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Paralympische Spiele: Mit sozialen Medien aus der Nische

Foto: Alexandr Zadiraka/Shutterstock.com

Das Internationale Paralympische Komitee will nicht weniger als eine Bewegung starten und paralympische Athleten in den Fokus rücken. Dafür setzt es gezielt moderne Medien ein. Natalia Dannenberg-Spreier ist Leiterin der „Digital-Media“-Abteilung des IPC (International Paralympic Commitee). Sie leitet diese Abteilung seit 2013 und hat den Traum, die Paralympics in den Mainstream zu rücken. Im Interview erzählt sie, was die Digitalisierung und die Kommerzialisierung damit zu tun haben.

Was macht das IPC und was ist Ihre Aufgabe im Verband?
Das IPC ist für die paralympischen Spiele zuständig und als International Federation für zehn verschiedene Sportarten zuständig, für die Regeln und auch die Welt- und regionale Meisterschaften. Als Leiterin der Digital Media Abteilung bin ich zuständig für Social Media, Videos, Live Streaming, Email-Kommunikation und auch Partnerschaften, wenn wir bei digitalen Kampagnen mit Partnern arbeiten. Wir haben drei Festangestellte in unserem Team: Eine macht Videos, die andere Community Management und die dritte kümmert sich um den Content, also zum Beispiel auch um Grafiken oder Ähnliches. Ich als Leiterin des Teams bin eher für Strategie, Partnerschaften und solche Sachen zuständig. Während der Paralympics ist unser Team natürlich viel größer. Vier Leute können das nicht hinbekommen. In Rio waren wir insgesamt 50 Leute, da haben wir auch das Live-Streaming übernommen. In Pyeongchang waren es dann viel weniger, so 20 Leute.

„Ihre eigenen Geschichten sind am stärksten“

Unsere Hauptmotivation ist, Meinungen über Behinderung zu ändern. Das ist vielleicht etwas anders als bei anderen Sportarten. Bei anderen Sportarten ist der Sport an sich das finale Ziel. Der ist natürlich für uns auch sehr wichtig. Aber wir wollen hauptsächlich Meinungen ändern. Wenn man einen blinden Skifahrer auf der Piste sieht, dann können wir viel besser Meinungen über blinde Leute ändern. Dann kapieren Leute, wozu diese fähig sind.

Unsere Sportler haben immer Geschichten zu erzählen und können das viel besser machen als wir beim IPC. Wir können dafür sorgen, dass die Geschichten weiterverbreitet werden. Aber ihre eigenen Geschichten sind am stärksten. Im Zentrum unserer Strategie sind immer die Athleten. Wir wollen sie immer im Mittelpunkt haben und darstellen, was sie können, anstatt was sie nicht können.

Wie setzen Sie das in der Praxis um?

Dafür haben wir vor den Paralympics in London angefangen uns auf bestimmte Athleten zu konzentrieren. Wir haben gesehen, dass wenig Leute vor London Namen von Para-Sportlern nennen konnten. Wir können natürlich nicht alle Sportler berühmt machen. Deswegen haben wir uns auf eine kleinere Gruppe konzentriert und die heißen „Ones to Watch“. Und das hat bis jetzt eigentlich ganz gut funktioniert.

In Deutschland ist so Markus Rehm ziemlich bekannt geworden, der ist öfter auch mal in der Sportschau. Und in Großbritannien sind es wegen der Spiele in London sogar mehr. Damals, vor den Spielen, konnten bloß ein Prozent der Leute fünf Para-Athleten nennen. Nach London konnten die Leute durchschnittlich 22 nennen.

Die Spiele von London als Wendepunkt

Wie hat die Digitalisierung Ihre Arbeit vereinfacht?

Jemand, der Para-Sport nie erlebt hat, versteht es auch nicht und hat eine andere Vorstellung davon. Für uns ist wichtig, dass die Leute nicht nur darüber lesen. Sie müssen es auch sehen, entweder im Fernsehen, im Internet, oder tatsächlich vor Ort. Deswegen finden viele unserer digitalen Kampagnen vor den Spielen statt, um Karten zu verkaufen, damit wir mehr Zuschauer haben. Und durch die Digitalisierung ist es auch auf jeden Fall einfacher, Aufmerksamkeit zu bekommen. Social Media ist eigentlich besonders freundlich zu Nischensportarten, also zu etwas Außergewöhnlichem. Leute würden eher ein Tor von einem blinden, als von einem „normalen“ Fußballer teilen. Das ist der Vorteil.

Haben Sie es bis jetzt schon geschafft, Ihr Ziel zu erreichen, also die Meinung über den Behindertensport zu ändern?

Jedes Jahr, wenn es paralympische Spiele gibt, gibt es Untersuchungen dazu. Hauptsächlich in den Ländern, in denen die Spiele stattgefunden haben. Wegen der Paralympics in London haben 81 Prozent der britischen Erwachsenen ihre Meinung über Menschen mit Behinderung geändert. Darüber hinaus haben 85 Prozent gesagt, dass Para-Athleten Vorbilder für sie seien. Aber ich glaube auch, dass es weltweit gerade eine Änderung gibt. Selbst hier in Deutschland sehe ich Para-Sport oft in der „Sportschau“. Das ist fast zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Das war vor London noch nicht so. London war ein Wendepunkt für uns.

Warum waren es denn genau die Spiele in London 2012?

Die Spiele in London waren sehr erfolgreiche Spiele mit wenigen Skandalen. Das war die eine Sache. Da haben die Medien sich mehr auf den Sport konzentriert und nicht auf die Skandale. Und das Organisationskomitee hat damals den gleichen Wert auf die olympischen wie auch auf die paralympischen Spiele gelegt. Die waren also gleichwertig. Ich glaube, diese Investition war wichtig. In England waren die Paralympics jeden Tag auf dem Titelseiten aller Zeitungen. Das war schon krass. Ich glaube auch, die geographische Lage hat uns geholfen. Es ist ziemlich nah für viele Journalisten. Peking und Rio sind da ein bisschen weit weg. Vielleicht würden nicht alle Zeitungen jemanden schicken. Dass es so leicht zu erreichen war, spielte eben auch eine Rolle.

In der Leichtathletik hatte die WM 2017 in London ein gemeinsames Logo für Para- und Nicht-Para-Veranstaltungen. Foto: Valentin Dornis

Viele Para-Sportler sind auch selbst sehr aktiv in den Sozialen Medien.

Das ist für uns sehr wichtig. Wenn man zum Beispiel Fußball betrachtet, haben die Fußballer normalerweise viel mehr Follower als die Fifa oder UEFA. Ich glaube, Leute interessieren sich für die Geschichten von Personen. In jeder Sportart folgt man eher Personen, als der Sportart an sich. Wenn man fragt warum Leute Wimbledon gucken, dann ist das wegen Roger Federer oder Serena Williams. Also wegen einer Person.

Wir ermutigen die Athleten auch mehr zu teilen. Unsere „Social Media Guidelines“ sind viel offener als die vom IOC. Bei den Olympics können die Athleten weniger machen. Aber unsere Regeln sin nicht so streng, damit die Sportler eben auch ihre eigenen Geschichten erzählen können. Wir haben auch mit unseren Partnern versucht, Projekte zu machen, damit unsere Athleten mehr erzählen können.

„Ich will, dass der Para-Sport Mainstream wird“

Was sind Ihre Wünsche für den Para-Sport? Was wollen Sie noch erreichen, was läuft gerade vielleicht noch nicht so optimal?

Ich will, dass der Para-Sport Mainstream wird, dass jeder Zugang hat, um die Paralympics anzuschauen: Entweder bei unserem Livestream, oder bei einem Fernsehsender. Dadurch, dass wir immer erfolgreicher geworden sind, haben wir auch immer mehr Verträge mit Fernsehsendern. Das ist eine ziemlich wichtige Einnahmequelle. Die Fernsehsender bezahlen viel für die Rechte. Das ist gut, bedeutet aber auch, dass wir in diesen Ländern, wo wir Fernsehrechte verkauft haben, weniger auf den sozialen Medien machen können. Zum Beispiel können wir keine Livestreams oder Videos während der Spiele veröffentlichen und müssen viel Geoblocking machen. Das ist immer eine Gratwanderung. Deswegen versuchen wir – selbst
wenn wir Fernsehrechte verkaufen – immer noch etwas auf Social Media machen zu können. Social Media hat keine Grenzen.

Besucher bei der Leichtathletik-Para-WM in London.
Foto: Valentin Dornis

Gibt es durch die Digitalisierung mehr Gleichberechtigung im Sport?

Ja, teilweise stimmt das schon. Wir haben die Möglichkeit, selbstständig mehr zu machen. Das heißt, wir müssen uns nicht auf Fernsehsender oder andere Journalisten verlassen, um unsere Geschichten zu erzählen. Dann
gibt es aber diese Sache, dass alles immer kommerzieller geworden ist, dass man also nicht einfach nur veröffentlichen kann. Um viele Leute zu erreichen, muss man eigentlich bezahlen. Aber es gibt auch andere Sachen. Alternative Online-News-Outlets interessieren sich auch immer mehr für Para-Sport. Das, was anders ist, ist gleichzeitig auch interessant und cool
für solche Plattformen. Das Image von Paralympics ist immer noch sehr gut. Trotz der Skandale. Wir haben eine andere Entscheidung getroffen als das IOC mit Russland. Laut einer Untersuchung wurde unser Image viel weniger von solchen Skandalen getroffen, als das von den Olympics. Das ist wiederum für unsere Sponsoren sehr interessant.

Interesse steigt

Sie reden davon, dass die Paralympics bei den Sponsoren gut ankommen. Wie sieht das bei den Bürgern aus?

Normalerweise sind die Kommentare auf Social Media sehr positiv. Es gibt natürlich Leute, die das nicht gerne ansehen, aber die gibt es bei jeder Sportart. Im Vergleich zu den olympischen Facebook-Seiten löschen wir negative Kommentare auch nicht. Wir wollen immer noch offen und transparent bleiben und die Kommentare sind nicht so negativ, dass wir sie löschen müssten. Das gleiche gilt auch für Instagram, Twitter und YouTube. Es ist aber immer noch eine Nischensportart. Ich würde wirklich gerne erleben, dass es Mainstream wird, dass es selbstverständlich ist. Und vor allem auch, dass Leute es gerne anschauen und sich darüber freuen.

Glauben Sie, dass diese Zeit kommt?

Ich glaube, wir sind auf jeden Fall auf dem Weg dahin. Unsere Fernseh- und Social-Media-Statistiken zeigen, dass es immer mehr angeschaut wird. Und ich glaube, während der Spiele, also während der ersten drei Tage in Pyeongchang hatten wir mehr Video-Views als bei den ganzen paralympischen Sommerspielen in Rio. Man merkt, dass es auf jeden Fall immer mehr wird.

Beitragsbild: Alexandr Zadiraka/Shutterstock.com