Interview: „Staaten hecheln der neuen technologischen Entwicklung hinterher“

Sarah Müller

24. Juli 2019

Helmut Breitmeier ist Politologe und Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Mit Heute Morgen Übermorgen spricht er über die große Macht von Google und die politischen Gefahren, die von transnationalen Unternehmen dieser Größenordnung ausgehen können.

HMÜ: Herr Professor Breitmeier, Unternehmen wie Google oder Apple erwirtschaften jedes Jahr mehr Geld als die meisten Staaten. Wie konnten diese Firmen so mächtig werden?

Helmut Breitmeier: Wir befinden uns nun seit mehreren Jahrzehnten in einem Prozess der absoluten Deregulierung und Privatisierung: Handelsschranken oder nationale Kontrollmechanismen wurden abgeschafft oder geschwächt, um die Ausdehnung von Unternehmen in den transnationalen Raum zu ermöglichen, was ja auch in vielen Fällen gut ist. Aber damit verbunden hat die Macht transnationaler Unternehmen in diesem Zeitalter der Privatisierung und Globalisierung dramatisch zugenommen. Die Unternehmen sind ganz eigenständige und mächtige Akteure in der globalen Politik geworden und dadurch handelt man sich auch neue Probleme ein.

HMÜ: Was sind das für Probleme und wie äußern die sich?

Helmut Breitmeier: Nun ja, man muss sich klar machen, dass Unternehmen zunächst ein überwiegendes Interesse daran haben, ihre Gewinne zu vermehren oder ihren Umsatz zu steigern. Auf der einen Seite haben sie das Bestreben, in ihrem Sinne auf die Politik so einzuwirken, dass Regelungen entweder unterbleiben oder zu ihren Gunsten ausfallen. Unternehmen trifft es aber auch hart, wenn ihre Reputation leidet, zum Beispiel weil sie öffentlich für ökologische oder soziale Missstände verantwortlich gemacht werden. Ein positives Image als sauberes und auf das Gemeinwohl orientierte Unternehmen ist ihnen extrem wichtig. Diese Reputation ist im Übrigen auch mitentscheidend für ihren Erfolg am Markt. Wenn Unternehmen also politisch kritisiert werden oder öffentlich unter Druck geraten, ist ihr positives Image in Gefahr und sie sind gezwungen, ihr Image zu ändern.

Wenn Unternehmen politisch kritisiert werden oder öffentlich unter Druck geraten, ist ihr positives Image in Gefahr.

—Helmut Breitmeier

HMÜ: Netzaktivisten sehen in der Kooperation zwischen Google und Medienunternehmen den Versuch, ihr Image aufzupolieren. Google wirbt damit, den Qualitätsjournalismus durch seine News-Initiative zu fördern. Wie sehen Sie das?

Helmut Breitmeier: Der Journalismus hat natürlich die Aufgabe zu informieren und die Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung kritisch in den Blick zu nehmen – wie etwa die nicht mehr vorhandene Privatsphäre in sozialen Netzwerken. Auf der anderen Seite muss der Journalismus diese Plattformen selbst bespielen und gerät damit ein Stück weit in Abhängigkeit von Google oder Facebook. Deshalb ist auch eine kritische Sicht auf den Journalismus angebracht. Die Grenzen verschwimmen und es stellt sich die Frage nach der Unabhängigkeit des Journalismus. Es wird interessant sein zu beobachten, wie unabhängig der Journalismus langfristig überhaupt noch sein kann oder will. Aber die Unabhängigkeit ist natürlich ein wichtiges Gut, auf das man auch in Zukunft aufpassen muss.

HMÜ: Wie abhängig ist denn die Politik inzwischen von Google oder Facebook?

Helmut Breitmeier: Transnationale Unternehmen sind wichtige Player bei der nationalen Gesetzgebung großer Handelsländer wie USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder auch bei der EU-Gesetzgebung. Die Unternehmen können ihre ökonomische Macht massiv als Druckmittel bei politischen Entscheidungen einsetzen. Insofern kann ich die Europäische Union nur ermutigen, dass sie gegenüber Google und Facebook entsprechend stark auftritt. Im Bereich der Digitalisierung und der transnationalen Kommunikation der neuen Medien haben wir sowieso Regulierungslücken, da hecheln Staaten der neuen technologischen Entwicklung massiv hinterher – zum Beispiel beim Schutz der Privatsphäre. In diesem Bereich muss sich die Zivilgesellschaft erst wieder ihre Rechte zurückerobern.

Es wird interessant sein zu beobachten, wie unabhängig der Journalismus langfristig überhaupt noch sein kann oder will.

—Helmut Breitmeier

HMÜ: Aber wie soll sich die Gesellschaft ihr Recht auf Privatsphäre zurückerobern, wenn Google sich in all unseren Lebensbereichen unverzichtbar macht und viele von uns ihre Daten auch bereitwillig hergeben, weil für sie der Nutzen gegenüber dem Risiko überwiegt?

Helmut Breitmeier: Ich würde Ihnen zustimmen, es hat ein Einstellungswandel, vielleicht sogar ein sozialer Kulturwandel bezüglich des Schutzes der Intimsphäre stattgefunden, das ist richtig. In den 80er Jahren haben wir noch intensiv über die Einführung des neuen maschinenlesbaren Personalausweises diskutiert. Das stieß damals noch auf starken gesellschaftlichen Widerstand. Dagegen ist es für mich heute verblüffend zu sehen, dass das Bewusstsein für den Datenschutz bei breiten Teilen der Gesellschaft verloren gegangen ist. Eine große deutsche Waren-Handelskette möchte zum Beispiel im nächsten Jahr ihre eigene Bezahl-App einführen. Über diese App kann man Nutzerprofile erstellen und weiß genau, wer welche Produkte einkauft. Die App kann dann gezielt Online-Werbung ausspielen. Das sind Dinge, die in manchen Bereichen des Handels bereits angelaufen sind und die Probleme, die damit eben auch verbundenen sind, werden schon gar nicht mehr wahrgenommen.

HMÜ: Ist vielleicht am Ende allen Szenarien zum Trotz der Nutzen doch größer als der Schaden, der von den großen Plattformen ausgeht?

Helmut Breitmeier: Damit sind Vor- und Nachteile verknüpft. Mit einer globalen Kommunikationsplattform ist es natürlich viel leichter möglich, Informationen auszutauschen und das erhöht die Transparenz. Die Zivilgesellschaft hat dadurch viele neue Möglichkeiten, NGOs, aber auch jeder einzelne Bürger hat plötzlich Zugang zu Informationsquellen, die er früher nicht hatte. Nehmen Sie die Internetseiten von Städten, Kommunen oder staatlichen Institutionen. Die bieten jede Menge Informationen über politische Prozesse und sämtliche Formulare frei zugänglich an, das ist natürlich ein enormer Fortschritt. Aber die Bilanz der Entwicklung sieht für mich dann doch eher gemischt aus.

Freiheit ist gut, aber auch Freiheit braucht ihre Grenzen.

—Helmut Breitmeier

HMÜ: Sie meinen aus einem politikwissenschaftlichen Blickwinkel?

Helmut Breitmeier: Ja, denn wir wissen aus der Praxis, dass sich mit neuen Kommunikationsplattformen nicht automatisch mehr globale Freiheit einstellt. Viele autoritäre Staaten wie China oder Russland limitieren den Zugang zu sozialen Medien aus dem Ausland, kontrollieren die neuen Kommunikationsplattformen oder schaffen eigene Systeme, die sie für ihre politischen Zwecke einsetzen. Wir leben zudem in einem Zeitalter, in dem autoritäre Herrschaftsformen, Denkmuster und Strukturen auf dem Vormarsch sind. Damit ist auch die Gefahr verbunden, dass die klassischen Menschenrechte missachtet werden: also der Schutz vor rassistischer und sexueller Diskriminierung, anderen Formen der Diskriminierung oder auch die Informationsfreiheit. Man muss auch kritisch hinterfragen, wie stark die neue Medien-Struktur durch die USA kontrolliert wird. Andererseits: Mit zu viel Freiheit im Internet handelt man sich auch wieder neue Probleme ein. Freiheit ist gut, aber auch Freiheit braucht ihre Grenzen.

Quelle Titelbild: Andy Beales/ Unsplash

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