beispiel dafür ist Gaming. Es gibt Publisher, die explizit keinen Gaming-Content auf der Seite haben wollen. Dann liegt das an uns zu überlegen, ob es mit dieser Einschränkung möglich ist, profitabel und effektiv mit dem Publisher zusammenzuarbeiten.
Sie haben gesagt, das geht alles bis zu einem gewissen Grad. Können Sie das noch konkretisieren?
Es kommt darauf an, wie groß der Bereich ist. Wenn wir sagen würden, ein Publisher hätte alle Autohersteller geblockt – und Autohersteller sind ein großer Bereich unserer Kundengruppe, die mit großen Budgets einkaufen – dann würden wir uns damit selbst einen Monetarisierungskanal abschneiden. Die Publisher-Verträge bestehen daraus, dass sie einen gewissen Anteil an Umsätzen abgeben, und dann könnten wir diesen nicht mehr garantieren. Deshalb muss vorher überprüft werden, welche und wie viele Kategorien ausgeblendet werden.
Wie macht Outbrain den Journalismus besser?
Ich glaube, dass es nicht nur der Journalismus ist, sondern generell die Usability4. Die Menschen mögen unsere Empfehlungen. Das ist Teil der Vision und auch der Grund, warum viele Mitarbeiter bei Outbrain angefangen haben. Auch ich fand damals den Ansatz sehr schön zu sagen: Wir verzichten auf klassische Werbung und wollen versuchen, interessante Inhalte über unsere Plattform zu spielen, sprich Content-Marketing zu betreiben. Wir wollen den Nutzer durch Content mit Marken in Verbindung treten lassen. Wir möchten, dass sie engagen5. Und wir machen das insofern besser, als die Empfehlungen automatisiert geschehen und zwar personalisiert. Eine gewisse Personalisierung ist ja auch eines der großen Zukunftsthemen, mit dem sich viele Unternehmen beschäftigen. Diese automatisierten Lösungen bieten eben wir, weil ein Journalist sich nicht darum kümmern sollte, zu welcher Uhrzeit welcher Content gerade jetzt am besten funktioniert. Das kann ein Algorithmus sehr schön übernehmen. Und der Journalist kann sich auf die Themen fokussieren, für die er auch bezahlt wird – und das ist für guten Journalismus.
Wie verdienen Sie mit Outbrain eigentlich Geld?
Das ist eigentlich ganz simpel erklärt: Der Publisher bekommt von uns ein „Revenue-Share-Modell“. Das heißt: Ein Anteil der Umsätze, die wir über den Publisher generieren, werden ihm zurückgegeben. Der Publisher wird also an den Umsätzen beteiligt, und dazu gibt es zum Beispiel noch die internen Empfehlungen, die nichts kosten. Wir suchen uns aktiv Publisher aus, von denen wir der Meinung sind, dass wir sie gerne bei uns im Netzwerk hätten oder die für uns relevant sind, um eine hohe Reichweite zu generieren. Das sind natürlich die Top 50-Publisher Deutschlands. Mit denen gehen wir dann exklusive Partnerschaften ein. Auf dieser Platzierung ist dann kein anderer Anbieter zu finden, der Empfehlungen ausspielt. Was aber sein kann, ist, dass unter unseren Empfehlungen, Ad-Yielding stattfindet, das also zum Beispiel ein Ad-Server-System automatisch Banner ausspielt. Auch die Eigenvermarktung und die Zweit- und Drittvermarktung findet natürlich auf der Seite statt. Wir möchten exklusiver Partner sein für die Content-Empfehlungen und zwar im Idealfall und standardmäßig natürlich über alle Plattformen hinweg, also Desktop, Tablet, Mobiltelefon und auf sozialen Medien. Wir sind auch integriert in Apps zu finden.
Der Werbemarkt im Internet wird in sehr großen Teilen von Google bestimmt. Will sich Outbrain ein Stück vom Kuchen zurückholen?
Wir wollen uns zwei Kuchenstücke zurückholen, und zwar von Google und Facebook im Idealfall. Diese beiden Budgets gehen wir an, weil diese zwei Bereiche für Unternehmen ideal sind. Da versuchen wir uns zu positionieren. Denn das ist etwas, wo wir auch klassische Display-Budgets übernehmen, weil auch klassische Display-Bannerings auf kleinen Formaten von der Click-Rate her so gering sind, dass das nicht mehr profitabel ist. Da setzen wir sehr stark an, aber eigentlich wollen wir uns Social-on-Search-Budgets sichern. Der Ansatz „Content-Marketing“ ist ja auch „always on“, das heißt, dass wir dauerhaft, 24/7, 365 Tage im Jahr Content für Marken verbreiten.
In Deutschland funktioniert die Finanzierung des Onlinejournalismus über Bezahlmodelle wie Paywalls mehr schlecht als recht. Ist Outbrain die Lösung dieses Problems?
Wir sind ein Kanal für Content-Empfehlungen. Ob jetzt die Paywall das Problem löst, das muss der Publisher für sich selbst wissen. Was wir gerade bei uns sehen, ist, dass wir für ausgewählte Publisher Test-Kampagnen umsetzen, um bezahlten Content über unsere Plattform zu promoten und Nutzer zur Konvertierung zu bringen – also neue Kunden für Outbrain zu gewinnen. Ich glaube, dass die Publisher ein Problem damit haben, zu skandieren, das heißt, sie haben die Budgets nicht und sind entsprechend sehr vorsichtig. Ich denke, das ist noch relativ schwierig und hat auch was mit den Inhalten zu tun, weil fast alle Inhalte irgendwo frei verfügbar sind – zumindest mit Ausnahmen. Da kann ich gerade gar nicht sagen, ob wir da die Lösung sind. Das wird sich zeigen, das ist momentan noch zu früh.
Stellen umgekehrt Bezahlmodelle eine Konkurrenz zu Outbrain dar?
Nein, überhaupt nicht. Das ist ein ganz kleiner Teil, der dort stattfinden würde, und dieser kleine Teil ist nicht relevant für uns. Das würde unser Modell nicht beeinflussen.
Blicken wir einmal in die Zukunft von Outbrain: Könnten Sie sich vorstellen, dass Ihr Unternehmen einmal unabhängig von den Medienunternehmen agiert, ähnlich einer Nachrichten-App, und dementsprechend auf den Nutzer zugeschnittenen Content, also Werbung und journalistischen Inhalt, verbreitet?
Ich würde mal sagen: Sag niemals nie! Das kann ich jetzt so nicht beantworten. Es kann alles kommen, und wir sind ja eine flexible Company in dem Bereich. Ich persönlich würde sagen Nein, also dass wir immer den Bezug zu den Publishern haben müssen und dass dieser auch wichtig ist, um den Algorithmus zu steuern. Outbrain wird meiner Meinung nach keine Plattform sein, auf die man geht, sondern wir werden irgendwo immer verbunden sein. Ich sehe für die Zukunft vielleicht eher, dass wir bei der Ausrichtung unseres Netzwerks noch breiter werden. Also dass unser Widget vielleicht auch frei zugänglich sein wird für ausgewählte Blogs. Man kann sich auch vorstellen, dass wir vielleicht noch andere Anwendungen übernehmen werden, wie etwa, dass wir in andere App-Anbieter integriert sind – wie zum Beispiel bei Spotify. Da könnten wir zum Beispiel Stories zu bestimmten Musiken ausspielen.
Gerade junge Nutzer lesen immer weniger Nachrichten auf den Webseiten großer Medienunternehmen selbst. Sie holen sich die Informationen stattdessen eher über Social Media. Hat das Modell Outbrain überhaupt Zukunft?
Absolut! Der demografische Wandel führt ja dazu, dass es immer mehr ältere Menschen geben wird und die werden auch weiterhin traditionelle Medien konsumieren. Gleichzeitig ist es aber auch möglich, über Outbrain Youtube- oder Facebook-Videos auszuspielen. Das Modell wird sich so lange halten, wie sich das Internet hält. Es sei denn, das Internet besteht irgendwann nur noch aus Google und Facebook. Dann würden aber glaube ich relativ viele Modelle aus der Reihe fallen. Ich glaube aber, dass es immer einen Nachrichten-Dienst geben wird, vielleicht auch in Form eines digitalen Papiers, auf das dann Nachrichten gebeamt werden und auf dem unten auch Empfehlungen angezeigt werden. Ich glaube, dass die Leute weiter an eine gewisse Marke gebunden sein werden.
* Begriffserklärungen:
Crawlen: Ein Crawler durchsucht das Internet, liest Seiten aus und verschlagwortet sie.
Matchen: Eine Übereinstimmung finden.
Retargeting/Targeting: Ein Verfolgungsverfahren im Online-Markting, durch das die Besucher einer Website markiert werden und beim Besuch anderer Websites wieder gezielt mit Werbung zur früheren Website angesprochen werden.
Usability: Gemeint ist hier die Nutzerfreundlichkeit.
Engagen: hier: Aufmerksamkeit erzeugen, in Kontakt kommen.