Interview: „Wir reden bei Google und Co. gerne von Frenemys“

Sarah Müller

24. Juli 2019

Wie viele deutsche Verlage hat auch die WirtschaftsWoche Geld aus dem Google-Fond erhalten. Lutz Knappmann gehört zur Chefredaktion der WirtschaftsWoche und ist seit Januar 2018 Chefredakteur von wiwo.de. Davor war er als Innovations-Chef für den Aufbau neuer Digitalangebote bei der Süddeutschen Zeitung verantwortlich und von 2011 bis 2016 stellvertretender Chefredakteur von SZ.de. Mit Heute Morgen Übermorgen spricht er über die Risiken und den Nutzen einer Kooperation mit Google.

HMÜ: Wie abhängig sind Medienunternehmen von großen Konzernen wie Facebook oder Google?

Lutz Knappmann: Wir reden bei Google, Facebook und Co. nicht ohne Grund gerne von Frenemys, also von befreundeten Feinden. Denn auf der einen Seite profitieren wir stark davon, dass Nutzer über Google auf unsere Webseite kommen. Auf der anderen Seite unterstützen wir die großen Plattformen beim Wachstum, wenn wir ihnen attraktive Inhalte liefern. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass sich Medienunternehmen nicht in eine Abhängigkeit dieser Konzerne begeben dürfen, aber wir müssen mit unseren Inhalten auch immer wieder im Radar von Nutzern auftauchen, die uns noch nicht kennen und dafür brauchen wir die großen Plattformen. Vor allem bei jüngeren Nutzern können wir nicht darauf setzen, dass sie schön brav im Browser www.wiwo.de eintippen.

HMÜ:
Das klingt aber ziemlich ernüchternd.

Lutz Knappmann: Nicht unbedingt. An unseren Nutzerzahlen sehen wir ganz deutlich, dass immer mehr Nutzer über Plattformen auf unsere Seite kommen. Praktischerweise wächst die Zahl der Plattformen, die wir mit Inhalten bespielen können. Sie haben als Redaktion heute nicht nur Google, Facebook und Twitter zur Verfügung, sondern auch Xing, LinkedIn, Pocket, Upday, Apple News, Flipboard und wie sie alle heißen.

Vor allem bei jüngeren Nutzern können wir nicht darauf setzen, dass sie schön brav im Browser www.wiwo.de eintippen.

—Lutz Knappmann

HMÜ: Aber Google ist ein spezieller Fall, weil das Unternehmen über seine Tools und Dienstleistungen Nutzerdaten abgreift und damit Geld verdient.

Lutz Knappmann: Na ja, ich brauche diese Daten als Online-Anbieter von journalistischen Inhalten für mein eigenes Geschäftsmodell ja auch. Daten sind wahnsinnig relevant, weil sie mir helfen, ein inhaltliches Produkt zu machen, das meine Leser interessiert. Die WirtschaftsWoche bedient eine Nische und funktioniert nicht wie ein Portal wie Spiegel Online, das sich bei einer Generation von Internetnutzern im Rückenmark verdrahtet hat. Deshalb müssen wir mit Plattformen kooperieren, weil sie uns dabei helfen, sichtbarer zu sein. Aber Sie müssen auch Anreize schaffen, damit die Leute, die uns bei Google sehen, einen Grund haben wiederzukommen.

HMÜ: Die Zusammenarbeit mit Google findet noch auf einer anderen Ebene statt. Wie viele große Verlage hat auch die WirtschaftsWoche Geld aus dem ‚Google News Innovation Fund‘ bekommen, mit dem Innovationen im Journalismus gefördert werden. Wie stehen Sie als Innovationsexperte in der Medienbranche zu dem Programm?

Lutz Knappmann: Ich glaube, eine Zusammenarbeit mit Google ist zu bewerten wie eine Zusammenarbeit mit jedem anderen Unternehmen. Es muss klar sein, dass kein Unternehmen aus altruistischen Gründen handelt, es wird immer eine Haltung oder das Weltbild mittransportiert. Es gibt Häuser, die sagen: Das Geld aus dem Google-Fond ist tabu, um sich nicht abhängig zu machen. Ich kann die Argumentation dahinter nachvollziehen, aber man kann das auch anders sehen, und das machen wir bei der WiWo, die für verschiedene Projekte DNI-Fundings bekommen hat.

Es gibt Häuser, die sagen: Das Geld aus dem Google-Fond ist tabu, um sich nicht abhängig zu machen.

—Lutz Knappmann

HMÜ: Was sind das für Projekte bei der WirtschaftsWoche, die mit dem Fund gefördert werden?

Lutz Knappmann: Das sind in jedem einzelnen Fall Projekte, die einen gewissen experimentellen Status haben. Projekte, bei denen mit Hilfe von Google Dinge ausprobiert und entwickelt werden, von denen man zumindest hofft, dass sie dem beteiligten Verlag oder auch der ganzen Branche Spielfelder und Kanäle eröffnen, die man bisher so noch nicht kannte und die man vermutlich aus eigenen Mitteln auch nicht erschlossen hätte. Die Herausforderung besteht aber darin, nachhaltig etwas über einen Projektzeitraum hinaus zu entwickeln, das der Verlag nutzen kann und das wirtschaftlich einen Mehrwert bietet.

HMÜ: Sehen Sie darin keine Gefahr für die Unabhängigkeit des Journalismus?

Lutz Knappmann:
Die Förderung hat ja mit dem redaktionellen Kerngeschäft nichts zu tun. Es ist nicht so, dass Google sich jetzt eine positive Berichterstattung oder positive Haltung kaufen könnte. Google ist natürlich tricky, weil Google omnipräsent ist. Für ganz viele Journalisten ist der erste Schritt einer Recherche die Google-Suche, viele setzen Analytics als Tracking-Tool ein oder YouTube als Ausspiel-Kanal. Google hat schon eine Dauerpräsenz in der Medienbranche. Aber jeder, der in dieser Branche arbeitet, kennt diese Zusammenhänge, versteht die Mechanismen dahinter und kann sie kritisch beurteilen. Wenn mir die kritische Distanz fehlt, ist das ganz sicher ein Problem. Am Ende führen wir dann aber eine Debatte, die sich im Kern darum dreht, ob Journalisten insgesamt ihre nötige Unabhängigkeit bewahren können – nicht nur bezogen auf Google.

Quelle Titelbild: Hunter Newton/ Unsplash

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