Interviews, Interviews Quo Vadis

Journalismus und soziale Netzwerke: Gelassenheit statt Empörung

Früher war er Social-Media-Skeptiker, mittlerweile folgen 44.000 Menschen seinem Twitter-Account. Stefan Leifert ist seit 2014 Korrespondent im ZDF-Studio Brüssel und berichtet von dort aus über Europapolitik – und das eben auch auf Twitter. Im Interview spricht er über Digitalisierung, über Politiker in sozialen Netzwerken und darüber, wie neutral Journalistinnen und Journalisten in ihrer Berichterstattung sein können.

Was ist deine Rolle als Journalist in Zeiten der Digitalisierung?

Leifert: Ich glaube, dass wir nach wie vor eine entscheidende Funktion in der Gesellschaft haben. Vielleicht ist unsere Rolle sogar dadurch noch wichtiger geworden. Aber sie hat sich geändert. Wir haben nicht mehr diese Gatekeeper-Funktion. Unsere Aufgabe ist es jetzt, die Vielzahl von Informationen, die die Digitalisierung möglich macht, zu ordnen, einzuordnen und zu erklären – die berühmte Schneise in den Informationsdschungel zu schlagen.

Wir müssen im Dickicht von Informationen auch dahingehend geschult sein zu unterscheiden: Was sind verlässliche Informationen? Was sind glaubhafte Quellen? Was sind authentische Informationen oder auch authentische Bilder und was nicht?

Wie hast du persönlich diese Veränderung im Journalismus erlebt?

Stefan Leifert

Findet, das Twitter nicht nur Feedback-Kanal, sondern auch eine wichtige Quelle für Journalisten ist: ZDF-Korrespondent Stefan Leifert.

Eigentlich aus eigener Erfahrung und Anschauung durch soziale Medien. Ich war am Anfang Social-Media-Skeptiker und habe mich lange gesträubt, Facebook, Twitter und inzwischen Instagram oder Snapchat zu nutzen, dort in der journalistischen Rolle aktiv zu sein. Für mich waren das anfangs nur Medien, die ich für private Kontakte und Zwecke nutzen wollte. Ich fand es immer etwas dubios, die sozialen Medien auch für journalistische Zwecke zu gebrauchen. Ich habe meine Meinung aber radikal geändert und mir ist durch die Nutzung bewusst geworden, dass ich als Journalist nur einer unter ganz, ganz Vielen bin, die dort publizieren und eine breite Öffentlichkeit erreichen. Daran müssen wir uns als Journalisten erst noch gewöhnen.

Nach deiner anfänglichen Skepsis twitterst du mittlerweile sehr aktiv. Welches Ziel verfolgst du damit?

Mein Ziel ist es, in beide Richtungen zu kommunizieren. Ich merke, dass es durchaus Impact hat, wenn man etwas twittert und damit mehrere Tausend Menschen erreicht. Das ist natürlich, verglichen mit der Zahl der Leute, die wir mit einer Nachrichtensendung erreichen, nur ein kleines Publikum. Aber es ist ein aktives Publikum. Man erreicht Leute, die sich sehr bewusst dafür entschieden haben, mir zu folgen und die offenbar Interesse daran haben, das zu lesen, was ich aus Brüssel über EU-Politik schreibe. Sie zeigen ihr Interesse auch, indem sie eine Antwort, einen Widerspruch, eine Kritik oder eine Weiterführung äußern.

Dieses Bedürfnis befriedigt Twitter natürlich eher, als das einseitige Kommunizieren mit Fernsehbeiträgen. Außerdem muss man heutzutage wahrscheinlich keinem Journalisten mehr erklären, dass Twitter inzwischen das Medium geworden ist, wo man zwar nicht alles, aber zumindest manches zuerst erfährt. Das können ganz schnöde und banale Alltagsinformationen sein, über die Agenda oder den Terminkalender von Politikern. Aber auch was Politiker denken und zu bestimmten Themen an Positionen vertreten, erfährt man im Zweifelsfall über Twitter viel schneller, als wenn ich auf eine Pressemitteilung warte oder auf eine Äußerung, die dann über Nachrichtenagenturen verbreitet wird.

„Wir werden oft als Filter gesehen“

Wie stehst du denn zu twitternden Politikern beziehungsweise Entscheidungsträgern?

Ich kann absolut verstehen, dass Politiker es reizvoll finden, an den Filtern vorbei mit ihrem Publikum zu kommunizieren. Wir als Journalisten oder Medien werden von Politikern oft als Filter gesehen und nicht immer passen ihnen unsere Nachrichtenfaktoren, nach denen wir filtern. Dass Politiker gerne den direkten Kanal nutzen, kann ich zu 100 Prozent verstehen. Das finde ich nicht anrüchig, das finde ich legitim.

Raubt es dem Journalismus nicht eine Aufgabe, wenn Politiker direkt mit ihren Wählern kommunizieren? Früher hat das ja der Journalismus abgedeckt.

Ich denke, dass wir eher an Rolle gewinnen, als verlieren. Wir müssen genauso auf das gucken, was Politiker inhaltlich auf den Social-Media-Kanälen verbreiten. Wenn sich Markus Söder zur neuesten Wende in der Asyldebatte äußert oder zum Beispiel Horst Seehofer ankündigt, dass er künftig twittern will, dann ist es die Aufgabe von uns Journalisten, diese Aussagen nach den gleichen Kriterien, die wir schon immer hatten, unter die Lupe zu nehmen, genau wie eine Äußerung in einer Talkshow oder im Parlament.

Eine Einschränkung würde ich allerdings machen: Soziale Netzwerke verleiten dazu, sehr viele Dinge zu veröffentlichen, die eher ins Private fallen und früher nicht so viel Raum hatten. Wenn ich mir beispielsweise den Instagram-Account des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder angucke oder den von Dorothee Bär, der Staatsministerin für Digitalisierung, dann sieht man natürlich, dass die Neigung sehr groß ist, auch über das, was man beispielsweise heute angezogen hat, zu schreiben. Wenn Markus Söder darüber schreibt, was er am Sonntag macht, dass er den Tag am See verbringt, dass er gerade ein Tierheim besucht und dazu aufruft, für eine kranke Katze ein Zuhause zu finden, muss man als Journalist ein bisschen aufpassen, nicht mitzumachen und wirklich nur bei dem bleiben, was politisch irgendwie relevant ist.

Unabhängig von Twitter und Digitalisierung: Findest du, dass die Berichterstattung momentan gut läuft oder stört dich etwas?

Was mich am meisten stört – und das ist jetzt vielleicht auch ein bisschen der Tatsache geschuldet, dass ich aus dem Ausland heraus nach Deutschland schaue und die Berichterstattung da verfolge -, ist die unglaubliche Gereiztheit und die Empörungsbereitschaft, in der wir uns bewegen. Das gilt nicht nur für Journalisten, aber es gilt auch für Journalisten. Ich habe das Gefühl, dass im Zweifelsfall die Neigung eher dahin geht, auch kleinere Themen immer auf das Empörungspotential abzuklopfen, um bloß nicht derjenige zu sein, der nicht rechtzeitig gemerkt hat, dass sich etwas abspielt, worüber man sich empören muss.

Das haben vor allem die Ereignisse in Chemnitz oder auch in Köthen gezeigt. Da täten wir alle gut daran, sowohl auf der journalistischen Seite als auch auf Seiten der politischen Akteure, im Zweifelsfall erst einmal Ruhe und ein bisschen Gelassenheit vor Empörung walten zu lassen. Sonst verstricken wir uns in diese Debatte, auf eine ganz gefährliche Art.

„Ich kann kein komplett neutrales Wesen sein“

Aber kann man als Journalist gerade bei Themen wie Rechtsradikalismus völlig neutral bleiben?

Das stellt natürlich vor die Frage: Was heißt journalistische Objektivität oder Unabhängigkeit in Bezug auf radikale Umtriebe? Es gibt ja den berühmten Leitsatz: Man soll sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten. Aber kann ich eigentlich ein komplett neutrales Wesen sein? Ich glaube, das kann ich nicht. Ich komme als Journalist nicht umhin mir einzugestehen, dass ich natürlich immer einen Standpunkt habe. Und bei mir wäre das der Standpunkt, dass ich von einem demokratischen Rechtsstaat überzeugt bin.

Wenn jetzt Rechte kommen, die an den Grundsätzen von Demokratie rütteln, dann finde ich es legitim, als Journalist auch deutlich zu machen, dass ich ganz woanders stehe. Man kann sich gar nicht so sehr verrenken und in den Debatten so zu tun, als sei man komplett neutral. Wenn es an die Grundsätze unseres Rechtsstaates oder auch unserer Demokratie geht, bin ich nicht mehr neutral. Dann bin ich einfach Demokrat, dann bin ich pro Rechtsstaat und Unabhängigkeit von Justiz. Ich finde es auch legitim, das so zu benennen.

Wie machst du das im Alltag transparent, dass du diese Position vertrittst?

Ich glaube, dass es sich an einem Vokabular festmacht, welches man benutzt. Man macht es eher implizit als explizit. Wir merken ja, wie schwer wir uns tun, Adjektive zu finden für das, was sich gerade im rechten Spektrum abspielt. Zum einen, weil es neu ist, zum anderen aber auch, weil es Grenzen überschreitet, die wir bisher noch nicht kannten. Ich denke nicht, dass es für uns zwingend ist, jedes Mal zu sagen: „Ich stehe hier und jetzt berichte ich darüber.“ Das stellen wir klar, indem wir bestimmte Dinge einfach brandmarken, als Grenzüberschreitung, als antidemokratisch oder als gegen humanitäre Grundprinzipien gerichtet.