Datenschutz, Quo vadis, Journalismus?

Unabhängig – oder gezielt durchgestochen?

Foto: CarpathianPrince/Shutterstock.com

Ein aufklärerischer, investigativer Journalismus ist auf Quellen, Informanten und Hinweisgeber angewiesen. Dumm nur: Der Whistleblower ist in polarisierten Gesellschaften längst keine unumstrittene Heldengestalt mehr. Was bedeutet das für Journalisten? Darüber hat Markus Bergmann nachgedacht. Sein Text ist ein leicht geänderter Auszug aus dem Buch „Wenn Maschinen Meinung Machen“, das im März 2018 im Westend-Verlag erschienen ist. 

Es ist der 10. Juni 2013, als Edward Snowden im fahlen Licht eines Hongkonger Hotelzimmers dem Guardian ein Videointerview gibt. Er ist der Mann, der der Zeitung 1,7 Millionen interne Dokumente des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes National Security Agency (NSA) zugespielt hat. Sie belegen eine umfangreiche Überwachung des Internets durch die NSA und andere Nachrichtendienste. In den folgenden Wochen und Monaten finden unzählige Enthüllungen statt – unter anderem wurde jahrelang das Handy der deutschen Bundeskanzlerin abgehört.

Snowden gibt der Geheimdienstaffäre ein Gesicht, das Journalisten und Medien rund um die Welt seither gerne und oft zeigen. Es wird zur Ikone, geht auf Aufkleber und T-Shirts gedruckt in die Popkultur ein. Die Befugnisse des Geheimdienstes und der Umfang der Überwachung sind der Öffentlichkeit nicht bekannt, sondern unterliegen höchster Geheimhaltung. Snowden macht die Praktiken öffentlich in dem Wissen, dass er von den amerikanischen Behörden gejagt werden wird.

Ein Held? In linksliberalen Milieus sicherlich. Schon die Strafverfolgung Snowdens zeigt aber, dass es mehr als nur eine Betrachtungsweise gibt. Gerade in den Vereinigten Staaten ist die Gruppe derer, die Snowden für einen Verräter halten, groß. Barack Obama macht keinerlei Anstalten, Snowden Straffreiheit zu gewähren. Deutsche Regierungspolitiker reagieren merkwürdig verdruckst, wohl auch in dem Wissen, dass die eigenen Geheimdienste nicht unbedingt nobler agieren. Politisches Asyl bekommt Snowden in der Bundesrepublik trotz bunter Sticker und Forderungen der Opposition nicht. Stattdessen strandet er in Russland, Ende offen – eine alles in allem recht beschämende Situation für die Staaten, die sich dem liberalen Westen zurechnen. […]

Tatsächlich haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für Whistleblower und investigative Journalisten gerade in Deutschland in den vergangenen Jahren nicht unbedingt verbessert. Seit 2015 gibt es im Strafgesetzbuch den Tatbestand der Datenhehlerei, der gerade Journalisten vor Gericht bringen könnte. Und könnte deren Schutz schon besser sein, so müsste er für Whistleblower erst einmal grundsätzlich geschaffen werden, denn konkrete gesetzliche Rahmenbedingungen fehlen für sie gänzlich. Ein Whistleblower-Gesetz gibt es in Deutschland nicht und in den USA nur mit sehr eingeschränktem Schutz. Für Behörden, Unternehmen und Organisationen ist es daher ein Leichtes, Whistleblower zu verfolgen. […]

Wenig gesellschaftliche Lust auf Auseinandersetzung mit Whistleblowing

Snowden hat die Transparenzdebatte befeuert. Die Open-Data-Bewegung stellt grundsätzliche Fragen: Wie durchsichtig muss ein Staat sein und wo darf oder muss sogar er Geheimnisse haben? Und wie muss er folglich mit denen umgehen, die formal Verrat üben, aber Aufklärung im besten Sinne betreiben? Wo endet die Transparenz gerade in Zeiten, in denen nicht nur der Staat mehr und mehr Daten über seine Bürger sammelt, sondern auch multinationale Konzerne wie Google und Amazon alle Lebensbereiche vermessen – basierend auf der Freiwilligkeit oder dem Unwissen der Nutzer? Es gibt keine endgültigen Antworten, aber bedauerlicherweise auch wenig politische und gesellschaftliche Lust auf die Auseinandersetzung mit den entsprechenden Fragen. Was dazu führt, dass sich auch das Whistleblowing à la Snowden weiterhin in einem Schwebezustand befindet.

Zumal es neben Snowden auch deutlich ambivalentere Vertreter des Whistleblowings gibt – etwa Julian Assange. Seine Plattform WikiLeaks veröffentlicht seit 2007 geheime Dokumente, die sie aus vielen Quellen zusammenträgt. So weit, so unproblematisch, denn scheinbar legt sich Assange aus gutem Grund mit den Mächtigen der Welt an: Dokumente wie das Video „Collateral Murder“ zeigen amerikanische Luftangriffe während des Irakkriegs, die Zivilisten und Journalisten treffen. Auch die von der Bundeswehr angeordnete Bombardierung von zwei Tanklastzügen im afghanischen Kundus mit vielen zivilen Opfern wird durch WikiLeaks-Dokumente belegt.

Aber WikiLeaks und Assange haben sich gewandelt zu einem Akteur, der nicht mehr nur veröffentlicht, sondern anderen vorab ganz unverhohlen droht. So kündigte Assange vor den französischen Präsidentschaftswahlen Enthüllungen über den späteren Sieger Emmanuel Macron an, was sich wie ein persönlicher Angriff las. Tatsächlich tauchten unmittelbar vor der Wahl interne Dokumente und E-Mails aus Macrons Wählerbündnis „En Marche“ auf Plattformen wie 4chan und archive.org auf. Nicht direkt auf WikiLeaks – aber der Twitter-Account der Plattform teilte den Link mit seinen mehr als fünf Millionen Followern. Auch in den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf mischte sich WikiLeaks durch die Veröffentlichung von zehntausenden E-Mails der Demokratischen Partei und deren Kandidatin Hillary Clinton ein.

Gerade die Veröffentlichung der Clinton-E-Mails stellt die Öffentlichkeit vor eine Zerreißprobe. Es geht um die erwähnten, grundsätzlichen Fragen: Darf eine Partei beziehungsweise deren Kandidatin nicht auch Geheimnisse haben und intern über politische Gegner herziehen? Und ist im Wahlkampf wirklich jedes Mittel recht, also auch sogenannte „Weaponizing Leaks“1, wie zielgerichtet veröffentlichte Datensätze auch genannt werden?

Genial und beängstigend

Eine solche Reflexion vermisst man in Assanges Verlautbarungen. Dabei wäre es durchaus erwähnenswert, wem er mit WikiLeaks eine Plattform bietet und vor wessen Karren er sich spannt. Unter IT-Experten gilt es als sicher, dass die russischen Hackergruppen „Fancy Bear“ und „Cozy Bear“ hinter den Veröffentlichungen der Mails der US-Demokraten stecken, mutmaßlich im russischen Staatsauftrag.2

Foto: Westend Verlag

Den vollständigen Essay von Markus Bergmann finden Sie in „Wenn Maschinen Meinung Machen – Journalismuskrise, Social Bots und der Angriff auf die Demokratie“, herausgegeben von Prof. Dr. Michael Steinbrecher und Prof. Dr. Günther Rager, Westend Verlag, 240 Seiten, 18 Euro. Foto: Westend Verlag

Die amerikanische Juristin und Sicherheitsexpertin Laura Galante – die durch ihre berufliche Sozialisation eher auf der Gegenseite, nämlich im Umfeld der amerikanischen Regierung tätig ist – bringt die Problematik in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt: „Das ist ja das Geniale und das Beängstigende an WikiLeaks. Journalisten können die einfach als Quelle angeben und dann alles aufschreiben. Ich nehme an, dass die russischen Geheimdienste erkannt haben, dass WikiLeaks von westlichen Medien als legitime Quelle angesehen wird.“3

Taugen geleakte Informationen, ob nun von Hackern oder Whistleblowern bereitgestellt, also noch als Recherchegrundlage für Journalisten? Wie soll der Journalismus mit einem veränderten Whistleblowing, mit einer unübersichtlichen und eventuell gesteuerten Informations- und Datenflut umgehen?

Die Antwort lautet: Es kommt auf den Einzelfall an. Jeder Informant, letztlich aber sogar jede Information muss einzeln betrachtet und bewertet werden. Die Reflexion, die WikiLeaks vermissen lässt, muss ein Journalist erst recht an den Tag legen. Das ist keine neue Erfindung, sondern eine Besinnung auf klassische journalistische Vorgehensweisen. Quellen müssen überprüft, Informationen gegengecheckt und mögliche Motive der Whistleblower recherchiert werden. Eine grundsätzliche Prüffrage lautet: Cui bono – wem nützt es? Und gibt es Verbindungen zu der Quelle? All diese Aspekte müssen mit der zentralen journalistischen Fragestellung abgewogen werden: Hat die Öffentlichkeit ein Interesse an den Enthüllungen, sind sie wichtig für die gesellschaftliche Debatte? […]

Solange es Massenmedien gibt, liegt die Entscheidung, welcher Sachverhalt wann eine Veröffentlichung rechtfertigt, weiter bei Journalisten. Der investigative Journalist Georg Mascolo schreibt in der Süddeutschen Zeitung: „Dass Informanten versuchen, Journalisten für ihre eigenen Zwecke einzuspannen, ist nicht neu. Aufgabe von Journalisten ist es, zu publizieren, was im öffentlichen Interesse liegt (und nur das) und nicht das Geschäft ihrer Quellen zu betreiben. Das ist manchmal ein schwieriger Prozess der Abwägung. Ohne Leaks gibt es keinen Journalismus, jedenfalls keinen guten.“4

Wichtig ist dabei das Bewusstsein, dass Journalisten mit ihren Entscheidungen ganz nebenbei an der gesellschaftlichen Definition von Transparenz mitschreiben. Im Umgang mit Whistleblowern wird in Zukunft, erst recht in Wahlkämpfen und politischen Auseinandersetzungen, die immer stärker auf die mediale Vernichtung des Gegenübers abzielen, aber weiter die Frage zentral bleiben: Wem nützt es? Solange die Antwort überwiegt: der Öffentlichkeit – dann bitte veröffentlichen.

Titelfoto: CarpathianPrince/Shutterstock.com

Und das ist der Autor

Markus Bergmann, Jahrgang 1993, hat ab 2012 Journalistik in Dortmund studiert 
und bei einer regionalen Tageszeitung in Würzburg volontiert. Er arbeitet 
freiberuflich als Journalist, Fotograf und Dozent für Weiterbildungen 
im Bereich Medien und Politik.

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  1. vgl. Mascolo, Georg: „Abteilung Irreführung“, in: Süddeutsche Zeitung, Ausgabe 59/2017, S. 44
  2.  vgl. Kreye, Andrian: „Endziel: Chaos“, in: Süddeutsche Zeitung, Ausgabe 105/2017, S. 9
  3. Kreye 2017
  4. Mascolo 2017